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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Maudereien aus London.
3.

Während das gewöhnliche Londoner Wohnhaus ein bescheidenes und
einfaches Aeußere zeigt; während großartige Privatgebäude, im directen
Widerspruch mit dem, nach continentalen Begriffen, unermeßlichen Reichthum
der Stadt und ihrer Bewohner, nicht häufig zu finden sind, so zeigt sich da¬
für bei allen öffentlichen Bauten, besonders in den neuern Straßenan¬
lagen, den Kais, den schönen grünen Plätzen, überall ein großartiger Sinn
ausgeprägt. Aber auch hier ist es durchaus nicht das Streben nach Ver"
schönerung der Stadt, welches die Projectirung'und Ausführung solcher
Bauten eingab und in allen ihren Theilen beeinflußte, sondern beinahe einzig
und allein das Nützlichkeitsprinzip, sodaß dieses sich auch naturgemäß überall
deutlich erkennen läßt.

Daß dabei sehr wesentliche Verschönerungen als Nebenzweck erreicht
worden, ist wohl selbstredend und sicherlich werden dieselben auch von vielen,
oft maßgebenden Persönlichkeiten nicht so ganz als Nebensache behandelt,
oder vielleicht richtiger gesagt: diese Persönlichkeiten wünschen dieselben nicht
zu sehr in zweiter Linie behandelt zu sehen und pflegen dieselben nach besten
Kräften mit vieler Liebe. Im Allgemeinen aber hat der Engländer zu wenig
Sinn für das was die übrigen gebildeten Völker schön nennen, um seinen
praktischen Sinn durch ästhetische Rücksichten allzusehr beeinflussen zu lassen,
besonders wenn letztere den Nützlichkeitsgesichtspunkten gefährlich werden könnten.

Die zwei Gesichtspunkte, welche die Londoner Behörden in erster Linie
bei ihren großartigen neuen Bauten und ganzen Städteanlagen leiten, sind:
möglichste Erleichterung des Verkehrs und Schaffung von ge¬
sunder Luft und schönem Grün inmitten der Häusermassen, welche bei¬
den Zwecke sich sehr häufig durch dieselbe Anlage erreichen lassen. In ersterer
Hinsicht ist in den letzten Jahren in London außerordentlich viel geschehen und
noch jetzt werden immer wieder neue großartige Straßendurchbrüche geschaffen.

Während es der Engländer in allen andern Dingen vorzieht, dem Privat¬
unternehmungsgeist die Herstellung von neuen Verkehrswegen zu überlassen
und z. B., wenigstens bis jetzt, der Begriff der Staatseisenbahn unbekannt
und fremdartig ist/ so werden alle diese großen Straßenanlagen in London
und andern großen englischen Städten fast ausschließlich durch die städtischen
Gemeinwesen, natürlich unter Aufwendung enormer Kosten ausgeführt.

Es zeigt sich hier also das ganz entgegengesetzte Bild unserer deutschen
Hauptstadt, wo sich neben Staatseisenbahnen viele Privatgesellschaften, oft
vergeblich, bemühen das Straßennetz der Stadt durch mehr oder minder


Maudereien aus London.
3.

Während das gewöhnliche Londoner Wohnhaus ein bescheidenes und
einfaches Aeußere zeigt; während großartige Privatgebäude, im directen
Widerspruch mit dem, nach continentalen Begriffen, unermeßlichen Reichthum
der Stadt und ihrer Bewohner, nicht häufig zu finden sind, so zeigt sich da¬
für bei allen öffentlichen Bauten, besonders in den neuern Straßenan¬
lagen, den Kais, den schönen grünen Plätzen, überall ein großartiger Sinn
ausgeprägt. Aber auch hier ist es durchaus nicht das Streben nach Ver»
schönerung der Stadt, welches die Projectirung'und Ausführung solcher
Bauten eingab und in allen ihren Theilen beeinflußte, sondern beinahe einzig
und allein das Nützlichkeitsprinzip, sodaß dieses sich auch naturgemäß überall
deutlich erkennen läßt.

Daß dabei sehr wesentliche Verschönerungen als Nebenzweck erreicht
worden, ist wohl selbstredend und sicherlich werden dieselben auch von vielen,
oft maßgebenden Persönlichkeiten nicht so ganz als Nebensache behandelt,
oder vielleicht richtiger gesagt: diese Persönlichkeiten wünschen dieselben nicht
zu sehr in zweiter Linie behandelt zu sehen und pflegen dieselben nach besten
Kräften mit vieler Liebe. Im Allgemeinen aber hat der Engländer zu wenig
Sinn für das was die übrigen gebildeten Völker schön nennen, um seinen
praktischen Sinn durch ästhetische Rücksichten allzusehr beeinflussen zu lassen,
besonders wenn letztere den Nützlichkeitsgesichtspunkten gefährlich werden könnten.

Die zwei Gesichtspunkte, welche die Londoner Behörden in erster Linie
bei ihren großartigen neuen Bauten und ganzen Städteanlagen leiten, sind:
möglichste Erleichterung des Verkehrs und Schaffung von ge¬
sunder Luft und schönem Grün inmitten der Häusermassen, welche bei¬
den Zwecke sich sehr häufig durch dieselbe Anlage erreichen lassen. In ersterer
Hinsicht ist in den letzten Jahren in London außerordentlich viel geschehen und
noch jetzt werden immer wieder neue großartige Straßendurchbrüche geschaffen.

Während es der Engländer in allen andern Dingen vorzieht, dem Privat¬
unternehmungsgeist die Herstellung von neuen Verkehrswegen zu überlassen
und z. B., wenigstens bis jetzt, der Begriff der Staatseisenbahn unbekannt
und fremdartig ist/ so werden alle diese großen Straßenanlagen in London
und andern großen englischen Städten fast ausschließlich durch die städtischen
Gemeinwesen, natürlich unter Aufwendung enormer Kosten ausgeführt.

Es zeigt sich hier also das ganz entgegengesetzte Bild unserer deutschen
Hauptstadt, wo sich neben Staatseisenbahnen viele Privatgesellschaften, oft
vergeblich, bemühen das Straßennetz der Stadt durch mehr oder minder


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[0495] Maudereien aus London. 3. Während das gewöhnliche Londoner Wohnhaus ein bescheidenes und einfaches Aeußere zeigt; während großartige Privatgebäude, im directen Widerspruch mit dem, nach continentalen Begriffen, unermeßlichen Reichthum der Stadt und ihrer Bewohner, nicht häufig zu finden sind, so zeigt sich da¬ für bei allen öffentlichen Bauten, besonders in den neuern Straßenan¬ lagen, den Kais, den schönen grünen Plätzen, überall ein großartiger Sinn ausgeprägt. Aber auch hier ist es durchaus nicht das Streben nach Ver» schönerung der Stadt, welches die Projectirung'und Ausführung solcher Bauten eingab und in allen ihren Theilen beeinflußte, sondern beinahe einzig und allein das Nützlichkeitsprinzip, sodaß dieses sich auch naturgemäß überall deutlich erkennen läßt. Daß dabei sehr wesentliche Verschönerungen als Nebenzweck erreicht worden, ist wohl selbstredend und sicherlich werden dieselben auch von vielen, oft maßgebenden Persönlichkeiten nicht so ganz als Nebensache behandelt, oder vielleicht richtiger gesagt: diese Persönlichkeiten wünschen dieselben nicht zu sehr in zweiter Linie behandelt zu sehen und pflegen dieselben nach besten Kräften mit vieler Liebe. Im Allgemeinen aber hat der Engländer zu wenig Sinn für das was die übrigen gebildeten Völker schön nennen, um seinen praktischen Sinn durch ästhetische Rücksichten allzusehr beeinflussen zu lassen, besonders wenn letztere den Nützlichkeitsgesichtspunkten gefährlich werden könnten. Die zwei Gesichtspunkte, welche die Londoner Behörden in erster Linie bei ihren großartigen neuen Bauten und ganzen Städteanlagen leiten, sind: möglichste Erleichterung des Verkehrs und Schaffung von ge¬ sunder Luft und schönem Grün inmitten der Häusermassen, welche bei¬ den Zwecke sich sehr häufig durch dieselbe Anlage erreichen lassen. In ersterer Hinsicht ist in den letzten Jahren in London außerordentlich viel geschehen und noch jetzt werden immer wieder neue großartige Straßendurchbrüche geschaffen. Während es der Engländer in allen andern Dingen vorzieht, dem Privat¬ unternehmungsgeist die Herstellung von neuen Verkehrswegen zu überlassen und z. B., wenigstens bis jetzt, der Begriff der Staatseisenbahn unbekannt und fremdartig ist/ so werden alle diese großen Straßenanlagen in London und andern großen englischen Städten fast ausschließlich durch die städtischen Gemeinwesen, natürlich unter Aufwendung enormer Kosten ausgeführt. Es zeigt sich hier also das ganz entgegengesetzte Bild unserer deutschen Hauptstadt, wo sich neben Staatseisenbahnen viele Privatgesellschaften, oft vergeblich, bemühen das Straßennetz der Stadt durch mehr oder minder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/495>, abgerufen am 28.12.2024.