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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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einander der Meinungen beleuchtete. In einem solchen Licht ordnet sich bei
gutem Willen auch eine bunte Verwirrung. Ein so dringendes Bedürfniß
liegt bei der Berwaltungsreform nicht vor. Nicht als ob wir die Heilsamkeit
und Nothwendigkeit des Reformwerkes leugnen wollten, aber es ist doch ein
gewaltiger Unterschied, ob das Wort einer Lage lautet: "Wenn du heute nicht
vorbauest, ist dein Haus morgen weggespült/' oder ob es lautet: "Wenn du
dein Haus nicht umbauest, wird es immer baufälliger werden, immer unbe¬
quemer zu bewohnen, und nach Jahren werden Wind und Regen überall
hereindringen." -- Wenn der Umbau nicht so dringend ist, dann giebt es
eine Menge schöne Baupläne, dann hat die Theorie, diese erste Schöpferin
der That, freies Spiel, so daß sie vor Entwürfen nicht zum Thun kommt.
Zum Thun gehört außer der theoretischen Erfindung entweder eine äußere
Nothwendigkeit oder eine so vollendete Klarheit und Sicherheit der Theorie,
daß über die That kein Zweifel bleibt.

Bei der Berwaltungsreform befinden wir uns in keinem dieser Fälle.
Eine zwingende Nothwendigkeit ist augenblicklich noch nicht vorhanden, und
die Theorie ist noch bei weitem nicht abgeklärt. In solchem Fall ist es in
der Ordnung, daß das Suchen eine längere Zeit in Anspruch nimmt, und
unsererseits können wir nur die bereits ausgesprochene Meinung wiederholen, daß
es kein Schaden ist, wenn die Reformgesetze in dieser Session noch nicht zu
Stande kommen. Verloren werden die Früchte der Discussion darum doch
nicht sein.

Aus dem ersten Theil der Discussion, welcher die beiden Gesetzentwürfe
über die Provinzialordnung und die Verwaltungsgerichte nebst dem Antrag
Virchow umfaßte, sind zwei Punkte hauptsächlich hervorzuheben. Der erste,
übrigens sehr ungenügend erörterte Punkt betrifft die Beibehaltung der jetzigen
Provinzen. Die meisten Redner waren für den Wegfall der Bezirksregierun¬
gen, sowohl in ihrer jetzigen collegialischen Gestalt, als in der nach dem neuen
Entwurf ihnen zu gebenden bureaukratischen Gestalt. Aber die meisten
Redner glaubten, das ließe sich unter Beibehaltung der jetzigen großen Pro¬
vinzen machen. Andere Redner, welche die Meinung verfochten, es lasse sich
dies nicht machen, erklärten darum die Beibehaltung der Regierungsbezirke
für nöthig. Die wahre Nothwendigkeit, kleinere Provinzen zu machen, trat
kaum hervor. Nur die eine oder die andere allzugroße Provinz wollte der
eine oder der andere Redner allenfalls mit der Zeit getheilt haben. Die echt¬
deutsche, obwohl in Oestreich erfundene, höchst schädliche theoretische Mißge¬
burt der "historisch-politischen Individualitäten" präsentirte sich im Abge¬
ordnetenhaus, was darum nicht minder unerfreulich ist, weil es vorauszusehen
war. Der Abgeordnete Miquel. dessen Talent und richtiger Blick sich nicht
selten Anerkennung gewinnen, war der Ceremonienmeister, der die "historisch-


einander der Meinungen beleuchtete. In einem solchen Licht ordnet sich bei
gutem Willen auch eine bunte Verwirrung. Ein so dringendes Bedürfniß
liegt bei der Berwaltungsreform nicht vor. Nicht als ob wir die Heilsamkeit
und Nothwendigkeit des Reformwerkes leugnen wollten, aber es ist doch ein
gewaltiger Unterschied, ob das Wort einer Lage lautet: „Wenn du heute nicht
vorbauest, ist dein Haus morgen weggespült/' oder ob es lautet: „Wenn du
dein Haus nicht umbauest, wird es immer baufälliger werden, immer unbe¬
quemer zu bewohnen, und nach Jahren werden Wind und Regen überall
hereindringen." — Wenn der Umbau nicht so dringend ist, dann giebt es
eine Menge schöne Baupläne, dann hat die Theorie, diese erste Schöpferin
der That, freies Spiel, so daß sie vor Entwürfen nicht zum Thun kommt.
Zum Thun gehört außer der theoretischen Erfindung entweder eine äußere
Nothwendigkeit oder eine so vollendete Klarheit und Sicherheit der Theorie,
daß über die That kein Zweifel bleibt.

Bei der Berwaltungsreform befinden wir uns in keinem dieser Fälle.
Eine zwingende Nothwendigkeit ist augenblicklich noch nicht vorhanden, und
die Theorie ist noch bei weitem nicht abgeklärt. In solchem Fall ist es in
der Ordnung, daß das Suchen eine längere Zeit in Anspruch nimmt, und
unsererseits können wir nur die bereits ausgesprochene Meinung wiederholen, daß
es kein Schaden ist, wenn die Reformgesetze in dieser Session noch nicht zu
Stande kommen. Verloren werden die Früchte der Discussion darum doch
nicht sein.

Aus dem ersten Theil der Discussion, welcher die beiden Gesetzentwürfe
über die Provinzialordnung und die Verwaltungsgerichte nebst dem Antrag
Virchow umfaßte, sind zwei Punkte hauptsächlich hervorzuheben. Der erste,
übrigens sehr ungenügend erörterte Punkt betrifft die Beibehaltung der jetzigen
Provinzen. Die meisten Redner waren für den Wegfall der Bezirksregierun¬
gen, sowohl in ihrer jetzigen collegialischen Gestalt, als in der nach dem neuen
Entwurf ihnen zu gebenden bureaukratischen Gestalt. Aber die meisten
Redner glaubten, das ließe sich unter Beibehaltung der jetzigen großen Pro¬
vinzen machen. Andere Redner, welche die Meinung verfochten, es lasse sich
dies nicht machen, erklärten darum die Beibehaltung der Regierungsbezirke
für nöthig. Die wahre Nothwendigkeit, kleinere Provinzen zu machen, trat
kaum hervor. Nur die eine oder die andere allzugroße Provinz wollte der
eine oder der andere Redner allenfalls mit der Zeit getheilt haben. Die echt¬
deutsche, obwohl in Oestreich erfundene, höchst schädliche theoretische Mißge¬
burt der „historisch-politischen Individualitäten" präsentirte sich im Abge¬
ordnetenhaus, was darum nicht minder unerfreulich ist, weil es vorauszusehen
war. Der Abgeordnete Miquel. dessen Talent und richtiger Blick sich nicht
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/322>, abgerufen am 01.07.2024.