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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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über die Hälfte des Landes verfügte. Und dazu müsse man noch außerdem
die Besitzer von größeren Vermögen anderer Art als Landbesitz, sowohl auf
dem Lande als in der Stadt rechnen. Oder wenn es nicht als prac-
tisch oder ausführbar erschiene, das Stimmrecht zu den Lagthingswcchlen
auf diese Weise einzuschränken, so hätte man außerdem noch das
System des gradirenden Stimmrechts zur Verfügung. Man könnte alle
Stimmberechtigten darnach auch an den Lagthingswahlen Theil nehmen lassen
und sie, nach Besitz, Vermögen oder Einnahme in verschiedene Classen ein¬
theilen, welche alle eine gleiche Anzahl Wahlmänner wählten. Durch eins
oder das andere dieser Mittel würde man einen Lagthing erhalten, dem die
vermögenden und aufgeklärten Classen sich mit Vertrauen hingeben würden
und der in seiner Zusammensetzung und Macht die genügende Sicherheit bie¬
ten würde, um den Weiterausbau der Verfassung vorzunehmen. Das sind
im Großen und Ganzen die Grundzüge, nach denen die Herren Aschehong
und Kyhn,' resp, mit ihnen die conservative Partei, den neuen Lagthing als
Oberhaus herzustellen gedenkt.

Geht man diese Vorschläge im einzelnen durch, so ist auffällig / daß der
sich durch alle hindurchziehende Grundzug der größere Besitz ist, und daß so¬
mit der ganzen neuen Verfassung der Stempel der Plutokratie aufgedrückt
wird. Und dieses Kennzeichen ist nicht unberechtigt, denn in Wirklichkeit ist
im Augenblick der größere Besitz wesentlich und vor Allem Anderen das Mo¬
ment, welches hier in Norwegen social und politisch eine hervorragende Stel¬
lung giebt. Blickt man zurück auf die ganze geschichtliche Entwicklung Nor¬
wegens, so steht man, daß sich das Land in einer merkwürdig von andern
Ländern verschiedenen Weise entwickelt hat und daß daher der ganze Charakter
der Gesellschaft ein durchaus eigenartiger ist. Das, was in den meisten euro¬
päischen Ländern und namentlich in Deutschland fortwährend deutlich zu Tage
trat und der ganzen Geschichte seinen Stempel aufdrückte, war das Vorhan¬
densein einer bevorrechteten Kaste, eines Adels, und der Kampf der minder
berechtigten Classen gegen diese. Dies Element fällt in Norwegen ganz fort.
Ein Landesadel, in der eigentlichen Bedeutung des Worts, hat nie existirt und
Wenn auch heute einzelne adlige Namen vorkommen, so sind dies doch eben
nur die Namen, und seitdem im Jahre 182t der Adel auch noch formell
aufgehoben worden ist, existiren auch diese kaum noch mehr. Die ganze Be¬
völkerung trägt daher einen gleichartigen Charakter, ohne stark hervortretende
sociale Unterschiede. Auf dem Lande namentlich zwischen den Bauern eristirt
eine große Gleichartigkeit der Lebensanschauungen, die besonders hervorgerufen
wurde durch den wegen der großen Entfernungen erschwerten Verkehr mit den
Bewohnern der Städte und die dadurch verminderte Kenntniß fremder Ver¬
hältnisse. Große Landwirthschaften giebt es in Norwegen fast gar nicht und


über die Hälfte des Landes verfügte. Und dazu müsse man noch außerdem
die Besitzer von größeren Vermögen anderer Art als Landbesitz, sowohl auf
dem Lande als in der Stadt rechnen. Oder wenn es nicht als prac-
tisch oder ausführbar erschiene, das Stimmrecht zu den Lagthingswcchlen
auf diese Weise einzuschränken, so hätte man außerdem noch das
System des gradirenden Stimmrechts zur Verfügung. Man könnte alle
Stimmberechtigten darnach auch an den Lagthingswahlen Theil nehmen lassen
und sie, nach Besitz, Vermögen oder Einnahme in verschiedene Classen ein¬
theilen, welche alle eine gleiche Anzahl Wahlmänner wählten. Durch eins
oder das andere dieser Mittel würde man einen Lagthing erhalten, dem die
vermögenden und aufgeklärten Classen sich mit Vertrauen hingeben würden
und der in seiner Zusammensetzung und Macht die genügende Sicherheit bie¬
ten würde, um den Weiterausbau der Verfassung vorzunehmen. Das sind
im Großen und Ganzen die Grundzüge, nach denen die Herren Aschehong
und Kyhn,' resp, mit ihnen die conservative Partei, den neuen Lagthing als
Oberhaus herzustellen gedenkt.

Geht man diese Vorschläge im einzelnen durch, so ist auffällig / daß der
sich durch alle hindurchziehende Grundzug der größere Besitz ist, und daß so¬
mit der ganzen neuen Verfassung der Stempel der Plutokratie aufgedrückt
wird. Und dieses Kennzeichen ist nicht unberechtigt, denn in Wirklichkeit ist
im Augenblick der größere Besitz wesentlich und vor Allem Anderen das Mo¬
ment, welches hier in Norwegen social und politisch eine hervorragende Stel¬
lung giebt. Blickt man zurück auf die ganze geschichtliche Entwicklung Nor¬
wegens, so steht man, daß sich das Land in einer merkwürdig von andern
Ländern verschiedenen Weise entwickelt hat und daß daher der ganze Charakter
der Gesellschaft ein durchaus eigenartiger ist. Das, was in den meisten euro¬
päischen Ländern und namentlich in Deutschland fortwährend deutlich zu Tage
trat und der ganzen Geschichte seinen Stempel aufdrückte, war das Vorhan¬
densein einer bevorrechteten Kaste, eines Adels, und der Kampf der minder
berechtigten Classen gegen diese. Dies Element fällt in Norwegen ganz fort.
Ein Landesadel, in der eigentlichen Bedeutung des Worts, hat nie existirt und
Wenn auch heute einzelne adlige Namen vorkommen, so sind dies doch eben
nur die Namen, und seitdem im Jahre 182t der Adel auch noch formell
aufgehoben worden ist, existiren auch diese kaum noch mehr. Die ganze Be¬
völkerung trägt daher einen gleichartigen Charakter, ohne stark hervortretende
sociale Unterschiede. Auf dem Lande namentlich zwischen den Bauern eristirt
eine große Gleichartigkeit der Lebensanschauungen, die besonders hervorgerufen
wurde durch den wegen der großen Entfernungen erschwerten Verkehr mit den
Bewohnern der Städte und die dadurch verminderte Kenntniß fremder Ver¬
hältnisse. Große Landwirthschaften giebt es in Norwegen fast gar nicht und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/189>, abgerufen am 23.07.2024.