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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Nissen. Einmüthig war die deutsche Kritik über Bret Harte's Argonauten-
Geschichten auch darin, daß nur einem Dichter von Gottes Gnaden gelingen
könne, aus dem groben und gemeinen Stoff des kalifornischen Minenlebens
das echte Gold der Poesie herauszuschlagen in solcher Reinheit und Feinheit,
daß alle Welt das Edelmetall, das Bret Harte dem spröden Boden ab.
gewonnen, als solches anerkennen mußte. Namentlich lehrte jeder Vergleich
seiner Argonauten-Geschichten mit den Schriften unserer deutschen Kalifornia-
Reisenden und Amerika-Schilderer. wie unendlich hoch an poetischem Werthe
jede der kleinen anspruchslosen Novellen Bret Harte's über all den dickleibigen
und mit aller Kunst der Reclame zu angeblichen Ehrendenkmalen deutscher
Literatur aufgeblasenen Roman-Bänden stehe, welche von Deutschen über die¬
selben Stoffe geschrieben worden sind. Nur das Eine ist Bret Harte's
Schreibweise nicht ohne Grund zum Vorwurf gemacht worden, was an an¬
deren Stellen man gern als einen seiner größten Vorzüge anerkennen wird:
seine Kürze und Gedrungenheit in der Schilderung und Entwickelung nämlich
erzielt oft den allergrößten Erfolg, beweist häufig in überraschender Weise
seine poetische Kraft; aber keineswegs selten verdirbt sie auch die Klarheit
und Anschaulichkeit des Bildes, und namentlich des Fadens der Handlung.
Die Situationen, die Charaktere, die Sprachmanieren der Argonauten Bret-
Harte's sind uns ja ohnehin nicht ganz geläufig, und offen gestanden auch
nicht immer ganz behaglich. Für einen genauen Kenner der neuen und in¬
sonderheit der kalifornischen Welt mögen diese kurzen scharfen Striche. über
die Bret-Harte höchst selten hinausgeht, genügen; die Phantasie oder Lebens¬
erfahrung mag dem Kenner die wenigen Umrisse des Künstlers von selbst
"Ut Licht und Schatten füllen. Uns dagegen werden sie nicht immer genügen,
uns nicht selten den Eindruck einer allzu flüchtigen Skizze zurücklassen. --

Es wird natürlich nie im Ernste unternommen werden können, die höchst
eigenthümliche Art Bret-Harte's der eines anderen Schriftstellers nahe zu
stellen. Und sicherlich erscheint sein Landsmann Thomas Bailey Aldrich.
heute bei den Lesern d. Bl. eingeführt werden soll, dem Dichter der
Argonauten-Geschichten auf den ersten Blick so unähnlich als möglich. Humor
Kird freilich niemand Bret-Harte absprechen. Aber die Tiefe seiner Seele ist
durchaus ernst. Er besitzt eine besondere Kunst darin, und eine besondere
Vorliebe dafür, seine Geschichten lustig anzufangen und mit Frohsinn und
Heiterkeit anzufüllen, und dann plötzlich mit einem Accord zu schließen, der
uns den tiefsten Ernst des Menschenlebens ausspricht. Thomas Bailey Aldrich
ist darin gerade das Gegentheil von Bret-Harte. Auch er ist sicherlich weit
entfernt von einer leichten oder gar frivolen Auffassung des Lebens, mensch¬
licher Strebungen und menschlicher Bestimmung. Er ist ein vortrefflicher
Beobachter und Schilderer auch der ernstesten Züge des menschlichen Herzens;


Nissen. Einmüthig war die deutsche Kritik über Bret Harte's Argonauten-
Geschichten auch darin, daß nur einem Dichter von Gottes Gnaden gelingen
könne, aus dem groben und gemeinen Stoff des kalifornischen Minenlebens
das echte Gold der Poesie herauszuschlagen in solcher Reinheit und Feinheit,
daß alle Welt das Edelmetall, das Bret Harte dem spröden Boden ab.
gewonnen, als solches anerkennen mußte. Namentlich lehrte jeder Vergleich
seiner Argonauten-Geschichten mit den Schriften unserer deutschen Kalifornia-
Reisenden und Amerika-Schilderer. wie unendlich hoch an poetischem Werthe
jede der kleinen anspruchslosen Novellen Bret Harte's über all den dickleibigen
und mit aller Kunst der Reclame zu angeblichen Ehrendenkmalen deutscher
Literatur aufgeblasenen Roman-Bänden stehe, welche von Deutschen über die¬
selben Stoffe geschrieben worden sind. Nur das Eine ist Bret Harte's
Schreibweise nicht ohne Grund zum Vorwurf gemacht worden, was an an¬
deren Stellen man gern als einen seiner größten Vorzüge anerkennen wird:
seine Kürze und Gedrungenheit in der Schilderung und Entwickelung nämlich
erzielt oft den allergrößten Erfolg, beweist häufig in überraschender Weise
seine poetische Kraft; aber keineswegs selten verdirbt sie auch die Klarheit
und Anschaulichkeit des Bildes, und namentlich des Fadens der Handlung.
Die Situationen, die Charaktere, die Sprachmanieren der Argonauten Bret-
Harte's sind uns ja ohnehin nicht ganz geläufig, und offen gestanden auch
nicht immer ganz behaglich. Für einen genauen Kenner der neuen und in¬
sonderheit der kalifornischen Welt mögen diese kurzen scharfen Striche. über
die Bret-Harte höchst selten hinausgeht, genügen; die Phantasie oder Lebens¬
erfahrung mag dem Kenner die wenigen Umrisse des Künstlers von selbst
"Ut Licht und Schatten füllen. Uns dagegen werden sie nicht immer genügen,
uns nicht selten den Eindruck einer allzu flüchtigen Skizze zurücklassen. —

Es wird natürlich nie im Ernste unternommen werden können, die höchst
eigenthümliche Art Bret-Harte's der eines anderen Schriftstellers nahe zu
stellen. Und sicherlich erscheint sein Landsmann Thomas Bailey Aldrich.
heute bei den Lesern d. Bl. eingeführt werden soll, dem Dichter der
Argonauten-Geschichten auf den ersten Blick so unähnlich als möglich. Humor
Kird freilich niemand Bret-Harte absprechen. Aber die Tiefe seiner Seele ist
durchaus ernst. Er besitzt eine besondere Kunst darin, und eine besondere
Vorliebe dafür, seine Geschichten lustig anzufangen und mit Frohsinn und
Heiterkeit anzufüllen, und dann plötzlich mit einem Accord zu schließen, der
uns den tiefsten Ernst des Menschenlebens ausspricht. Thomas Bailey Aldrich
ist darin gerade das Gegentheil von Bret-Harte. Auch er ist sicherlich weit
entfernt von einer leichten oder gar frivolen Auffassung des Lebens, mensch¬
licher Strebungen und menschlicher Bestimmung. Er ist ein vortrefflicher
Beobachter und Schilderer auch der ernstesten Züge des menschlichen Herzens;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/97>, abgerufen am 28.12.2024.