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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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politische Bedeutung behandeln; ein zweiter Theil die Vorgänge der öffent¬
lichen Verhandlungen; ein dritter Theil den Urtheilsspruch. Am ersten Tag
nach dem Schluß des Prozesses ist es begreiflicherweise nicht möglich, diese
Studie vorzulegen. Ich beschränke mich heute auf einige Bemerkungen über
den Eindruck der Verhandlungen. Der erste Eindruck, den wir in Bezug
auf den Gesammtverlauf der Verhandlungen constatiren müssen, ist der wenig
erfreuliche, daß der Anklageprozeß bei uns bereits mit eilenden Schritten auf
dem Wege der Entartung sich befindet. , Zum ersten Mal trat ein deutsches
Gericht aus einem kleinen'Kreise der Aufmerksamkeit vor die Augen der Welt.
Alles war dazu angethan, die Betheiligten zur Wahrung der höchsten Würde
und zur lautesten Hingabe an den Ernst der Sache aufzufordern. Was sollen
Wir nun sagen zu diesen unaufhörlichen rüden persönlichen Angriffen der Ber¬
theidiger auf den Staatsanwalt? AIs der Anklageprozeß bei uns eingeführt
wurde, da wiederholte man uns immerfort: der Vertheidiger ist kein Rechts¬
verdreher; Staatsanwalt und Vertheidiger sind nicht etwa natürliche Gegner,
sondern befreundet in dem höchsten Bestreben der Wahrheit und des Rechts;
nur ist zur Sicherung dieses Bestrebens die Aufmerksamkeit des Vertheidigers
auf die Momente der Unschuld, wie die des Anklägers auf diejenigen der
Schuld gerichtet. So belehrte man uns. Wo war nun von dieser Einheit
des Bestrebens bei diesem ganzen Prozeß noch eine Spur zu entdecken? Wir
glaubten uns nicht selten in Amerika, auf dem Boden der völligen Entartung
des Strafprozesses. Die Angriffe der Vertheidigung verschonten nicht einmal
das Gericht selbst. Wir glauben aber, so darf vor einem sich selbst achtenden
Volke niemals im Gerichtssaal gesprochen werden. Wo solche Beschwerden
in der Ueberzeugung der Vertheidiger gegründet sind, da muß durch sachliche
Führung der Verhandlungen das Material vervollständigt, und dann die
Klage auf Mißbrauch der Amtsverwaltung erhoben werden. Die Empfindung
des Herrn Präsidenten war wohl immer die richtige. Aber wir können un¬
sere Verwunderung nicht bergen, die ärgsten Ausschreitungen als "unparlamen¬
tarisch" bezeichnet zu finden. Die Gebräuche der Parlamente sind andere,
müssen ganz andere sein als die der Gerichte und der sämmtlichen Vertreter
des Rechts bei der öffentlichen Ausführung ihres Berufs. Auf die Würde
des Gerichts ist zu verweisen, die weit strengere Anforderungen stellen muß,
als der parlamentarische Brauch.

Das unerfreuliche Thema, welches uns hier gegeben worden, läßt sich
leider so bald nicht erschöpfen. Daß der durch seine würdige Persönlichkeit,
Wie durch seine hohe Stellung gleich ausgezeichnete Staatssekretär des deutschen
Auswärtigen Amtes insultirt wurde, konnte uns bei dieser Art der Ver¬
theidigung nicht Wunder nehmen. Aber in das höchste Erstaunen wurden
Wir versetzt, daß ein Vertheidiger einen Zeugen zweimal des Meineids be-


politische Bedeutung behandeln; ein zweiter Theil die Vorgänge der öffent¬
lichen Verhandlungen; ein dritter Theil den Urtheilsspruch. Am ersten Tag
nach dem Schluß des Prozesses ist es begreiflicherweise nicht möglich, diese
Studie vorzulegen. Ich beschränke mich heute auf einige Bemerkungen über
den Eindruck der Verhandlungen. Der erste Eindruck, den wir in Bezug
auf den Gesammtverlauf der Verhandlungen constatiren müssen, ist der wenig
erfreuliche, daß der Anklageprozeß bei uns bereits mit eilenden Schritten auf
dem Wege der Entartung sich befindet. , Zum ersten Mal trat ein deutsches
Gericht aus einem kleinen'Kreise der Aufmerksamkeit vor die Augen der Welt.
Alles war dazu angethan, die Betheiligten zur Wahrung der höchsten Würde
und zur lautesten Hingabe an den Ernst der Sache aufzufordern. Was sollen
Wir nun sagen zu diesen unaufhörlichen rüden persönlichen Angriffen der Ber¬
theidiger auf den Staatsanwalt? AIs der Anklageprozeß bei uns eingeführt
wurde, da wiederholte man uns immerfort: der Vertheidiger ist kein Rechts¬
verdreher; Staatsanwalt und Vertheidiger sind nicht etwa natürliche Gegner,
sondern befreundet in dem höchsten Bestreben der Wahrheit und des Rechts;
nur ist zur Sicherung dieses Bestrebens die Aufmerksamkeit des Vertheidigers
auf die Momente der Unschuld, wie die des Anklägers auf diejenigen der
Schuld gerichtet. So belehrte man uns. Wo war nun von dieser Einheit
des Bestrebens bei diesem ganzen Prozeß noch eine Spur zu entdecken? Wir
glaubten uns nicht selten in Amerika, auf dem Boden der völligen Entartung
des Strafprozesses. Die Angriffe der Vertheidigung verschonten nicht einmal
das Gericht selbst. Wir glauben aber, so darf vor einem sich selbst achtenden
Volke niemals im Gerichtssaal gesprochen werden. Wo solche Beschwerden
in der Ueberzeugung der Vertheidiger gegründet sind, da muß durch sachliche
Führung der Verhandlungen das Material vervollständigt, und dann die
Klage auf Mißbrauch der Amtsverwaltung erhoben werden. Die Empfindung
des Herrn Präsidenten war wohl immer die richtige. Aber wir können un¬
sere Verwunderung nicht bergen, die ärgsten Ausschreitungen als „unparlamen¬
tarisch" bezeichnet zu finden. Die Gebräuche der Parlamente sind andere,
müssen ganz andere sein als die der Gerichte und der sämmtlichen Vertreter
des Rechts bei der öffentlichen Ausführung ihres Berufs. Auf die Würde
des Gerichts ist zu verweisen, die weit strengere Anforderungen stellen muß,
als der parlamentarische Brauch.

Das unerfreuliche Thema, welches uns hier gegeben worden, läßt sich
leider so bald nicht erschöpfen. Daß der durch seine würdige Persönlichkeit,
Wie durch seine hohe Stellung gleich ausgezeichnete Staatssekretär des deutschen
Auswärtigen Amtes insultirt wurde, konnte uns bei dieser Art der Ver¬
theidigung nicht Wunder nehmen. Aber in das höchste Erstaunen wurden
Wir versetzt, daß ein Vertheidiger einen Zeugen zweimal des Meineids be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/513>, abgerufen am 27.07.2024.