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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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und Staat hat die Neigung, bestimmten Tendenzen zu dienen, bei unseren
Historikern an vielen Stellen in recht bedenklicher Weise verstärkt. Weil ich
der Ansicht bin, daß diese fehlerhafte Wendung heute nicht mehr Privilegium
einer einzelnen Richtung geblieben, enthalte ich mich, einzelne Beispiele zu
citiren: bei den Ultramontanen ist die Sache nicht neu, sie folgen nur ihrem
natürlichen und hergebrachten Triebe; aber auch die Gegner der ultramon¬
tanen Geschichtsdarstellung haben im Kampfe mit derselben nur zu viel von
ihrer tendenziösen Methode angenommen und gelernt!

segensreich und förderlich in mehr wie einer Beziehung ist es zu nennen,
daß unsere Historiker in lebendiger Wechselwirkung zu dem allgemeinen Geistes¬
leben ihrer Zeit zu stehen sich beeifern. Zwei Seiten hat dies Verhältniß.
Wie auf die Dauer der Redner nicht bestehen kann ohne geistige Fühlung
mit seinen Hörern, so ist der Schriftsteller zu todter Unfruchtbarkeit verur-
theilt, dem es nicht gelingt, sich in Uebereinstimmung mit seinen Lesern zu
setzen. Auch dem Historiker ist es neuerdings zu vollem Bedürfniß geworden,
des Interesses der gebildeten Welt an seiner Arbeit sich bewußt zu sein und
zu bleiben. Will er Eindruck auf seine Zeitgenossen machen, so muß er die
Einwirkung der Zeitgenossen auf sich ertragen. Aber niemals wird er sich
von dem, was man "öffentliche Meinung" nennt, bestimmen oder beherrschen
lassen dürfen.

Es verdrießt und ärgert uns, wenn wir von den früheren Historikern
lesen, die zu fürstlichen Potentaten in sklavischer Abhängigkeit gestanden und
ihre Feder der Verherrlichung ihrer Brodherren geliehen. Die Zeiten dürften
heute vorbei sein. Aber an die Stelle des fürstlichen Mäcenas ist'heute das
applaudirende Publikum getreten -- die öffentliche Meinung. Und auf den
Beifall seiner Leser nimmt der größte Theil unserer Historiker neuerdings
leider viel zu viel Rücksicht. Wenn nicht bald eine Wendung darin eintritt,
gerathen wir in Gefahr, unserer Arbeiten Schicksal von dem Verhältnisse
abhängig zu sehen, ob ihre Resultate mit der Tagesmeinung in Einklang
oder in Widerspruch stehen. Und doch hat Röscher mit seinem schönen
Worte Recht: "der echte Historiker, der nicht bloß in der Gegenwart sondern
zugleich in der Vergangenheit lebt, wird gegen die Einseitigkeiten seines Zeit¬
alters immer in einer gewissen Opposition stehen."

Der wahre Historiker wird die öffentliche Meinung zu belehren, zu leiten
und zu beherrschen trachten; er wird ihr nie dienen, ihr nie folgen. Nur so
erfüllt er seine Aufgabe; nur so waltet er seines Berufes. Strenge Wahrheits¬
liebe, vorurtheilsfreie Unbefangenheit, parteilose Selbständigkeit sollen und
müssen seinem Urtheile eignen.


Wilhelm Maurenbrecher.


und Staat hat die Neigung, bestimmten Tendenzen zu dienen, bei unseren
Historikern an vielen Stellen in recht bedenklicher Weise verstärkt. Weil ich
der Ansicht bin, daß diese fehlerhafte Wendung heute nicht mehr Privilegium
einer einzelnen Richtung geblieben, enthalte ich mich, einzelne Beispiele zu
citiren: bei den Ultramontanen ist die Sache nicht neu, sie folgen nur ihrem
natürlichen und hergebrachten Triebe; aber auch die Gegner der ultramon¬
tanen Geschichtsdarstellung haben im Kampfe mit derselben nur zu viel von
ihrer tendenziösen Methode angenommen und gelernt!

segensreich und förderlich in mehr wie einer Beziehung ist es zu nennen,
daß unsere Historiker in lebendiger Wechselwirkung zu dem allgemeinen Geistes¬
leben ihrer Zeit zu stehen sich beeifern. Zwei Seiten hat dies Verhältniß.
Wie auf die Dauer der Redner nicht bestehen kann ohne geistige Fühlung
mit seinen Hörern, so ist der Schriftsteller zu todter Unfruchtbarkeit verur-
theilt, dem es nicht gelingt, sich in Uebereinstimmung mit seinen Lesern zu
setzen. Auch dem Historiker ist es neuerdings zu vollem Bedürfniß geworden,
des Interesses der gebildeten Welt an seiner Arbeit sich bewußt zu sein und
zu bleiben. Will er Eindruck auf seine Zeitgenossen machen, so muß er die
Einwirkung der Zeitgenossen auf sich ertragen. Aber niemals wird er sich
von dem, was man „öffentliche Meinung" nennt, bestimmen oder beherrschen
lassen dürfen.

Es verdrießt und ärgert uns, wenn wir von den früheren Historikern
lesen, die zu fürstlichen Potentaten in sklavischer Abhängigkeit gestanden und
ihre Feder der Verherrlichung ihrer Brodherren geliehen. Die Zeiten dürften
heute vorbei sein. Aber an die Stelle des fürstlichen Mäcenas ist'heute das
applaudirende Publikum getreten — die öffentliche Meinung. Und auf den
Beifall seiner Leser nimmt der größte Theil unserer Historiker neuerdings
leider viel zu viel Rücksicht. Wenn nicht bald eine Wendung darin eintritt,
gerathen wir in Gefahr, unserer Arbeiten Schicksal von dem Verhältnisse
abhängig zu sehen, ob ihre Resultate mit der Tagesmeinung in Einklang
oder in Widerspruch stehen. Und doch hat Röscher mit seinem schönen
Worte Recht: „der echte Historiker, der nicht bloß in der Gegenwart sondern
zugleich in der Vergangenheit lebt, wird gegen die Einseitigkeiten seines Zeit¬
alters immer in einer gewissen Opposition stehen."

Der wahre Historiker wird die öffentliche Meinung zu belehren, zu leiten
und zu beherrschen trachten; er wird ihr nie dienen, ihr nie folgen. Nur so
erfüllt er seine Aufgabe; nur so waltet er seines Berufes. Strenge Wahrheits¬
liebe, vorurtheilsfreie Unbefangenheit, parteilose Selbständigkeit sollen und
müssen seinem Urtheile eignen.


Wilhelm Maurenbrecher.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/32>, abgerufen am 29.06.2024.