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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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sichere Feststellung der Majorität, als auch für die zuverlässige Kenntniß der
Freunde der Resolution.

Die Berathung über einen klerikalen Antrag aus dem Elsaß, das neue
deutsche Unterrichtsgesetz in den Neichslanden wieder aufzuheben, können wir
getrost übergehen. Diese Art von Debatten sind Redeturniere, mit einer
regelmäßigen Motion habitueller Leidenschaften verbunden, aber sachlich ganz
werthlos. Daß der Antrag durch Tagesordnung beseitigt wurde, verstand
sich von selbst, wenn wir nach der viertägiger Erfahrung so sagen dürfen.
Diesmal zersprengte kein Zufall, kein doctrinäres Phantom die Majorität bei
der Erfüllung ihre Pflicht.

Am 17. Dezember fand noch eine Abendsitzung statt, in welcher ein
Gesetzentwurf angenommen wurde und gleich durch die beiden ersten Lesungen
gebracht, welcher das die Ertheilung neuer Banknotenprivilegien verbietende
Gesetz vom 27. März 1870, dessen Geltung mit diesem Jahr erlischt, um ein
Jahr verlängert. Außerdem trifft das neue Gesetz Vorkehr, daß die deutschen
Banken, welche sämmtlich verpflichtet sind, vom 1. Januar 1876 ab nur noch
Noten auszugeben, die auf 100 M. oder ein vielfaches dieses Betrages lauten,
mit der Einziehung der kleinen Noten zur rechten Zeit, und in angemessener
Weise vorgehen.

Am 18. Dezember versuchte bei der dritten Berathung des Reichshaus¬
halts Herr Windthorst, die Verweigerung der geheimen Ausgaben des Aus¬
wärtigen Amtes herbeizuführen. Der schlaue Herr rechnete darauf, daß der
am 16. Dezember durch Annahme der Hoverbeck'schen Resolution bezüglich der
Verhaftung des Herrn Majunke sozusagen entstandene Conflikt durch Ver¬
weigerung der geheimen Ausgaben angemessen erweitert werden könne. Der
gute Rechner nahm die Verweigerung geheimer Ausgaben durch die Fortschritts¬
partei als sichern Posten in sein Facit auf. Herr v. Bennigsen war es, der
in einer sehr glücklichen Rede die Windthorst'sche Rechnung "aufmachte." Er
forderte den Reichstag auf, die Gelegenheit zu benutzen, um dem Reichskanzler
vielmehr ein Vertrauensvotum zu geben. Herr v. Kardorff beantragte na-
mentliche Abstimmung, und die Debatte wurde geschlossen. Herr Windthorst
begriff nun vollkommen den Fehler, den er begangen. Er nahm das Wort
zur persönlichen Bemerkung und suchte ärgerlich, sich heraus zu manövriren.
Vergeblich, die geheimen Ausgaben wurden von 199 gegen 71 Stimmen
namentlich bewilligt. Die Fortschrittspartei hatte also dem Kanzler ein
Vertrauensvotum gegeben! Wer hätte das je gedacht? Die Herren mochten
sich sagen, daß sie den Kanzler stürzen könnten, denn selbst in der Fortschritts¬
partei konnte man nicht zweifeln, daß der Kanzler mit dem Rücktritt Ernst
machen werde. Aber die Herren berechneten Gewinn und Verlust, und


sichere Feststellung der Majorität, als auch für die zuverlässige Kenntniß der
Freunde der Resolution.

Die Berathung über einen klerikalen Antrag aus dem Elsaß, das neue
deutsche Unterrichtsgesetz in den Neichslanden wieder aufzuheben, können wir
getrost übergehen. Diese Art von Debatten sind Redeturniere, mit einer
regelmäßigen Motion habitueller Leidenschaften verbunden, aber sachlich ganz
werthlos. Daß der Antrag durch Tagesordnung beseitigt wurde, verstand
sich von selbst, wenn wir nach der viertägiger Erfahrung so sagen dürfen.
Diesmal zersprengte kein Zufall, kein doctrinäres Phantom die Majorität bei
der Erfüllung ihre Pflicht.

Am 17. Dezember fand noch eine Abendsitzung statt, in welcher ein
Gesetzentwurf angenommen wurde und gleich durch die beiden ersten Lesungen
gebracht, welcher das die Ertheilung neuer Banknotenprivilegien verbietende
Gesetz vom 27. März 1870, dessen Geltung mit diesem Jahr erlischt, um ein
Jahr verlängert. Außerdem trifft das neue Gesetz Vorkehr, daß die deutschen
Banken, welche sämmtlich verpflichtet sind, vom 1. Januar 1876 ab nur noch
Noten auszugeben, die auf 100 M. oder ein vielfaches dieses Betrages lauten,
mit der Einziehung der kleinen Noten zur rechten Zeit, und in angemessener
Weise vorgehen.

Am 18. Dezember versuchte bei der dritten Berathung des Reichshaus¬
halts Herr Windthorst, die Verweigerung der geheimen Ausgaben des Aus¬
wärtigen Amtes herbeizuführen. Der schlaue Herr rechnete darauf, daß der
am 16. Dezember durch Annahme der Hoverbeck'schen Resolution bezüglich der
Verhaftung des Herrn Majunke sozusagen entstandene Conflikt durch Ver¬
weigerung der geheimen Ausgaben angemessen erweitert werden könne. Der
gute Rechner nahm die Verweigerung geheimer Ausgaben durch die Fortschritts¬
partei als sichern Posten in sein Facit auf. Herr v. Bennigsen war es, der
in einer sehr glücklichen Rede die Windthorst'sche Rechnung „aufmachte." Er
forderte den Reichstag auf, die Gelegenheit zu benutzen, um dem Reichskanzler
vielmehr ein Vertrauensvotum zu geben. Herr v. Kardorff beantragte na-
mentliche Abstimmung, und die Debatte wurde geschlossen. Herr Windthorst
begriff nun vollkommen den Fehler, den er begangen. Er nahm das Wort
zur persönlichen Bemerkung und suchte ärgerlich, sich heraus zu manövriren.
Vergeblich, die geheimen Ausgaben wurden von 199 gegen 71 Stimmen
namentlich bewilligt. Die Fortschrittspartei hatte also dem Kanzler ein
Vertrauensvotum gegeben! Wer hätte das je gedacht? Die Herren mochten
sich sagen, daß sie den Kanzler stürzen könnten, denn selbst in der Fortschritts¬
partei konnte man nicht zweifeln, daß der Kanzler mit dem Rücktritt Ernst
machen werde. Aber die Herren berechneten Gewinn und Verlust, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/522>, abgerufen am 27.07.2024.