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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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zweifelhaft eines der freisinnigsten Preßgesetze aller geordneten Staaten. Daß
die deutschen Regierungen inmitten der hohen Wogen des entfesselten ultra¬
montanen und socialistischen Elementes ein solches Maß von Freiheit der
Presse zu gewähren wagten, ist ein erfreulicher Beweis ihrer Stärke. Die im
Herbst wieder aufgenommene parlamentarische Arbeit berieth bis zum Schlüsse
des Jahres über die Verhältnisse der neuen Reichslande, vornehmlich in finan¬
zieller Beziehung, bildete das deutsche Heereswesen weiter aus durch das Land¬
sturmgesetz, das Gesetz über die Controle der Beurlaubten und die Natural¬
leistungen der bewaffneten Macht im Frieden. Der Haushaltetat des Reiches
wurde durchberathen, das Markenschutzgesetz, der wichtige berner Weltpost¬
vertrag u. f. w. angenommen, und mit der Berathung der großen drei Justiz¬
gesetze und des Bankgesetzes begonnen, die der Reichstag endgültig feststellen
wird, bevor er auseinandergeht. Auch ein Reichsgesetz über die obligatorische
Civilehe wird vom Reichstag angenommen werden, ehe er sich zu seiner Früh¬
jahrssitzung vertagt. Diese Frühjahrssitzung selbst wird dann das Reich mit
denlgroßen Justizgesetzen beschenken: einer deutschen Straf- und Civilproce߬
ordnung und einer deutschen Gerichtsordnung. Alle diese Arbeiten kommen
unzweifelhaft dem nationalen Geiste, der Befestigung deutschen Gemeinseins
und deutscher Staatsmacht in hohem Maße zu statten. Das Gesetz über die
obligatorische Civilehe namentlich windet der hierarchischen Unbotmäßigkeit eine
der besten Waffen ausser Hand. Wir wollen nicht vergessen, daß die Ein¬
mischung der Kurie in die preußische Ehegesetzgebung es war. die den Kölner
Bischofstreit entzündete, daß die lange Ohnmacht des preußischen Staates der
kirchlichen Anmaßung gegenüber, deren bittere Früchte wir heute ernten, datirt
von der Unterwerfung des Staates unter jene Prätension der Kirche: daß ihr
Segen allein Ehen schließe, ihre Weigerung der Mitwirkung jeder Ehebindung
das gesetzliche Ansehen entziehe.

Diese Erfolge der parlamentarischen Arbeit des deutschen Reichstags sind
für den großen "Kulturkampf" um so höher zu veranschlagen, als jede
Session des deutschen Reichstags neue Belege zu der unleugbaren Thatsache
beiträgt, daß nur die reichstreuen Parteien die parlamentarische Arbeit
wirklich fruchtbringend machen, die reichsfeindliche Opposition aller Farben
dagegen völlig unproductiven Zielen nachjagt, oder an so absoluter gesetz¬
geberischer und parlamentarischer Impotenz leidet, wie die deutsche Social¬
demokratie. Es kann keinen kläglicheren Gegensatz geben,' als den zwischen
den himmelstürmenden Phrasen der Socialdemokratie bei den Wahlkämpfen
und ihrer vollkommenen Unfähigkeit, irgend einen neuen klaren Gedanken im
Parlament vorzutragen, irgend eine ihrer Forderungen in die Form eines
Gesetzentwurfes zu bringen, oder sich irgendwie bei der Berathung anderer
Gesetzentwürfe nützlich zu machen. Ebenso abschreckend von aller Parteinahme


zweifelhaft eines der freisinnigsten Preßgesetze aller geordneten Staaten. Daß
die deutschen Regierungen inmitten der hohen Wogen des entfesselten ultra¬
montanen und socialistischen Elementes ein solches Maß von Freiheit der
Presse zu gewähren wagten, ist ein erfreulicher Beweis ihrer Stärke. Die im
Herbst wieder aufgenommene parlamentarische Arbeit berieth bis zum Schlüsse
des Jahres über die Verhältnisse der neuen Reichslande, vornehmlich in finan¬
zieller Beziehung, bildete das deutsche Heereswesen weiter aus durch das Land¬
sturmgesetz, das Gesetz über die Controle der Beurlaubten und die Natural¬
leistungen der bewaffneten Macht im Frieden. Der Haushaltetat des Reiches
wurde durchberathen, das Markenschutzgesetz, der wichtige berner Weltpost¬
vertrag u. f. w. angenommen, und mit der Berathung der großen drei Justiz¬
gesetze und des Bankgesetzes begonnen, die der Reichstag endgültig feststellen
wird, bevor er auseinandergeht. Auch ein Reichsgesetz über die obligatorische
Civilehe wird vom Reichstag angenommen werden, ehe er sich zu seiner Früh¬
jahrssitzung vertagt. Diese Frühjahrssitzung selbst wird dann das Reich mit
denlgroßen Justizgesetzen beschenken: einer deutschen Straf- und Civilproce߬
ordnung und einer deutschen Gerichtsordnung. Alle diese Arbeiten kommen
unzweifelhaft dem nationalen Geiste, der Befestigung deutschen Gemeinseins
und deutscher Staatsmacht in hohem Maße zu statten. Das Gesetz über die
obligatorische Civilehe namentlich windet der hierarchischen Unbotmäßigkeit eine
der besten Waffen ausser Hand. Wir wollen nicht vergessen, daß die Ein¬
mischung der Kurie in die preußische Ehegesetzgebung es war. die den Kölner
Bischofstreit entzündete, daß die lange Ohnmacht des preußischen Staates der
kirchlichen Anmaßung gegenüber, deren bittere Früchte wir heute ernten, datirt
von der Unterwerfung des Staates unter jene Prätension der Kirche: daß ihr
Segen allein Ehen schließe, ihre Weigerung der Mitwirkung jeder Ehebindung
das gesetzliche Ansehen entziehe.

Diese Erfolge der parlamentarischen Arbeit des deutschen Reichstags sind
für den großen „Kulturkampf" um so höher zu veranschlagen, als jede
Session des deutschen Reichstags neue Belege zu der unleugbaren Thatsache
beiträgt, daß nur die reichstreuen Parteien die parlamentarische Arbeit
wirklich fruchtbringend machen, die reichsfeindliche Opposition aller Farben
dagegen völlig unproductiven Zielen nachjagt, oder an so absoluter gesetz¬
geberischer und parlamentarischer Impotenz leidet, wie die deutsche Social¬
demokratie. Es kann keinen kläglicheren Gegensatz geben,' als den zwischen
den himmelstürmenden Phrasen der Socialdemokratie bei den Wahlkämpfen
und ihrer vollkommenen Unfähigkeit, irgend einen neuen klaren Gedanken im
Parlament vorzutragen, irgend eine ihrer Forderungen in die Form eines
Gesetzentwurfes zu bringen, oder sich irgendwie bei der Berathung anderer
Gesetzentwürfe nützlich zu machen. Ebenso abschreckend von aller Parteinahme


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/12>, abgerufen am 23.07.2024.