Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.In der Sitzung vom 16. Dezember stand der Bericht in der Geschäfts- Es ist immer ein Unglück, wenn Laster, auf dessen fleißige und ehrliche In der Sitzung vom 16. Dezember stand der Bericht in der Geschäfts- Es ist immer ein Unglück, wenn Laster, auf dessen fleißige und ehrliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132742"/> <p xml:id="ID_1529"> In der Sitzung vom 16. Dezember stand der Bericht in der Geschäfts-<lb/> ordnungseommission über den Antrag Laster zur Berathung, welcher die<lb/> Prüfung verlangt hatte, ob nach Artikel 31 der Reichsverfassung während<lb/> der Session ein Reichstagsmitglied zur Strafhaft eingezogen werden könne.<lb/> Wie man sich erinnert, hatte dieses Schicksal den Abgeordneten Majunke be¬<lb/> troffen. Die Geschäftsordnungseommission hatte sich jedoch über keinen An¬<lb/> trag einigen können, obwohl in ihrem Schooß zahlreiche Anträge aufgetaucht<lb/> waren. Nicht viel anders ging es dem Reichstag. In demselben gab es<lb/> einen Antrag: über die Strafvollstreckung gegen Reichstagsmitglieder, die in<lb/> ihrer Thätigkeit begriffen, erst bei der Strafprozeßordnung Bestimmungen<lb/> zu treffen. Andere Anträge wollten ohne Weiteres Herrn Majunke reklamiren,<lb/> andere wollten eine Abänderung der Reichsverfassung einleiten. Der Reichs¬<lb/> tag nahm schließlich, nachdem alle Anträge gefallen, eine von Hoverbeck vor¬<lb/> geschlagene Resolution an: die Würde des Reichstags erfordere eine Abänderung<lb/> des Artikel 31 in dem Sinn, daß kein Mitglied des Reichstags während der<lb/> Session ohne Erlaubniß des Reichstags verhaftet werden dürfe. Die kleine<lb/> Majorität für diese Resolution bestand aus den Klerikalen, aus der Fort¬<lb/> schrittspartei und Laster, mit dessen engeren Freunden. Am folgenden Tage<lb/> War der Reichstag voll von dem ungünstigen Eindruck, welchen der gestrige<lb/> Beschluß auf den Reichskanzler gemacht hatte. Man erfuhr das Demissions¬<lb/> gesuch desselben. Soviel wir wissen, ist Herr Majunke wegen seiner Angriffe<lb/> auf die Reichsregierung verurtheilt, und es ist für den Leiter derselben eine<lb/> eigenthümliche Lage, wenn er sich im Reichstag im klerikalen Stil von seinem<lb/> Beleidiger apostrophiren lassen soll, der für die Beleidigung im Gefängniß<lb/> sitzen sollte. Ein solches Privilegium der Reichstagsmitglieder ist in der Ver¬<lb/> fassung nicht begründet und an sich eine Abgeschmacktheit. Vergebens hatten<lb/> die Abgeordneten Schwarze und Gneist vor der Beanspruchung solcher Privi¬<lb/> legien gewarnt. Die demokratische Doctrin verlangt dieselben im Interesse<lb/> der Schwächung der Staatsgewalt. Von demokratischer Seite glaubte man<lb/> witzig zu sein mit der Bemerkung, es würden ja nicht lauter Verbrecher in<lb/> den Reichstag gewählt werden. Der kluge Windthorst sagte, es würden doch<lb/> nur höchstens politische Verbrecher gewählt werden. Die Wahrheit ist,<lb/> wenn die Session von der Strafvollstreckung befreit, so werden die kleri¬<lb/> kale und die socialdemokratische Partei, die zusammen über eine große Zahl<lb/> von Wahlkreisen verfügen, regelmäßig ihre Verurtheilten in den Reichstag<lb/> senden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1530"> Es ist immer ein Unglück, wenn Laster, auf dessen fleißige und ehrliche<lb/> Information sich ein Theil der nationalliberalen Partei blindlings verläßt,<lb/> seinerseits ohne Vorbereitung sich auf seine Geistesgegenwart verläßt. Diese<lb/> Gabe besitzt er nicht, die freilich einem Führer zuweilen unentbehrlich ist.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0520]
In der Sitzung vom 16. Dezember stand der Bericht in der Geschäfts-
ordnungseommission über den Antrag Laster zur Berathung, welcher die
Prüfung verlangt hatte, ob nach Artikel 31 der Reichsverfassung während
der Session ein Reichstagsmitglied zur Strafhaft eingezogen werden könne.
Wie man sich erinnert, hatte dieses Schicksal den Abgeordneten Majunke be¬
troffen. Die Geschäftsordnungseommission hatte sich jedoch über keinen An¬
trag einigen können, obwohl in ihrem Schooß zahlreiche Anträge aufgetaucht
waren. Nicht viel anders ging es dem Reichstag. In demselben gab es
einen Antrag: über die Strafvollstreckung gegen Reichstagsmitglieder, die in
ihrer Thätigkeit begriffen, erst bei der Strafprozeßordnung Bestimmungen
zu treffen. Andere Anträge wollten ohne Weiteres Herrn Majunke reklamiren,
andere wollten eine Abänderung der Reichsverfassung einleiten. Der Reichs¬
tag nahm schließlich, nachdem alle Anträge gefallen, eine von Hoverbeck vor¬
geschlagene Resolution an: die Würde des Reichstags erfordere eine Abänderung
des Artikel 31 in dem Sinn, daß kein Mitglied des Reichstags während der
Session ohne Erlaubniß des Reichstags verhaftet werden dürfe. Die kleine
Majorität für diese Resolution bestand aus den Klerikalen, aus der Fort¬
schrittspartei und Laster, mit dessen engeren Freunden. Am folgenden Tage
War der Reichstag voll von dem ungünstigen Eindruck, welchen der gestrige
Beschluß auf den Reichskanzler gemacht hatte. Man erfuhr das Demissions¬
gesuch desselben. Soviel wir wissen, ist Herr Majunke wegen seiner Angriffe
auf die Reichsregierung verurtheilt, und es ist für den Leiter derselben eine
eigenthümliche Lage, wenn er sich im Reichstag im klerikalen Stil von seinem
Beleidiger apostrophiren lassen soll, der für die Beleidigung im Gefängniß
sitzen sollte. Ein solches Privilegium der Reichstagsmitglieder ist in der Ver¬
fassung nicht begründet und an sich eine Abgeschmacktheit. Vergebens hatten
die Abgeordneten Schwarze und Gneist vor der Beanspruchung solcher Privi¬
legien gewarnt. Die demokratische Doctrin verlangt dieselben im Interesse
der Schwächung der Staatsgewalt. Von demokratischer Seite glaubte man
witzig zu sein mit der Bemerkung, es würden ja nicht lauter Verbrecher in
den Reichstag gewählt werden. Der kluge Windthorst sagte, es würden doch
nur höchstens politische Verbrecher gewählt werden. Die Wahrheit ist,
wenn die Session von der Strafvollstreckung befreit, so werden die kleri¬
kale und die socialdemokratische Partei, die zusammen über eine große Zahl
von Wahlkreisen verfügen, regelmäßig ihre Verurtheilten in den Reichstag
senden.
Es ist immer ein Unglück, wenn Laster, auf dessen fleißige und ehrliche
Information sich ein Theil der nationalliberalen Partei blindlings verläßt,
seinerseits ohne Vorbereitung sich auf seine Geistesgegenwart verläßt. Diese
Gabe besitzt er nicht, die freilich einem Führer zuweilen unentbehrlich ist.
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