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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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der in unserer Zeit wieder so viel genannten, geschafft, um daselbst zeitlebens,
volle einunddreißig Jahre zu schmachten. Wohl die schwerste Strafe, die je
für lateinische Daktylen verhängt worden ist! Beispiele von solch langer
Haft kamen übrigens fast nur vor, wenn es sich um die beleidigte Majestät
und in zweiter Linie um die Kirche handelte. Für derartige Vergehen kannte
der Monarch keine Gnade. Dagegen wurden die in den Ressort der Civilge-
' richtsbarkeit gehörigen Fälle häufig mit auffallender Milde behandelt. Wenn
ein Verbrechen der ersteren Gattung vorlag, blieben sogar die Verwendung
der mächtigsten Maitressen oder der Hinweis auf hohe Geburt und nahe Be¬
ziehungen zum Throne erfolglos, denn die Kirche und der Staat waren nach
Ludwig's bekannter Auffassungsweise so zu sagen Eins mit seiner Person.
Wie unerbittlich er dann sein konnte, zeigt die es,us<z eölvdrv des General¬
intendanten Fouquet. Ueber Fouquet's Schuld oder Unschuld haben die
Meinungen von jeher geschwankt. Corneille und La Fontaine hielten ihn
für schuldig. In der Neuzeit ist der Versuch gemacht worden, den Nachweis
zu liefern, daß er das Opfer persönlicher Chicanen war, und daß Colbert's
Haß und die Verwegenheit, mit der Fouquet die Treue der königlichen Favori¬
tin la Balliere durch ein Geschenk von 120,000 Thalern auf die Probe stellte,
die Katastrophe herbeigeführt habe. Das nunmehr in seinem ganzen Umfange
vorliegende Material der im Bastillenarchiv enthaltenen Proceßacten läßt keinen
Zweifel an der Schuld des großen Angeklagten zu. Es geht aus denselben
hervor, daß seine ganze Amtsthätigkeit im Laufe vieler Jahre ein einziges
großes Gewebe fortgesetzter, bezüglicher Machinationen gewesen ist. Fouquet
ließ den Staatsgläubigern statt der Baarzahlungen Anweisungen auf die öffent¬
lichen Kassen einhändigen, welche letztere auf sein Geheiß anstatt klingender
Münze Wechsel auf die Steuerpächter oder säumigen Steuerpflichtigen auf¬
stellten. Diese Tratten wurden meistens nicht acceptirt und kamen mit Pro¬
test zurück. Dann ließ die Generalkasse neue ausstellen, die ebensowenig wie
die ersten honorirt wurden. Zuletzt schlugen die geprellten Empfänger, im
Gefühle ihrer Ohnmacht gegenüber dem mächtigen Minister, um wenigstens
einen Bruchtheil zu erlangen, auf dem Wege des Börsengeschäftes die Papiere
an den Meistbietenden los. Fouquet kaufte dieselben durch seine zahlreichen
Agenten und Creaturen wieder auf, duchte sie zu Gunsten der Hauptkasse als
geleistete Baarzcchlung zum Vollwerth und ließ die Differenz zwischen dem
letzteren und der Rückkaufssumme in seine Privatschatulle fließen. Von den
Steuerpächtern und Verwaltungsbeamten erpreßte er ungeheure Summen, in¬
dem er in Weigerungsfällen mit Gehaltsverringerung drohte. War eine
Staatsanleihe im Gange, so nahm er sämmtliche Zeichnungen ohne alle Con¬
trols in Empfang und hauste damit nach Gutdünken. Um endlich das Maaß
voll zu machen, betrieb er den Wachs- und Zuckerhandel in der Normandie


der in unserer Zeit wieder so viel genannten, geschafft, um daselbst zeitlebens,
volle einunddreißig Jahre zu schmachten. Wohl die schwerste Strafe, die je
für lateinische Daktylen verhängt worden ist! Beispiele von solch langer
Haft kamen übrigens fast nur vor, wenn es sich um die beleidigte Majestät
und in zweiter Linie um die Kirche handelte. Für derartige Vergehen kannte
der Monarch keine Gnade. Dagegen wurden die in den Ressort der Civilge-
' richtsbarkeit gehörigen Fälle häufig mit auffallender Milde behandelt. Wenn
ein Verbrechen der ersteren Gattung vorlag, blieben sogar die Verwendung
der mächtigsten Maitressen oder der Hinweis auf hohe Geburt und nahe Be¬
ziehungen zum Throne erfolglos, denn die Kirche und der Staat waren nach
Ludwig's bekannter Auffassungsweise so zu sagen Eins mit seiner Person.
Wie unerbittlich er dann sein konnte, zeigt die es,us<z eölvdrv des General¬
intendanten Fouquet. Ueber Fouquet's Schuld oder Unschuld haben die
Meinungen von jeher geschwankt. Corneille und La Fontaine hielten ihn
für schuldig. In der Neuzeit ist der Versuch gemacht worden, den Nachweis
zu liefern, daß er das Opfer persönlicher Chicanen war, und daß Colbert's
Haß und die Verwegenheit, mit der Fouquet die Treue der königlichen Favori¬
tin la Balliere durch ein Geschenk von 120,000 Thalern auf die Probe stellte,
die Katastrophe herbeigeführt habe. Das nunmehr in seinem ganzen Umfange
vorliegende Material der im Bastillenarchiv enthaltenen Proceßacten läßt keinen
Zweifel an der Schuld des großen Angeklagten zu. Es geht aus denselben
hervor, daß seine ganze Amtsthätigkeit im Laufe vieler Jahre ein einziges
großes Gewebe fortgesetzter, bezüglicher Machinationen gewesen ist. Fouquet
ließ den Staatsgläubigern statt der Baarzahlungen Anweisungen auf die öffent¬
lichen Kassen einhändigen, welche letztere auf sein Geheiß anstatt klingender
Münze Wechsel auf die Steuerpächter oder säumigen Steuerpflichtigen auf¬
stellten. Diese Tratten wurden meistens nicht acceptirt und kamen mit Pro¬
test zurück. Dann ließ die Generalkasse neue ausstellen, die ebensowenig wie
die ersten honorirt wurden. Zuletzt schlugen die geprellten Empfänger, im
Gefühle ihrer Ohnmacht gegenüber dem mächtigen Minister, um wenigstens
einen Bruchtheil zu erlangen, auf dem Wege des Börsengeschäftes die Papiere
an den Meistbietenden los. Fouquet kaufte dieselben durch seine zahlreichen
Agenten und Creaturen wieder auf, duchte sie zu Gunsten der Hauptkasse als
geleistete Baarzcchlung zum Vollwerth und ließ die Differenz zwischen dem
letzteren und der Rückkaufssumme in seine Privatschatulle fließen. Von den
Steuerpächtern und Verwaltungsbeamten erpreßte er ungeheure Summen, in¬
dem er in Weigerungsfällen mit Gehaltsverringerung drohte. War eine
Staatsanleihe im Gange, so nahm er sämmtliche Zeichnungen ohne alle Con¬
trols in Empfang und hauste damit nach Gutdünken. Um endlich das Maaß
voll zu machen, betrieb er den Wachs- und Zuckerhandel in der Normandie


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[0136] der in unserer Zeit wieder so viel genannten, geschafft, um daselbst zeitlebens, volle einunddreißig Jahre zu schmachten. Wohl die schwerste Strafe, die je für lateinische Daktylen verhängt worden ist! Beispiele von solch langer Haft kamen übrigens fast nur vor, wenn es sich um die beleidigte Majestät und in zweiter Linie um die Kirche handelte. Für derartige Vergehen kannte der Monarch keine Gnade. Dagegen wurden die in den Ressort der Civilge- ' richtsbarkeit gehörigen Fälle häufig mit auffallender Milde behandelt. Wenn ein Verbrechen der ersteren Gattung vorlag, blieben sogar die Verwendung der mächtigsten Maitressen oder der Hinweis auf hohe Geburt und nahe Be¬ ziehungen zum Throne erfolglos, denn die Kirche und der Staat waren nach Ludwig's bekannter Auffassungsweise so zu sagen Eins mit seiner Person. Wie unerbittlich er dann sein konnte, zeigt die es,us<z eölvdrv des General¬ intendanten Fouquet. Ueber Fouquet's Schuld oder Unschuld haben die Meinungen von jeher geschwankt. Corneille und La Fontaine hielten ihn für schuldig. In der Neuzeit ist der Versuch gemacht worden, den Nachweis zu liefern, daß er das Opfer persönlicher Chicanen war, und daß Colbert's Haß und die Verwegenheit, mit der Fouquet die Treue der königlichen Favori¬ tin la Balliere durch ein Geschenk von 120,000 Thalern auf die Probe stellte, die Katastrophe herbeigeführt habe. Das nunmehr in seinem ganzen Umfange vorliegende Material der im Bastillenarchiv enthaltenen Proceßacten läßt keinen Zweifel an der Schuld des großen Angeklagten zu. Es geht aus denselben hervor, daß seine ganze Amtsthätigkeit im Laufe vieler Jahre ein einziges großes Gewebe fortgesetzter, bezüglicher Machinationen gewesen ist. Fouquet ließ den Staatsgläubigern statt der Baarzahlungen Anweisungen auf die öffent¬ lichen Kassen einhändigen, welche letztere auf sein Geheiß anstatt klingender Münze Wechsel auf die Steuerpächter oder säumigen Steuerpflichtigen auf¬ stellten. Diese Tratten wurden meistens nicht acceptirt und kamen mit Pro¬ test zurück. Dann ließ die Generalkasse neue ausstellen, die ebensowenig wie die ersten honorirt wurden. Zuletzt schlugen die geprellten Empfänger, im Gefühle ihrer Ohnmacht gegenüber dem mächtigen Minister, um wenigstens einen Bruchtheil zu erlangen, auf dem Wege des Börsengeschäftes die Papiere an den Meistbietenden los. Fouquet kaufte dieselben durch seine zahlreichen Agenten und Creaturen wieder auf, duchte sie zu Gunsten der Hauptkasse als geleistete Baarzcchlung zum Vollwerth und ließ die Differenz zwischen dem letzteren und der Rückkaufssumme in seine Privatschatulle fließen. Von den Steuerpächtern und Verwaltungsbeamten erpreßte er ungeheure Summen, in¬ dem er in Weigerungsfällen mit Gehaltsverringerung drohte. War eine Staatsanleihe im Gange, so nahm er sämmtliche Zeichnungen ohne alle Con¬ trols in Empfang und hauste damit nach Gutdünken. Um endlich das Maaß voll zu machen, betrieb er den Wachs- und Zuckerhandel in der Normandie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/136>, abgerufen am 23.07.2024.