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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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die anders theilt als der Mensch, verbunden. Wenn Lindau als Jnselstadt
erscheint so ist Bregenz eine Golfstadt im vollsten Sinne des Wortes und
wenn man die eine bisweilen mit Venedig verglich, so hat man die andere
das deutsche Genua und Neapel genannt. Wir wollen nicht mit dem Ver¬
gleiche rechten, geben uns rückhaltslos der Freude hin, die dieses herrliche
Stück Land in jeder offenen Seele weckt, wir halten uns nicht an erdachte
Bilder, denn vor uns liegt das herrlichste Bild der Wirklichkeit.

Sichelförmig biegt sich das blaue milde Ufer des Sees ein und in leicht
ansteigenden Terrassen zieht sich die Stadt bergan, überragt vom hohen Pfän¬
ders und vom Gebhardsberg mit seinem schimmernden Kirchlein. Alte Wälder
wie Buchen- und Tannenschlag liegen ringsum, wenn auch die Axt, die heut¬
zutage nicht mehr lichtet, sondern verheert, gar manche Lücke schlug. -- Berg¬
stadt und Seestadt sind hier vereint.

Der älteste Theil ist jener, der oben auf einem Hügel gelegen, welcher
mäßig nach drei Seiten abfällt; dort stand, allem Vermuthen nach, das römische
Kastell, auch der Umkreis des alten damaligen Stadtbezirks ist durch zahl¬
reiche Forschungen und Funde festgestellt. Grabfelder und zierliche Böden
aus Mosaik, Statuen und Geschmeide und allerlei verrostete Münzen mit
dem Bild der Cäsaren kamen nach tausendjährigem Berlorensein wieder ans
^ehr. Der Fuß der Hunnen hatte sie in den Grund getreten und die Erde
^t sie gehütet.

Wie an der Riviera der älteste Theil der dortigen Städte möglichst ins
Land hineinrückt und sich auf den Berghängen zusammendrängt, während die
neuen Stadttheile der Küste, dem Verkehr entgegenstreben, so geschah es auch
h^r; das moderne rührige Bregenz steht unten am Hafen und an der Bahn.
^6 ist der schlagende Beleg, wie auch die bauliche Entwicklung der historischen
Entwicklung folgt, denn früher war die Losung der Städte Schutz und jetzt
ist ihre Losung Verkehr; ihr erster Anbau mußte nach jenem Punkte suchen,
der als der sicherste erschien, ihr heutiger Anbau aber sucht jene Richtung, die
">n zugänglichsten erscheint.

Die Schönheit freilich findet dabei nicht immer ihr Theil, da kommen
nüchterne Kasernen und riesige Lagerhäuser und nicht selten sinkt die Architektur
aus dem Bereich der Kunst zum Rechenexempel herab. So und soviele Qua¬
dratschuh -- soviele Kammern -- soviele Miethe, -- darin gipfelt nicht selten
das Genie der heutigen Baukunst.

Auch am Ufer von Bregenz ist man vor solchen Reflexionen nicht sicher,
aver es sind doch immer nur Einzelheiten, die uns stören, im Ganzen wird
man nicht leicht ein Städtlein finden, das uns so lieb und freundlich entgegen-
^ehe; denn der größte Bauherr, der den Grundplan gezeichnet, war die
datur: ihren Linien fuhr die Menschenhand nur langsam nach.


die anders theilt als der Mensch, verbunden. Wenn Lindau als Jnselstadt
erscheint so ist Bregenz eine Golfstadt im vollsten Sinne des Wortes und
wenn man die eine bisweilen mit Venedig verglich, so hat man die andere
das deutsche Genua und Neapel genannt. Wir wollen nicht mit dem Ver¬
gleiche rechten, geben uns rückhaltslos der Freude hin, die dieses herrliche
Stück Land in jeder offenen Seele weckt, wir halten uns nicht an erdachte
Bilder, denn vor uns liegt das herrlichste Bild der Wirklichkeit.

Sichelförmig biegt sich das blaue milde Ufer des Sees ein und in leicht
ansteigenden Terrassen zieht sich die Stadt bergan, überragt vom hohen Pfän¬
ders und vom Gebhardsberg mit seinem schimmernden Kirchlein. Alte Wälder
wie Buchen- und Tannenschlag liegen ringsum, wenn auch die Axt, die heut¬
zutage nicht mehr lichtet, sondern verheert, gar manche Lücke schlug. — Berg¬
stadt und Seestadt sind hier vereint.

Der älteste Theil ist jener, der oben auf einem Hügel gelegen, welcher
mäßig nach drei Seiten abfällt; dort stand, allem Vermuthen nach, das römische
Kastell, auch der Umkreis des alten damaligen Stadtbezirks ist durch zahl¬
reiche Forschungen und Funde festgestellt. Grabfelder und zierliche Böden
aus Mosaik, Statuen und Geschmeide und allerlei verrostete Münzen mit
dem Bild der Cäsaren kamen nach tausendjährigem Berlorensein wieder ans
^ehr. Der Fuß der Hunnen hatte sie in den Grund getreten und die Erde
^t sie gehütet.

Wie an der Riviera der älteste Theil der dortigen Städte möglichst ins
Land hineinrückt und sich auf den Berghängen zusammendrängt, während die
neuen Stadttheile der Küste, dem Verkehr entgegenstreben, so geschah es auch
h^r; das moderne rührige Bregenz steht unten am Hafen und an der Bahn.
^6 ist der schlagende Beleg, wie auch die bauliche Entwicklung der historischen
Entwicklung folgt, denn früher war die Losung der Städte Schutz und jetzt
ist ihre Losung Verkehr; ihr erster Anbau mußte nach jenem Punkte suchen,
der als der sicherste erschien, ihr heutiger Anbau aber sucht jene Richtung, die
">n zugänglichsten erscheint.

Die Schönheit freilich findet dabei nicht immer ihr Theil, da kommen
nüchterne Kasernen und riesige Lagerhäuser und nicht selten sinkt die Architektur
aus dem Bereich der Kunst zum Rechenexempel herab. So und soviele Qua¬
dratschuh — soviele Kammern — soviele Miethe, — darin gipfelt nicht selten
das Genie der heutigen Baukunst.

Auch am Ufer von Bregenz ist man vor solchen Reflexionen nicht sicher,
aver es sind doch immer nur Einzelheiten, die uns stören, im Ganzen wird
man nicht leicht ein Städtlein finden, das uns so lieb und freundlich entgegen-
^ehe; denn der größte Bauherr, der den Grundplan gezeichnet, war die
datur: ihren Linien fuhr die Menschenhand nur langsam nach.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/301>, abgerufen am 23.07.2024.