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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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gegründeten Gemeinden von selbst verstand und ideell ganz das richtige Princip
ist, so auch die Wahl der Presbyter durch die Gemeinde, wo diese sich ohne
die Apostel bildete, von selbst verstand, als Nothbehelf eines unfertigen Zu¬
standes, dessen überwiegende Mängel erst durch die Erfahrung erkannt werden
konnten, und von dem Episcopate, wenn auch nicht allein um ihrer selbst
willen, sondern im Interesse der Bischofsmacht, also in hierarchischen Interesse
abgestellt wurden. Wir dagegen wollen natürlich bei der Anstellung der Pfarrer
von einer richtig organisirten höheren kirchlichen Behörde ebenso die Rechte
der Laien als des Staates im Ganzen gewahrt wissen, der Gemeinde durch
ein Veto, dem Staate durch dessen Mitwirkung bei dem Kirchenregimente.

Ebenso kennen wir recht wohl das Phantom der angeblichen Freiheit,
welches in der Phantasie und für die Phantasie durch die Wahl der Geist¬
lichen von der Gemeinde aufgebaut und mit dem Flittergold aller möglichen
Phrasen ausstaffirt wird. Die reale Wirklichkeit, wie wir sie nachher dar¬
stellen wollen, sieht nur anders aus.

Das hindert nicht, daß, wo die kirchlichen Behörden in hierarchischen
Interesse, wie in dem gegenwärtigen Conflicte der römisch-jesuitischen Partei
mit dem Staate ihr Recht der Besetzung der Stellen nicht ausüben wollen,
der Gemeinde das Recht der Wahl ganz mit Recht gegeben wird, und daß
wir das ausdrücklich billigen. Das ist ja, wo die kirchliche Behörde ihre Pflicht
nicht thut, wieder ein Nothstand, eine gerechte Nothwehr, ein Ausnahmefall für
ganz abnorme Verhältnisse, und wie die ganze Hierarchie, namentlich mit
ihrer ebenso unklugen als frevelhaften Ueberspannung der Unfehlbarkeit nur
me Abnormität am Baume der Kirche ist, so kann solchen außerordentlichen
Zuständen auch nur durch außerordentliche Maßnahmen begegnet werden.

Auch meinen wir nicht die einzelnen Fälle, daß einige besonders begüterte
Gemeinden zur Probe predigen lassen und dann durch ihre Organe oder die
Gesammtheit den ihnen Wohlgefälligsten wählen. Diese -wenigen Gemeinden,
vereinzelte Fälle, sichern sich damit, wie nun auch dieser Modus bei ihnen
begründet und erhalten sei, die Möglichkeit, begabtere Männer aus größeren
Kreisen zu gewinnen. Diese einzelnen Fälle können in ihrer Isolirtheit be¬
stehen bleiben, aber darum noch nicht allgemeine Regel werden.

Es handelt sich für unsere Betrachtung mit Hinsicht auf die neu zu
schaffenden Ordnungen der Kirche um das Prinzip der Wahl überhaupt, also,
so gewiß wir mit seiner Verneinung das Prinzip der reformirten Kirche, wo es
streng durchgeführt wird, verwerfen, um die Frage, ob man wohl thut,
es eben durch die Presbyterial - und Synodal-Ordnung auch auf die lutheri¬
schen oder gemischten (unirten) Gemeinden zu übertragen, wie allerdings im
Scheine des Liberalismus vielfach gefordert worden ist. Wir glauben das
nicht, und zwar aus folgenden Gründen.


gegründeten Gemeinden von selbst verstand und ideell ganz das richtige Princip
ist, so auch die Wahl der Presbyter durch die Gemeinde, wo diese sich ohne
die Apostel bildete, von selbst verstand, als Nothbehelf eines unfertigen Zu¬
standes, dessen überwiegende Mängel erst durch die Erfahrung erkannt werden
konnten, und von dem Episcopate, wenn auch nicht allein um ihrer selbst
willen, sondern im Interesse der Bischofsmacht, also in hierarchischen Interesse
abgestellt wurden. Wir dagegen wollen natürlich bei der Anstellung der Pfarrer
von einer richtig organisirten höheren kirchlichen Behörde ebenso die Rechte
der Laien als des Staates im Ganzen gewahrt wissen, der Gemeinde durch
ein Veto, dem Staate durch dessen Mitwirkung bei dem Kirchenregimente.

Ebenso kennen wir recht wohl das Phantom der angeblichen Freiheit,
welches in der Phantasie und für die Phantasie durch die Wahl der Geist¬
lichen von der Gemeinde aufgebaut und mit dem Flittergold aller möglichen
Phrasen ausstaffirt wird. Die reale Wirklichkeit, wie wir sie nachher dar¬
stellen wollen, sieht nur anders aus.

Das hindert nicht, daß, wo die kirchlichen Behörden in hierarchischen
Interesse, wie in dem gegenwärtigen Conflicte der römisch-jesuitischen Partei
mit dem Staate ihr Recht der Besetzung der Stellen nicht ausüben wollen,
der Gemeinde das Recht der Wahl ganz mit Recht gegeben wird, und daß
wir das ausdrücklich billigen. Das ist ja, wo die kirchliche Behörde ihre Pflicht
nicht thut, wieder ein Nothstand, eine gerechte Nothwehr, ein Ausnahmefall für
ganz abnorme Verhältnisse, und wie die ganze Hierarchie, namentlich mit
ihrer ebenso unklugen als frevelhaften Ueberspannung der Unfehlbarkeit nur
me Abnormität am Baume der Kirche ist, so kann solchen außerordentlichen
Zuständen auch nur durch außerordentliche Maßnahmen begegnet werden.

Auch meinen wir nicht die einzelnen Fälle, daß einige besonders begüterte
Gemeinden zur Probe predigen lassen und dann durch ihre Organe oder die
Gesammtheit den ihnen Wohlgefälligsten wählen. Diese -wenigen Gemeinden,
vereinzelte Fälle, sichern sich damit, wie nun auch dieser Modus bei ihnen
begründet und erhalten sei, die Möglichkeit, begabtere Männer aus größeren
Kreisen zu gewinnen. Diese einzelnen Fälle können in ihrer Isolirtheit be¬
stehen bleiben, aber darum noch nicht allgemeine Regel werden.

Es handelt sich für unsere Betrachtung mit Hinsicht auf die neu zu
schaffenden Ordnungen der Kirche um das Prinzip der Wahl überhaupt, also,
so gewiß wir mit seiner Verneinung das Prinzip der reformirten Kirche, wo es
streng durchgeführt wird, verwerfen, um die Frage, ob man wohl thut,
es eben durch die Presbyterial - und Synodal-Ordnung auch auf die lutheri¬
schen oder gemischten (unirten) Gemeinden zu übertragen, wie allerdings im
Scheine des Liberalismus vielfach gefordert worden ist. Wir glauben das
nicht, und zwar aus folgenden Gründen.


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[0261] gegründeten Gemeinden von selbst verstand und ideell ganz das richtige Princip ist, so auch die Wahl der Presbyter durch die Gemeinde, wo diese sich ohne die Apostel bildete, von selbst verstand, als Nothbehelf eines unfertigen Zu¬ standes, dessen überwiegende Mängel erst durch die Erfahrung erkannt werden konnten, und von dem Episcopate, wenn auch nicht allein um ihrer selbst willen, sondern im Interesse der Bischofsmacht, also in hierarchischen Interesse abgestellt wurden. Wir dagegen wollen natürlich bei der Anstellung der Pfarrer von einer richtig organisirten höheren kirchlichen Behörde ebenso die Rechte der Laien als des Staates im Ganzen gewahrt wissen, der Gemeinde durch ein Veto, dem Staate durch dessen Mitwirkung bei dem Kirchenregimente. Ebenso kennen wir recht wohl das Phantom der angeblichen Freiheit, welches in der Phantasie und für die Phantasie durch die Wahl der Geist¬ lichen von der Gemeinde aufgebaut und mit dem Flittergold aller möglichen Phrasen ausstaffirt wird. Die reale Wirklichkeit, wie wir sie nachher dar¬ stellen wollen, sieht nur anders aus. Das hindert nicht, daß, wo die kirchlichen Behörden in hierarchischen Interesse, wie in dem gegenwärtigen Conflicte der römisch-jesuitischen Partei mit dem Staate ihr Recht der Besetzung der Stellen nicht ausüben wollen, der Gemeinde das Recht der Wahl ganz mit Recht gegeben wird, und daß wir das ausdrücklich billigen. Das ist ja, wo die kirchliche Behörde ihre Pflicht nicht thut, wieder ein Nothstand, eine gerechte Nothwehr, ein Ausnahmefall für ganz abnorme Verhältnisse, und wie die ganze Hierarchie, namentlich mit ihrer ebenso unklugen als frevelhaften Ueberspannung der Unfehlbarkeit nur me Abnormität am Baume der Kirche ist, so kann solchen außerordentlichen Zuständen auch nur durch außerordentliche Maßnahmen begegnet werden. Auch meinen wir nicht die einzelnen Fälle, daß einige besonders begüterte Gemeinden zur Probe predigen lassen und dann durch ihre Organe oder die Gesammtheit den ihnen Wohlgefälligsten wählen. Diese -wenigen Gemeinden, vereinzelte Fälle, sichern sich damit, wie nun auch dieser Modus bei ihnen begründet und erhalten sei, die Möglichkeit, begabtere Männer aus größeren Kreisen zu gewinnen. Diese einzelnen Fälle können in ihrer Isolirtheit be¬ stehen bleiben, aber darum noch nicht allgemeine Regel werden. Es handelt sich für unsere Betrachtung mit Hinsicht auf die neu zu schaffenden Ordnungen der Kirche um das Prinzip der Wahl überhaupt, also, so gewiß wir mit seiner Verneinung das Prinzip der reformirten Kirche, wo es streng durchgeführt wird, verwerfen, um die Frage, ob man wohl thut, es eben durch die Presbyterial - und Synodal-Ordnung auch auf die lutheri¬ schen oder gemischten (unirten) Gemeinden zu übertragen, wie allerdings im Scheine des Liberalismus vielfach gefordert worden ist. Wir glauben das nicht, und zwar aus folgenden Gründen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/261>, abgerufen am 23.07.2024.