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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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wo sie ihrem Secirmesser und Mikroskop Halt gebieten müßten. Aber da
erschienst Du, o Wilhelm! Mit einem Streich Deines Schwertes trafst
Du schwer das apostolische Oesterreich und mit einem anderen warfst Du den
Mann Dir zu Füßen, welcher die Rolle der allerchristlichsten Könige spielte!
Der Protestantismus triumphirt und die Kirche sieht sich auf den Vatican
beschränkt. Darin liegt ein Grund sich zu trösten, und ich habe es nöthig,
mir diesen Trost nicht entgehen zu lassen. Was man auch sei, Lutheraner,
Calvinist, Methodist, Puritaner, Presbyterianer. es liegt nichts daran! Man
protestirt, man empört sich gegen die Sklaverei der Vernunft, gegen die Un¬
terwerfung unter einen Menschen! Der Protestantismus hat uns die ersten
Schritte zur Freiheit gelehrt, die Erlösung des Gedankens und des Gewissens.
Das ist sein großes Werk. Die einzelnen Verschiedenheiten des Dogmas und
des Cultus sind ohne Bedeutung. Alte Weiber und verdrehte Köpfe, Dok¬
toren und Sylbenstecher mögen sich damit beschäftigen. Der Protestant glaubt
der frei von ihm ausgelegten Bibel. Darauf kommt es an, denn dadurch
allein ist er frei und von nichts abhängig, als von seinem Gewissen. Sicher¬
lich wäre es noch besser, nur die Wissenschaft für heilig zu halten und die
religiösen Legenden der Juden und Jndier für nicht mehr zu nehmen, als sie
sind. Aber der Protestant ist doch sein eigner Herr und hängt von keinem
Menschen ab. Mit seiner Bibel auf dem Sattel reist er bis ans Ende der
Welt, ohne sich um einen Gewissensberather oder den römischen Papst zu
bekümmern. Ganz anders der unglückliche Katholik. Seine Sclaveret ist
vollständig. Er kann weder denken noch handeln ohne Erlaubniß des Priesters.
Er weiß, ob er gut oder schlecht verfährt, erst wenn es der Priester ihm sagt.
Er kann selbst die Bibel nur mit geistlicher Erlaubniß lesen und erst des
Priesters Wort bürgt ihm für das richtige Verständniß des Gelesenen. Seine
Unterwerfung soll unbedingt sein. Die Vernunft soll er abdanken und die
Interessen seines Gewissens in die Hände desjenigen legen, der die Macht
hat, zu binden und zu lösen. Er muß nothwendig verdummen, sogar der
unsterbliche Pascal hat nach diesem Ziele gestrebt. Der Katholik soll in den
Händen der Kirche und des Papstes sicut baculus, wie ein Stab sein, oder
wie die Institutionen der Jesuiten sagen, sicut eaäavor, wie ein Leichnam.
Das ist die katholische Vollkommenheit. Und darum eben, oWilhelm,
danke ich Dir für die schreckliche Lehre, die Du den lateinischen
Racen gegeben hast!"--

Es ist interessant, wahrzunehmen, wie sich hier die extremen Anschauun¬
gen der Zeitgeschichte, die ultramontane und radicale, in der Vorschiebung
der confessionellen Seite der neuesten europäischen Umwälzung begegnen. Beide
sehen in Kaiser Wilhelm gleichsam nur einen neuen Gustav-Adolph. Davon,
daß Deutschland nach wie vor das klassische Land der "Parität" sein wird,


wo sie ihrem Secirmesser und Mikroskop Halt gebieten müßten. Aber da
erschienst Du, o Wilhelm! Mit einem Streich Deines Schwertes trafst
Du schwer das apostolische Oesterreich und mit einem anderen warfst Du den
Mann Dir zu Füßen, welcher die Rolle der allerchristlichsten Könige spielte!
Der Protestantismus triumphirt und die Kirche sieht sich auf den Vatican
beschränkt. Darin liegt ein Grund sich zu trösten, und ich habe es nöthig,
mir diesen Trost nicht entgehen zu lassen. Was man auch sei, Lutheraner,
Calvinist, Methodist, Puritaner, Presbyterianer. es liegt nichts daran! Man
protestirt, man empört sich gegen die Sklaverei der Vernunft, gegen die Un¬
terwerfung unter einen Menschen! Der Protestantismus hat uns die ersten
Schritte zur Freiheit gelehrt, die Erlösung des Gedankens und des Gewissens.
Das ist sein großes Werk. Die einzelnen Verschiedenheiten des Dogmas und
des Cultus sind ohne Bedeutung. Alte Weiber und verdrehte Köpfe, Dok¬
toren und Sylbenstecher mögen sich damit beschäftigen. Der Protestant glaubt
der frei von ihm ausgelegten Bibel. Darauf kommt es an, denn dadurch
allein ist er frei und von nichts abhängig, als von seinem Gewissen. Sicher¬
lich wäre es noch besser, nur die Wissenschaft für heilig zu halten und die
religiösen Legenden der Juden und Jndier für nicht mehr zu nehmen, als sie
sind. Aber der Protestant ist doch sein eigner Herr und hängt von keinem
Menschen ab. Mit seiner Bibel auf dem Sattel reist er bis ans Ende der
Welt, ohne sich um einen Gewissensberather oder den römischen Papst zu
bekümmern. Ganz anders der unglückliche Katholik. Seine Sclaveret ist
vollständig. Er kann weder denken noch handeln ohne Erlaubniß des Priesters.
Er weiß, ob er gut oder schlecht verfährt, erst wenn es der Priester ihm sagt.
Er kann selbst die Bibel nur mit geistlicher Erlaubniß lesen und erst des
Priesters Wort bürgt ihm für das richtige Verständniß des Gelesenen. Seine
Unterwerfung soll unbedingt sein. Die Vernunft soll er abdanken und die
Interessen seines Gewissens in die Hände desjenigen legen, der die Macht
hat, zu binden und zu lösen. Er muß nothwendig verdummen, sogar der
unsterbliche Pascal hat nach diesem Ziele gestrebt. Der Katholik soll in den
Händen der Kirche und des Papstes sicut baculus, wie ein Stab sein, oder
wie die Institutionen der Jesuiten sagen, sicut eaäavor, wie ein Leichnam.
Das ist die katholische Vollkommenheit. Und darum eben, oWilhelm,
danke ich Dir für die schreckliche Lehre, die Du den lateinischen
Racen gegeben hast!"--

Es ist interessant, wahrzunehmen, wie sich hier die extremen Anschauun¬
gen der Zeitgeschichte, die ultramontane und radicale, in der Vorschiebung
der confessionellen Seite der neuesten europäischen Umwälzung begegnen. Beide
sehen in Kaiser Wilhelm gleichsam nur einen neuen Gustav-Adolph. Davon,
daß Deutschland nach wie vor das klassische Land der „Parität" sein wird,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/206>, abgerufen am 01.07.2024.