Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Papstthum erringen, auf seinen mittelalterlichen Standpunkt war es ihm
doch nicht gegeben vollständig zurückzukehren. Der modernen Welt ist sogar
lange Zeit alle Besorgniß entschwunden gewesen, daß ein so antiquirtes In¬
stitut wie das Papstthum wieder neue Bedeutung erlangen könnte.

Heute erleben wir es zu vielseitiger Ueberraschung, wie das römische "
Kirchenthum seine Kräfte wieder zusammengenommen hat; mit zäher Conse-
quenz hat es die verschiedenartigsten Mittel zu einzelnen Erfolgen verwerthet
und ist, von einer Errungenschaft zur andern vorschreitend, heute endlich wieder
dahin gelangt die mittelalterlichen Ideen absoluter Papstherrschaft über die
Welt aufs neue aus dem Mittelalter heraufzuführen und aufs neue einen
Kampf gegen alle Prinzipien und Ideen der modernen Welt zu wagen.

Und wie einst die deutsche Reformation die entscheidende Wendung in
der Geschichte der Welt herbeigeführt, so ist es auch heute wiederum Deutsch¬
land, das als der eigentliche und wesentliche Gegner des Papstthumes den
geistigen Kampf unserer Gegenwart anführt.

Heute stehen wir erst in den Anfängen des Krieges, zu welchem das
Papstthum mit seinen mittelalterlichen Prinzipien den Geist der Neuzeit her¬
ausgefordert hat: -- wann der Krieg zu Ende gebracht wird, darüber eine
Vermuthung zu äußern wäre vermessen; (es wäre sicher nicht gut, wenn vor¬
zeitig der Kampf abgebrochen würde) -- aber wie der Krieg enden wird, das
darf man allerdings heute mit einiger Bestimmtheit aussprechen: er wird
enden, wie er enden muß, d. h. mit einer neuen Niederlage des mittelalter¬
lichen Papstthumes: wer an diesem Ausgange zweifelt, der erklärt die ganze
Geschichte der letzten Jahrhunderte für eine einzige Lüge.

Niemand wird sich darüber wundern, daß heute in diesem Kampfe gegen
Rom der gläubige Protestant sich Luther zum Vorkämpfer auswählt und
am Beispiele Luther's seine eigene Energie zu stählen sich vorsetzt. Der Stand¬
punkt des Historikers ist ein anderer, als der des gläubigen Protestanten; vom
Gegensatz katholischer und protestantischer Parteiauffassungen ist er gleichmäßig
entfernt. Aber auch die objektive Anschauung des Historikers wird die Refor¬
mation Luther's als einen der großen weltgeschichtlichen Fortschritte, als den
Markstein des Mittelalters und der Neuzeit, als die Wiege der Neuzeit ansehen.

Die erste entscheidende Niederlage des mittelalterlichen Papstthumes war
die Reformation Luther's in Deutschland. Es mag gestattet sein unter diesem
Gesichtspunkt sie hier einer kurzen Erörterung zu unterwerfen. Es gilt die
eigenthümlichen Merkmale der Reformation Luther's zu entwickeln, Luther's
Bestrebungen und Thaten zu vergleichen mit den anderen Versuchen einer
Kirchenreformation, welche am Ausgang des Mittelalters im Gegensatz zum
Papstthum sich erhoben: durch eine solche vergleichende Charakteristik wird grade


das Papstthum erringen, auf seinen mittelalterlichen Standpunkt war es ihm
doch nicht gegeben vollständig zurückzukehren. Der modernen Welt ist sogar
lange Zeit alle Besorgniß entschwunden gewesen, daß ein so antiquirtes In¬
stitut wie das Papstthum wieder neue Bedeutung erlangen könnte.

Heute erleben wir es zu vielseitiger Ueberraschung, wie das römische "
Kirchenthum seine Kräfte wieder zusammengenommen hat; mit zäher Conse-
quenz hat es die verschiedenartigsten Mittel zu einzelnen Erfolgen verwerthet
und ist, von einer Errungenschaft zur andern vorschreitend, heute endlich wieder
dahin gelangt die mittelalterlichen Ideen absoluter Papstherrschaft über die
Welt aufs neue aus dem Mittelalter heraufzuführen und aufs neue einen
Kampf gegen alle Prinzipien und Ideen der modernen Welt zu wagen.

Und wie einst die deutsche Reformation die entscheidende Wendung in
der Geschichte der Welt herbeigeführt, so ist es auch heute wiederum Deutsch¬
land, das als der eigentliche und wesentliche Gegner des Papstthumes den
geistigen Kampf unserer Gegenwart anführt.

Heute stehen wir erst in den Anfängen des Krieges, zu welchem das
Papstthum mit seinen mittelalterlichen Prinzipien den Geist der Neuzeit her¬
ausgefordert hat: — wann der Krieg zu Ende gebracht wird, darüber eine
Vermuthung zu äußern wäre vermessen; (es wäre sicher nicht gut, wenn vor¬
zeitig der Kampf abgebrochen würde) — aber wie der Krieg enden wird, das
darf man allerdings heute mit einiger Bestimmtheit aussprechen: er wird
enden, wie er enden muß, d. h. mit einer neuen Niederlage des mittelalter¬
lichen Papstthumes: wer an diesem Ausgange zweifelt, der erklärt die ganze
Geschichte der letzten Jahrhunderte für eine einzige Lüge.

Niemand wird sich darüber wundern, daß heute in diesem Kampfe gegen
Rom der gläubige Protestant sich Luther zum Vorkämpfer auswählt und
am Beispiele Luther's seine eigene Energie zu stählen sich vorsetzt. Der Stand¬
punkt des Historikers ist ein anderer, als der des gläubigen Protestanten; vom
Gegensatz katholischer und protestantischer Parteiauffassungen ist er gleichmäßig
entfernt. Aber auch die objektive Anschauung des Historikers wird die Refor¬
mation Luther's als einen der großen weltgeschichtlichen Fortschritte, als den
Markstein des Mittelalters und der Neuzeit, als die Wiege der Neuzeit ansehen.

Die erste entscheidende Niederlage des mittelalterlichen Papstthumes war
die Reformation Luther's in Deutschland. Es mag gestattet sein unter diesem
Gesichtspunkt sie hier einer kurzen Erörterung zu unterwerfen. Es gilt die
eigenthümlichen Merkmale der Reformation Luther's zu entwickeln, Luther's
Bestrebungen und Thaten zu vergleichen mit den anderen Versuchen einer
Kirchenreformation, welche am Ausgang des Mittelalters im Gegensatz zum
Papstthum sich erhoben: durch eine solche vergleichende Charakteristik wird grade


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133091"/>
          <p xml:id="ID_1163" prev="#ID_1162"> das Papstthum erringen, auf seinen mittelalterlichen Standpunkt war es ihm<lb/>
doch nicht gegeben vollständig zurückzukehren. Der modernen Welt ist sogar<lb/>
lange Zeit alle Besorgniß entschwunden gewesen, daß ein so antiquirtes In¬<lb/>
stitut wie das Papstthum wieder neue Bedeutung erlangen könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1164"> Heute erleben wir es zu vielseitiger Ueberraschung, wie das römische "<lb/>
Kirchenthum seine Kräfte wieder zusammengenommen hat; mit zäher Conse-<lb/>
quenz hat es die verschiedenartigsten Mittel zu einzelnen Erfolgen verwerthet<lb/>
und ist, von einer Errungenschaft zur andern vorschreitend, heute endlich wieder<lb/>
dahin gelangt die mittelalterlichen Ideen absoluter Papstherrschaft über die<lb/>
Welt aufs neue aus dem Mittelalter heraufzuführen und aufs neue einen<lb/>
Kampf gegen alle Prinzipien und Ideen der modernen Welt zu wagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1165"> Und wie einst die deutsche Reformation die entscheidende Wendung in<lb/>
der Geschichte der Welt herbeigeführt, so ist es auch heute wiederum Deutsch¬<lb/>
land, das als der eigentliche und wesentliche Gegner des Papstthumes den<lb/>
geistigen Kampf unserer Gegenwart anführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1166"> Heute stehen wir erst in den Anfängen des Krieges, zu welchem das<lb/>
Papstthum mit seinen mittelalterlichen Prinzipien den Geist der Neuzeit her¬<lb/>
ausgefordert hat: &#x2014; wann der Krieg zu Ende gebracht wird, darüber eine<lb/>
Vermuthung zu äußern wäre vermessen; (es wäre sicher nicht gut, wenn vor¬<lb/>
zeitig der Kampf abgebrochen würde) &#x2014; aber wie der Krieg enden wird, das<lb/>
darf man allerdings heute mit einiger Bestimmtheit aussprechen: er wird<lb/>
enden, wie er enden muß, d. h. mit einer neuen Niederlage des mittelalter¬<lb/>
lichen Papstthumes: wer an diesem Ausgange zweifelt, der erklärt die ganze<lb/>
Geschichte der letzten Jahrhunderte für eine einzige Lüge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1167"> Niemand wird sich darüber wundern, daß heute in diesem Kampfe gegen<lb/>
Rom der gläubige Protestant sich Luther zum Vorkämpfer auswählt und<lb/>
am Beispiele Luther's seine eigene Energie zu stählen sich vorsetzt. Der Stand¬<lb/>
punkt des Historikers ist ein anderer, als der des gläubigen Protestanten; vom<lb/>
Gegensatz katholischer und protestantischer Parteiauffassungen ist er gleichmäßig<lb/>
entfernt. Aber auch die objektive Anschauung des Historikers wird die Refor¬<lb/>
mation Luther's als einen der großen weltgeschichtlichen Fortschritte, als den<lb/>
Markstein des Mittelalters und der Neuzeit, als die Wiege der Neuzeit ansehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1168" next="#ID_1169"> Die erste entscheidende Niederlage des mittelalterlichen Papstthumes war<lb/>
die Reformation Luther's in Deutschland. Es mag gestattet sein unter diesem<lb/>
Gesichtspunkt sie hier einer kurzen Erörterung zu unterwerfen. Es gilt die<lb/>
eigenthümlichen Merkmale der Reformation Luther's zu entwickeln, Luther's<lb/>
Bestrebungen und Thaten zu vergleichen mit den anderen Versuchen einer<lb/>
Kirchenreformation, welche am Ausgang des Mittelalters im Gegensatz zum<lb/>
Papstthum sich erhoben: durch eine solche vergleichende Charakteristik wird grade</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] das Papstthum erringen, auf seinen mittelalterlichen Standpunkt war es ihm doch nicht gegeben vollständig zurückzukehren. Der modernen Welt ist sogar lange Zeit alle Besorgniß entschwunden gewesen, daß ein so antiquirtes In¬ stitut wie das Papstthum wieder neue Bedeutung erlangen könnte. Heute erleben wir es zu vielseitiger Ueberraschung, wie das römische " Kirchenthum seine Kräfte wieder zusammengenommen hat; mit zäher Conse- quenz hat es die verschiedenartigsten Mittel zu einzelnen Erfolgen verwerthet und ist, von einer Errungenschaft zur andern vorschreitend, heute endlich wieder dahin gelangt die mittelalterlichen Ideen absoluter Papstherrschaft über die Welt aufs neue aus dem Mittelalter heraufzuführen und aufs neue einen Kampf gegen alle Prinzipien und Ideen der modernen Welt zu wagen. Und wie einst die deutsche Reformation die entscheidende Wendung in der Geschichte der Welt herbeigeführt, so ist es auch heute wiederum Deutsch¬ land, das als der eigentliche und wesentliche Gegner des Papstthumes den geistigen Kampf unserer Gegenwart anführt. Heute stehen wir erst in den Anfängen des Krieges, zu welchem das Papstthum mit seinen mittelalterlichen Prinzipien den Geist der Neuzeit her¬ ausgefordert hat: — wann der Krieg zu Ende gebracht wird, darüber eine Vermuthung zu äußern wäre vermessen; (es wäre sicher nicht gut, wenn vor¬ zeitig der Kampf abgebrochen würde) — aber wie der Krieg enden wird, das darf man allerdings heute mit einiger Bestimmtheit aussprechen: er wird enden, wie er enden muß, d. h. mit einer neuen Niederlage des mittelalter¬ lichen Papstthumes: wer an diesem Ausgange zweifelt, der erklärt die ganze Geschichte der letzten Jahrhunderte für eine einzige Lüge. Niemand wird sich darüber wundern, daß heute in diesem Kampfe gegen Rom der gläubige Protestant sich Luther zum Vorkämpfer auswählt und am Beispiele Luther's seine eigene Energie zu stählen sich vorsetzt. Der Stand¬ punkt des Historikers ist ein anderer, als der des gläubigen Protestanten; vom Gegensatz katholischer und protestantischer Parteiauffassungen ist er gleichmäßig entfernt. Aber auch die objektive Anschauung des Historikers wird die Refor¬ mation Luther's als einen der großen weltgeschichtlichen Fortschritte, als den Markstein des Mittelalters und der Neuzeit, als die Wiege der Neuzeit ansehen. Die erste entscheidende Niederlage des mittelalterlichen Papstthumes war die Reformation Luther's in Deutschland. Es mag gestattet sein unter diesem Gesichtspunkt sie hier einer kurzen Erörterung zu unterwerfen. Es gilt die eigenthümlichen Merkmale der Reformation Luther's zu entwickeln, Luther's Bestrebungen und Thaten zu vergleichen mit den anderen Versuchen einer Kirchenreformation, welche am Ausgang des Mittelalters im Gegensatz zum Papstthum sich erhoben: durch eine solche vergleichende Charakteristik wird grade

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/331>, abgerufen am 03.07.2024.