Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr. Ob zwischen Herodes, dem tyrannischen Emporkömmling, der Creatur
der Römer, und dem Sproß vom alten königlichen Stamm, der stolzen
Makkabäerin Marianne jemals ein Verhältniß gegenseitiger wahrhaftiger Liebe
bestehen konnte, ist ein psychologisches Problem, über welches sich streiten
ließe. Hebbel setzt ein solches Verhältniß als thatsächlich vorhanden gewesen
voraus und wir müssen uns darein finden. Das aber ist kein Zweifel: nach¬
dem Herodes der Gattin den Bruder hat ermorden lassen, ist die Möglichkeit
eines glücklichen Zusammenlebens auf immer zerstört. Und so ist die Lage
am Beginn des Stückes. Daß diese Menschen zu Grunde gehen müssen, ist
von vornherein ausgemacht; mit einer gewissen Resignation beschränkt sich
unsere Neugier darauf, zu erfahren, wie sie zu Grunde gehen. Der Gang
der Handlung ist träge; noch schlimmer, das Motiv, welches den Conflict auf
die Spitze treibt, wiederholt sich in voller Breite. Der letzte Act wird in
bedenklichster Weise zerrissen. Eben ist Marianne zum Tode gegangen; die
Zeugen der Hinrichtung sind noch nicht zurück, den Ausgang zu melden. In
diesem gräßlichen Augenblicke erscheinen plötzlich "die drei Könige aus dem
Morgenlande", leibhaftig jene halb ehrwürdigen, halb komischen Gestalten,
wie wir sie als Kinder in den Wachsfigurenbuden gesehen, selbstverständlich
nicht ohne ein Trompetercorps und eine pompöse Garnitur von Dienern!
Freilich ist es ein großartiger Gedanke, den edomitischen Parvenu, in dem
Momente, da er das alte Königshaus bis auf den Grund ausgerottet hat,
durch die Kunde von dem neuen König der Könige niederzuschmettern. Aber
die Weise, wie dies hier geschieht, ist dramatisch unhaltbar; auf dieser äußersten
Höhe verträgt die Handlung keine Episode mehr; auch passen die durch und
durch mythischen Figuren nicht in diese reale Welt von, bei Licht besehen, sehr
modernen Menschen. Auf Herodes freilich muß der Vorgang einen Eindruck
machen, der in Verbindung mit der unmittelbar darauf folgenden Gewißheit,
daß Marianne unschuldig hingerichtet worden, einen Ausbruch von Raserei
vollauf begreiflich macht. Der Zuschauer aber wird die Störung nicht mehr
überwinden. Dazu gesellt sich ein ganz unbefriedigender Schluß. In seinem
Wahnsinn befiehlt Herodes den allgemeinen Kindermord in Bethlehem; dann
bricht er zusammen. Ob er stirbt oder ob er weiter wüthet, bleibt ungewiß.
Ohne Zweifel hat der Dichter den Zuschauer durch die verheißungsvolle
Perspective in das auf den Trümmern des jüdischen Staates sich erhebende
neue Reich Gottes über trübe Meditationen hinweghelfen wollen; aber die
verfehlte Einschiebung dieser Perspective läßt ihn diesen Zweck nicht erreichen.
Und so verlassen wir das Haus ohne jenen harmonischen Eindruck, den jede
echte Tragödie nach der "Läuterung der Leidenschaften" im Gemüthe des
Hörers zurücklassen soll.

Vom Standpunkte der dramatischen Architektonik ist also das Hebbel'sche


mehr. Ob zwischen Herodes, dem tyrannischen Emporkömmling, der Creatur
der Römer, und dem Sproß vom alten königlichen Stamm, der stolzen
Makkabäerin Marianne jemals ein Verhältniß gegenseitiger wahrhaftiger Liebe
bestehen konnte, ist ein psychologisches Problem, über welches sich streiten
ließe. Hebbel setzt ein solches Verhältniß als thatsächlich vorhanden gewesen
voraus und wir müssen uns darein finden. Das aber ist kein Zweifel: nach¬
dem Herodes der Gattin den Bruder hat ermorden lassen, ist die Möglichkeit
eines glücklichen Zusammenlebens auf immer zerstört. Und so ist die Lage
am Beginn des Stückes. Daß diese Menschen zu Grunde gehen müssen, ist
von vornherein ausgemacht; mit einer gewissen Resignation beschränkt sich
unsere Neugier darauf, zu erfahren, wie sie zu Grunde gehen. Der Gang
der Handlung ist träge; noch schlimmer, das Motiv, welches den Conflict auf
die Spitze treibt, wiederholt sich in voller Breite. Der letzte Act wird in
bedenklichster Weise zerrissen. Eben ist Marianne zum Tode gegangen; die
Zeugen der Hinrichtung sind noch nicht zurück, den Ausgang zu melden. In
diesem gräßlichen Augenblicke erscheinen plötzlich „die drei Könige aus dem
Morgenlande", leibhaftig jene halb ehrwürdigen, halb komischen Gestalten,
wie wir sie als Kinder in den Wachsfigurenbuden gesehen, selbstverständlich
nicht ohne ein Trompetercorps und eine pompöse Garnitur von Dienern!
Freilich ist es ein großartiger Gedanke, den edomitischen Parvenu, in dem
Momente, da er das alte Königshaus bis auf den Grund ausgerottet hat,
durch die Kunde von dem neuen König der Könige niederzuschmettern. Aber
die Weise, wie dies hier geschieht, ist dramatisch unhaltbar; auf dieser äußersten
Höhe verträgt die Handlung keine Episode mehr; auch passen die durch und
durch mythischen Figuren nicht in diese reale Welt von, bei Licht besehen, sehr
modernen Menschen. Auf Herodes freilich muß der Vorgang einen Eindruck
machen, der in Verbindung mit der unmittelbar darauf folgenden Gewißheit,
daß Marianne unschuldig hingerichtet worden, einen Ausbruch von Raserei
vollauf begreiflich macht. Der Zuschauer aber wird die Störung nicht mehr
überwinden. Dazu gesellt sich ein ganz unbefriedigender Schluß. In seinem
Wahnsinn befiehlt Herodes den allgemeinen Kindermord in Bethlehem; dann
bricht er zusammen. Ob er stirbt oder ob er weiter wüthet, bleibt ungewiß.
Ohne Zweifel hat der Dichter den Zuschauer durch die verheißungsvolle
Perspective in das auf den Trümmern des jüdischen Staates sich erhebende
neue Reich Gottes über trübe Meditationen hinweghelfen wollen; aber die
verfehlte Einschiebung dieser Perspective läßt ihn diesen Zweck nicht erreichen.
Und so verlassen wir das Haus ohne jenen harmonischen Eindruck, den jede
echte Tragödie nach der „Läuterung der Leidenschaften" im Gemüthe des
Hörers zurücklassen soll.

Vom Standpunkte der dramatischen Architektonik ist also das Hebbel'sche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132300"/>
          <p xml:id="ID_236" prev="#ID_235"> mehr. Ob zwischen Herodes, dem tyrannischen Emporkömmling, der Creatur<lb/>
der Römer, und dem Sproß vom alten königlichen Stamm, der stolzen<lb/>
Makkabäerin Marianne jemals ein Verhältniß gegenseitiger wahrhaftiger Liebe<lb/>
bestehen konnte, ist ein psychologisches Problem, über welches sich streiten<lb/>
ließe. Hebbel setzt ein solches Verhältniß als thatsächlich vorhanden gewesen<lb/>
voraus und wir müssen uns darein finden. Das aber ist kein Zweifel: nach¬<lb/>
dem Herodes der Gattin den Bruder hat ermorden lassen, ist die Möglichkeit<lb/>
eines glücklichen Zusammenlebens auf immer zerstört. Und so ist die Lage<lb/>
am Beginn des Stückes. Daß diese Menschen zu Grunde gehen müssen, ist<lb/>
von vornherein ausgemacht; mit einer gewissen Resignation beschränkt sich<lb/>
unsere Neugier darauf, zu erfahren, wie sie zu Grunde gehen. Der Gang<lb/>
der Handlung ist träge; noch schlimmer, das Motiv, welches den Conflict auf<lb/>
die Spitze treibt, wiederholt sich in voller Breite. Der letzte Act wird in<lb/>
bedenklichster Weise zerrissen. Eben ist Marianne zum Tode gegangen; die<lb/>
Zeugen der Hinrichtung sind noch nicht zurück, den Ausgang zu melden. In<lb/>
diesem gräßlichen Augenblicke erscheinen plötzlich &#x201E;die drei Könige aus dem<lb/>
Morgenlande", leibhaftig jene halb ehrwürdigen, halb komischen Gestalten,<lb/>
wie wir sie als Kinder in den Wachsfigurenbuden gesehen, selbstverständlich<lb/>
nicht ohne ein Trompetercorps und eine pompöse Garnitur von Dienern!<lb/>
Freilich ist es ein großartiger Gedanke, den edomitischen Parvenu, in dem<lb/>
Momente, da er das alte Königshaus bis auf den Grund ausgerottet hat,<lb/>
durch die Kunde von dem neuen König der Könige niederzuschmettern. Aber<lb/>
die Weise, wie dies hier geschieht, ist dramatisch unhaltbar; auf dieser äußersten<lb/>
Höhe verträgt die Handlung keine Episode mehr; auch passen die durch und<lb/>
durch mythischen Figuren nicht in diese reale Welt von, bei Licht besehen, sehr<lb/>
modernen Menschen. Auf Herodes freilich muß der Vorgang einen Eindruck<lb/>
machen, der in Verbindung mit der unmittelbar darauf folgenden Gewißheit,<lb/>
daß Marianne unschuldig hingerichtet worden, einen Ausbruch von Raserei<lb/>
vollauf begreiflich macht. Der Zuschauer aber wird die Störung nicht mehr<lb/>
überwinden. Dazu gesellt sich ein ganz unbefriedigender Schluß. In seinem<lb/>
Wahnsinn befiehlt Herodes den allgemeinen Kindermord in Bethlehem; dann<lb/>
bricht er zusammen. Ob er stirbt oder ob er weiter wüthet, bleibt ungewiß.<lb/>
Ohne Zweifel hat der Dichter den Zuschauer durch die verheißungsvolle<lb/>
Perspective in das auf den Trümmern des jüdischen Staates sich erhebende<lb/>
neue Reich Gottes über trübe Meditationen hinweghelfen wollen; aber die<lb/>
verfehlte Einschiebung dieser Perspective läßt ihn diesen Zweck nicht erreichen.<lb/>
Und so verlassen wir das Haus ohne jenen harmonischen Eindruck, den jede<lb/>
echte Tragödie nach der &#x201E;Läuterung der Leidenschaften" im Gemüthe des<lb/>
Hörers zurücklassen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_237" next="#ID_238"> Vom Standpunkte der dramatischen Architektonik ist also das Hebbel'sche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] mehr. Ob zwischen Herodes, dem tyrannischen Emporkömmling, der Creatur der Römer, und dem Sproß vom alten königlichen Stamm, der stolzen Makkabäerin Marianne jemals ein Verhältniß gegenseitiger wahrhaftiger Liebe bestehen konnte, ist ein psychologisches Problem, über welches sich streiten ließe. Hebbel setzt ein solches Verhältniß als thatsächlich vorhanden gewesen voraus und wir müssen uns darein finden. Das aber ist kein Zweifel: nach¬ dem Herodes der Gattin den Bruder hat ermorden lassen, ist die Möglichkeit eines glücklichen Zusammenlebens auf immer zerstört. Und so ist die Lage am Beginn des Stückes. Daß diese Menschen zu Grunde gehen müssen, ist von vornherein ausgemacht; mit einer gewissen Resignation beschränkt sich unsere Neugier darauf, zu erfahren, wie sie zu Grunde gehen. Der Gang der Handlung ist träge; noch schlimmer, das Motiv, welches den Conflict auf die Spitze treibt, wiederholt sich in voller Breite. Der letzte Act wird in bedenklichster Weise zerrissen. Eben ist Marianne zum Tode gegangen; die Zeugen der Hinrichtung sind noch nicht zurück, den Ausgang zu melden. In diesem gräßlichen Augenblicke erscheinen plötzlich „die drei Könige aus dem Morgenlande", leibhaftig jene halb ehrwürdigen, halb komischen Gestalten, wie wir sie als Kinder in den Wachsfigurenbuden gesehen, selbstverständlich nicht ohne ein Trompetercorps und eine pompöse Garnitur von Dienern! Freilich ist es ein großartiger Gedanke, den edomitischen Parvenu, in dem Momente, da er das alte Königshaus bis auf den Grund ausgerottet hat, durch die Kunde von dem neuen König der Könige niederzuschmettern. Aber die Weise, wie dies hier geschieht, ist dramatisch unhaltbar; auf dieser äußersten Höhe verträgt die Handlung keine Episode mehr; auch passen die durch und durch mythischen Figuren nicht in diese reale Welt von, bei Licht besehen, sehr modernen Menschen. Auf Herodes freilich muß der Vorgang einen Eindruck machen, der in Verbindung mit der unmittelbar darauf folgenden Gewißheit, daß Marianne unschuldig hingerichtet worden, einen Ausbruch von Raserei vollauf begreiflich macht. Der Zuschauer aber wird die Störung nicht mehr überwinden. Dazu gesellt sich ein ganz unbefriedigender Schluß. In seinem Wahnsinn befiehlt Herodes den allgemeinen Kindermord in Bethlehem; dann bricht er zusammen. Ob er stirbt oder ob er weiter wüthet, bleibt ungewiß. Ohne Zweifel hat der Dichter den Zuschauer durch die verheißungsvolle Perspective in das auf den Trümmern des jüdischen Staates sich erhebende neue Reich Gottes über trübe Meditationen hinweghelfen wollen; aber die verfehlte Einschiebung dieser Perspective läßt ihn diesen Zweck nicht erreichen. Und so verlassen wir das Haus ohne jenen harmonischen Eindruck, den jede echte Tragödie nach der „Läuterung der Leidenschaften" im Gemüthe des Hörers zurücklassen soll. Vom Standpunkte der dramatischen Architektonik ist also das Hebbel'sche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/78>, abgerufen am 28.12.2024.