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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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nur von Gott stammt: Staat und Kirche können nur Bedingungen aufstellen,
unter denen sie den Vollzug des von Gott gewollten Verhältnisses gestatten
und in seinen Folgen für sich anerkennen wollen. Nicht einmal die Fiction, daß
die Ehe ein Sacrament sei, steht der Civilehe entgegen, denn nach katholischer
Lehre spenden sich dieses Sacrament die Eheleute selbst. Wie sich sonst die
katholische Fiction zum bürgerlichen Gesetze und zur biblisch-christlichen Wahrheit
stelle, zu betrachten, ist hier nicht der Ort. Von Seite der protestantischen
Bekenntnisse steht der Civilehe nichts entgegen: die Reducirung der Möglichkeit
der Ehescheidung auf die angeblich alleinigen biblischen und symbolischen zwei
Gründe der Ehescheidung 1) fleischlicher Ehebruch und 2) bösliche Verlassung,
und die Weigerung der Geistlichen, Geschiedene wieder zu trauen, sind weder
biblisch noch symbolisch, d. h. nach evangelischem Princip berechtigt, wenn
wir uns auch hier der weiteren Ausführung entheben. Evangelisch hat also
die Kirche das sonst sittlich und rechtlich erlaubte Ehebündniß nur zu segnen,
d. h. in und mit der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe im heiligen
Geiste den Segen Gottes auf das Ehebündniß zu erflehen, aber sicher als Ge¬
meinschaft das Recht, diese Ordnung zu fordern.

Es mag nun einzelne starke Geister, d. h. solche, die sich für stark hal¬
ten, geben, welche diesen Segen verschmähen, wie solche Exemplare, sogar
Damen, bereits in süddeutschen politischen, angeblich fortschrittlichen Blättern
sich .blosgestellt haben - wirklich gebildete und d. h. ja nun wirklich vernünftige
Menschen werden gern dieTrauung in dem oben genannten Sinne, als
die Herabflehung des Segens Gottes in und mit der Gemeinschaft des Glaubens
und der Liebe im heiligen Geiste, zugleich als Bedingung und Zeugniß
der Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft und Anerkennung von derselben
nachsuchen. -- Endlich müssen wir uns auf das Entschiedenste gegen die
Wahl der Pfarrer von den Gemeinden erklären. ")

Wir geben zu, daß gleich in der ersten Zeit des Christenthums, so gewiß
die Apostel den von ihnen gegründeten Gemeinden die Presbyter vorsetzten
doch umgekehrt die Gemeinden, die sich ohne die Apostel bildeten, sich ihre
Presbyter selbst wählten, daß also historisch beiderlei Modus, Einsetzung durch
eine höhere Behörde, oder Wahl von der Gemeinde, berechtigt ist, -- das
letztere Princip merkwürdig genug ganz zweifellos durch die in der Kirche
am längsten bestandene Wahl des Papstes selbst durch die Gemeinde (bis
10S9, wenn auch der Klerus mitwählte), so daß während die Laien großen
Theils durch Veranlassung, wenigstens unter Billigung des Papstes ihre
Rechte an die Bischöfe verloren hatten, sie diese Rechte ganz entschieden noch
bei der Spitze des abendländischen Episcopats ausübten. Aber wir behaupten,
daß, wie sich die Einsetzung der Presbyter von den Aposteln in den von ihnen



D. Red. ") Auch diese Anschauungen werden von uns keineswegs getheilt.

nur von Gott stammt: Staat und Kirche können nur Bedingungen aufstellen,
unter denen sie den Vollzug des von Gott gewollten Verhältnisses gestatten
und in seinen Folgen für sich anerkennen wollen. Nicht einmal die Fiction, daß
die Ehe ein Sacrament sei, steht der Civilehe entgegen, denn nach katholischer
Lehre spenden sich dieses Sacrament die Eheleute selbst. Wie sich sonst die
katholische Fiction zum bürgerlichen Gesetze und zur biblisch-christlichen Wahrheit
stelle, zu betrachten, ist hier nicht der Ort. Von Seite der protestantischen
Bekenntnisse steht der Civilehe nichts entgegen: die Reducirung der Möglichkeit
der Ehescheidung auf die angeblich alleinigen biblischen und symbolischen zwei
Gründe der Ehescheidung 1) fleischlicher Ehebruch und 2) bösliche Verlassung,
und die Weigerung der Geistlichen, Geschiedene wieder zu trauen, sind weder
biblisch noch symbolisch, d. h. nach evangelischem Princip berechtigt, wenn
wir uns auch hier der weiteren Ausführung entheben. Evangelisch hat also
die Kirche das sonst sittlich und rechtlich erlaubte Ehebündniß nur zu segnen,
d. h. in und mit der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe im heiligen
Geiste den Segen Gottes auf das Ehebündniß zu erflehen, aber sicher als Ge¬
meinschaft das Recht, diese Ordnung zu fordern.

Es mag nun einzelne starke Geister, d. h. solche, die sich für stark hal¬
ten, geben, welche diesen Segen verschmähen, wie solche Exemplare, sogar
Damen, bereits in süddeutschen politischen, angeblich fortschrittlichen Blättern
sich .blosgestellt haben - wirklich gebildete und d. h. ja nun wirklich vernünftige
Menschen werden gern dieTrauung in dem oben genannten Sinne, als
die Herabflehung des Segens Gottes in und mit der Gemeinschaft des Glaubens
und der Liebe im heiligen Geiste, zugleich als Bedingung und Zeugniß
der Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft und Anerkennung von derselben
nachsuchen. — Endlich müssen wir uns auf das Entschiedenste gegen die
Wahl der Pfarrer von den Gemeinden erklären. ")

Wir geben zu, daß gleich in der ersten Zeit des Christenthums, so gewiß
die Apostel den von ihnen gegründeten Gemeinden die Presbyter vorsetzten
doch umgekehrt die Gemeinden, die sich ohne die Apostel bildeten, sich ihre
Presbyter selbst wählten, daß also historisch beiderlei Modus, Einsetzung durch
eine höhere Behörde, oder Wahl von der Gemeinde, berechtigt ist, — das
letztere Princip merkwürdig genug ganz zweifellos durch die in der Kirche
am längsten bestandene Wahl des Papstes selbst durch die Gemeinde (bis
10S9, wenn auch der Klerus mitwählte), so daß während die Laien großen
Theils durch Veranlassung, wenigstens unter Billigung des Papstes ihre
Rechte an die Bischöfe verloren hatten, sie diese Rechte ganz entschieden noch
bei der Spitze des abendländischen Episcopats ausübten. Aber wir behaupten,
daß, wie sich die Einsetzung der Presbyter von den Aposteln in den von ihnen



D. Red. ») Auch diese Anschauungen werden von uns keineswegs getheilt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/260>, abgerufen am 23.07.2024.