Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

In denselben Juli-Tagen 1870, in denen die Franzosen den Krieg mit
uns wieder einmal vom Zaune gebrochen, ist uns noch von anderer Seite
ein Krieg angesagt worden, ein Krieg der heute noch nicht beendigt ist, den
aber zu ähnlichem Abschluß zu führen für uns eine Nothwendigkeit ist. Das
ist der Kampf des zu neuem Lebenseifer erwachten mittelalterlichen Papst¬
thums wider den Staat und das geistige Sein der modernen germanischen
Welt. Es ist ein Krieg gewaltigen Inhaltes, folgenschwerster Bedeutung,
dessen Tragweite für die Menschheit nicht leicht überschätzt werden könnte.

Wenn man die Natur dieses geistigen Kampfes richtig verstehen will,
muß man sich klar darüber sein, welches der Gegner ist, der uns mit diesem
Angriffe überzogen; es scheinen ja wirklich heute viele ängstliche Gemüther
durch die Frage bewegt: sind wir denn wirklich mit der katholischen Religion
und Kirche, der ein großer Theil unserer Mitbürger angehört, verfeindet oder
ist es nur der alte Mann im Vatikan, gegen den wir streiten? Die erwähnte
Aeußerung Ranke's kan-n uns zum Vorbilde dienen bei der richtigen Be¬
antwortung dieser Frage. Nicht gegen die katholische Religion, nicht gegen
Pio Nouv, nein gegen Gregor VII. ist unser Kampf gewendet.

Unser Staat wehrt von sich ab die Tendenzen einer allmächtigen und
absoluten Priesterherrschaft, wie sie seit Gregor VII. das römische Papstthum
in Anspruch genommen. Das Urbild des Papstthums ist Gregor VII., er
hat das Ideal aufgestellt und die Forderungen angemeldet, welche seine Nach¬
folger zu realisiren unternommen. Und dies Papstthum Gregor's VII. hat
in der That in den Jahrhunderten des Mittelalters über die Menschen ge¬
herrscht; es hat alle Lebensbeziehungen der Menschen unter seiner Aufsicht
und seinem Gebote gehalten; es hat nicht allein Kirche und Religion der
Menschen geleitet, nein es hat auch das Staatsleben und das geistige Sein,
es hat Wissenschaft und Künste von sich abhängig gemacht: der Papst ist
im Mittelalter der Herr der Welt gewesen.

Es ist bekannt, daß dies Verhältniß nicht immer Bestand gehabt hat.
Am Ende des Mittelalters wurde die Stellung des Papstthums vielfach er¬
schüttert, und am Beginn der Neuzeit hat das große historische Ereigniß, das
man die Reformation zu nennen pflegt, die Mehrzahl der germanischen Seelen
aus der Abhängigkeit das Papstthumes befreiet und überhaupt die Einheit
der christlichen Kirche gesprengt. Damit begann eine neue Epoche der Welt¬
geschichte: der Geist der modernen Zeit trat ins Leben in vollstem Gegensatze,
in entschiedenstem Widerspruche zum Papstthume des Mittelalters. Und so
lange sich die neuen Bildungen und neuen Ideen, die der Reformation ihren
Ursprung verdankten, nur an irgend einer Stelle der Welt behaupteten und
aufrecht erhielten, war eine Rückkehr des Mittelalters unmöglich. Und mochte
nach der Reformation auch noch so viele Siege und Erfolge und Herstellungen


In denselben Juli-Tagen 1870, in denen die Franzosen den Krieg mit
uns wieder einmal vom Zaune gebrochen, ist uns noch von anderer Seite
ein Krieg angesagt worden, ein Krieg der heute noch nicht beendigt ist, den
aber zu ähnlichem Abschluß zu führen für uns eine Nothwendigkeit ist. Das
ist der Kampf des zu neuem Lebenseifer erwachten mittelalterlichen Papst¬
thums wider den Staat und das geistige Sein der modernen germanischen
Welt. Es ist ein Krieg gewaltigen Inhaltes, folgenschwerster Bedeutung,
dessen Tragweite für die Menschheit nicht leicht überschätzt werden könnte.

Wenn man die Natur dieses geistigen Kampfes richtig verstehen will,
muß man sich klar darüber sein, welches der Gegner ist, der uns mit diesem
Angriffe überzogen; es scheinen ja wirklich heute viele ängstliche Gemüther
durch die Frage bewegt: sind wir denn wirklich mit der katholischen Religion
und Kirche, der ein großer Theil unserer Mitbürger angehört, verfeindet oder
ist es nur der alte Mann im Vatikan, gegen den wir streiten? Die erwähnte
Aeußerung Ranke's kan-n uns zum Vorbilde dienen bei der richtigen Be¬
antwortung dieser Frage. Nicht gegen die katholische Religion, nicht gegen
Pio Nouv, nein gegen Gregor VII. ist unser Kampf gewendet.

Unser Staat wehrt von sich ab die Tendenzen einer allmächtigen und
absoluten Priesterherrschaft, wie sie seit Gregor VII. das römische Papstthum
in Anspruch genommen. Das Urbild des Papstthums ist Gregor VII., er
hat das Ideal aufgestellt und die Forderungen angemeldet, welche seine Nach¬
folger zu realisiren unternommen. Und dies Papstthum Gregor's VII. hat
in der That in den Jahrhunderten des Mittelalters über die Menschen ge¬
herrscht; es hat alle Lebensbeziehungen der Menschen unter seiner Aufsicht
und seinem Gebote gehalten; es hat nicht allein Kirche und Religion der
Menschen geleitet, nein es hat auch das Staatsleben und das geistige Sein,
es hat Wissenschaft und Künste von sich abhängig gemacht: der Papst ist
im Mittelalter der Herr der Welt gewesen.

Es ist bekannt, daß dies Verhältniß nicht immer Bestand gehabt hat.
Am Ende des Mittelalters wurde die Stellung des Papstthums vielfach er¬
schüttert, und am Beginn der Neuzeit hat das große historische Ereigniß, das
man die Reformation zu nennen pflegt, die Mehrzahl der germanischen Seelen
aus der Abhängigkeit das Papstthumes befreiet und überhaupt die Einheit
der christlichen Kirche gesprengt. Damit begann eine neue Epoche der Welt¬
geschichte: der Geist der modernen Zeit trat ins Leben in vollstem Gegensatze,
in entschiedenstem Widerspruche zum Papstthume des Mittelalters. Und so
lange sich die neuen Bildungen und neuen Ideen, die der Reformation ihren
Ursprung verdankten, nur an irgend einer Stelle der Welt behaupteten und
aufrecht erhielten, war eine Rückkehr des Mittelalters unmöglich. Und mochte
nach der Reformation auch noch so viele Siege und Erfolge und Herstellungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133090"/>
          <p xml:id="ID_1159"> In denselben Juli-Tagen 1870, in denen die Franzosen den Krieg mit<lb/>
uns wieder einmal vom Zaune gebrochen, ist uns noch von anderer Seite<lb/>
ein Krieg angesagt worden, ein Krieg der heute noch nicht beendigt ist, den<lb/>
aber zu ähnlichem Abschluß zu führen für uns eine Nothwendigkeit ist. Das<lb/>
ist der Kampf des zu neuem Lebenseifer erwachten mittelalterlichen Papst¬<lb/>
thums wider den Staat und das geistige Sein der modernen germanischen<lb/>
Welt. Es ist ein Krieg gewaltigen Inhaltes, folgenschwerster Bedeutung,<lb/>
dessen Tragweite für die Menschheit nicht leicht überschätzt werden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1160"> Wenn man die Natur dieses geistigen Kampfes richtig verstehen will,<lb/>
muß man sich klar darüber sein, welches der Gegner ist, der uns mit diesem<lb/>
Angriffe überzogen; es scheinen ja wirklich heute viele ängstliche Gemüther<lb/>
durch die Frage bewegt: sind wir denn wirklich mit der katholischen Religion<lb/>
und Kirche, der ein großer Theil unserer Mitbürger angehört, verfeindet oder<lb/>
ist es nur der alte Mann im Vatikan, gegen den wir streiten? Die erwähnte<lb/>
Aeußerung Ranke's kan-n uns zum Vorbilde dienen bei der richtigen Be¬<lb/>
antwortung dieser Frage. Nicht gegen die katholische Religion, nicht gegen<lb/>
Pio Nouv, nein gegen Gregor VII. ist unser Kampf gewendet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1161"> Unser Staat wehrt von sich ab die Tendenzen einer allmächtigen und<lb/>
absoluten Priesterherrschaft, wie sie seit Gregor VII. das römische Papstthum<lb/>
in Anspruch genommen. Das Urbild des Papstthums ist Gregor VII., er<lb/>
hat das Ideal aufgestellt und die Forderungen angemeldet, welche seine Nach¬<lb/>
folger zu realisiren unternommen. Und dies Papstthum Gregor's VII. hat<lb/>
in der That in den Jahrhunderten des Mittelalters über die Menschen ge¬<lb/>
herrscht; es hat alle Lebensbeziehungen der Menschen unter seiner Aufsicht<lb/>
und seinem Gebote gehalten; es hat nicht allein Kirche und Religion der<lb/>
Menschen geleitet, nein es hat auch das Staatsleben und das geistige Sein,<lb/>
es hat Wissenschaft und Künste von sich abhängig gemacht: der Papst ist<lb/>
im Mittelalter der Herr der Welt gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1162" next="#ID_1163"> Es ist bekannt, daß dies Verhältniß nicht immer Bestand gehabt hat.<lb/>
Am Ende des Mittelalters wurde die Stellung des Papstthums vielfach er¬<lb/>
schüttert, und am Beginn der Neuzeit hat das große historische Ereigniß, das<lb/>
man die Reformation zu nennen pflegt, die Mehrzahl der germanischen Seelen<lb/>
aus der Abhängigkeit das Papstthumes befreiet und überhaupt die Einheit<lb/>
der christlichen Kirche gesprengt. Damit begann eine neue Epoche der Welt¬<lb/>
geschichte: der Geist der modernen Zeit trat ins Leben in vollstem Gegensatze,<lb/>
in entschiedenstem Widerspruche zum Papstthume des Mittelalters. Und so<lb/>
lange sich die neuen Bildungen und neuen Ideen, die der Reformation ihren<lb/>
Ursprung verdankten, nur an irgend einer Stelle der Welt behaupteten und<lb/>
aufrecht erhielten, war eine Rückkehr des Mittelalters unmöglich. Und mochte<lb/>
nach der Reformation auch noch so viele Siege und Erfolge und Herstellungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0330] In denselben Juli-Tagen 1870, in denen die Franzosen den Krieg mit uns wieder einmal vom Zaune gebrochen, ist uns noch von anderer Seite ein Krieg angesagt worden, ein Krieg der heute noch nicht beendigt ist, den aber zu ähnlichem Abschluß zu führen für uns eine Nothwendigkeit ist. Das ist der Kampf des zu neuem Lebenseifer erwachten mittelalterlichen Papst¬ thums wider den Staat und das geistige Sein der modernen germanischen Welt. Es ist ein Krieg gewaltigen Inhaltes, folgenschwerster Bedeutung, dessen Tragweite für die Menschheit nicht leicht überschätzt werden könnte. Wenn man die Natur dieses geistigen Kampfes richtig verstehen will, muß man sich klar darüber sein, welches der Gegner ist, der uns mit diesem Angriffe überzogen; es scheinen ja wirklich heute viele ängstliche Gemüther durch die Frage bewegt: sind wir denn wirklich mit der katholischen Religion und Kirche, der ein großer Theil unserer Mitbürger angehört, verfeindet oder ist es nur der alte Mann im Vatikan, gegen den wir streiten? Die erwähnte Aeußerung Ranke's kan-n uns zum Vorbilde dienen bei der richtigen Be¬ antwortung dieser Frage. Nicht gegen die katholische Religion, nicht gegen Pio Nouv, nein gegen Gregor VII. ist unser Kampf gewendet. Unser Staat wehrt von sich ab die Tendenzen einer allmächtigen und absoluten Priesterherrschaft, wie sie seit Gregor VII. das römische Papstthum in Anspruch genommen. Das Urbild des Papstthums ist Gregor VII., er hat das Ideal aufgestellt und die Forderungen angemeldet, welche seine Nach¬ folger zu realisiren unternommen. Und dies Papstthum Gregor's VII. hat in der That in den Jahrhunderten des Mittelalters über die Menschen ge¬ herrscht; es hat alle Lebensbeziehungen der Menschen unter seiner Aufsicht und seinem Gebote gehalten; es hat nicht allein Kirche und Religion der Menschen geleitet, nein es hat auch das Staatsleben und das geistige Sein, es hat Wissenschaft und Künste von sich abhängig gemacht: der Papst ist im Mittelalter der Herr der Welt gewesen. Es ist bekannt, daß dies Verhältniß nicht immer Bestand gehabt hat. Am Ende des Mittelalters wurde die Stellung des Papstthums vielfach er¬ schüttert, und am Beginn der Neuzeit hat das große historische Ereigniß, das man die Reformation zu nennen pflegt, die Mehrzahl der germanischen Seelen aus der Abhängigkeit das Papstthumes befreiet und überhaupt die Einheit der christlichen Kirche gesprengt. Damit begann eine neue Epoche der Welt¬ geschichte: der Geist der modernen Zeit trat ins Leben in vollstem Gegensatze, in entschiedenstem Widerspruche zum Papstthume des Mittelalters. Und so lange sich die neuen Bildungen und neuen Ideen, die der Reformation ihren Ursprung verdankten, nur an irgend einer Stelle der Welt behaupteten und aufrecht erhielten, war eine Rückkehr des Mittelalters unmöglich. Und mochte nach der Reformation auch noch so viele Siege und Erfolge und Herstellungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/330
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/330>, abgerufen am 01.07.2024.