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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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gesetzes die Beschlußfassung über verschiedene Ausgaben und Einnahmen, die
Sitzung vom 9. Dezember Wahlprüfungen und die ersten Lesungen zweier
kleinen technischen Gesetze.

Am 11. Dezember begann die zweite oder Einzelberathung der Ausgaben
des Reichsheeres auf Grund mündlicher Berichte der Budgetcommission. Er¬
hebliche Streitpunkte haben sich bei dieser Berathung bis zum Schluß nicht
ergeben. Man kann sich denken, daß Herr Eugen Richter in den Berathungen
der Commission das Mögliche gethan hat, Anträge zur Annahme zu bringen,
welche den Streit zur Folge gehabt hätten. Er hat aber bereits in der
Commission so wenig durchgesetzt, daß die Verständigung mit der Heeres¬
verwaltung im Reichstag selbst wohl nicht fehlen wird. Auf die Einzelheiten
brauchen wir bis jetzt nicht einzugehen.

Am 12. Dezember gelangte ein Schreiben des Stadtgerichts, worin die
Einziehung zur Strafhaft des Abgeordneten Majunke, des Redakteurs der
"Germania", dem Reichstag angezeigt wurde, zur Verlesung. Dasselbe rief
einen von Laster und Mitgliedern aller Fraktionen gestellten Antrag hervor,
die Geschäftsordnungscommission mit schleuniger Berichterstattung zu beauf¬
tragen, ob die Einziehung zur Strafhaft eines Reichstagsabgeordneten während
der Thätigkeit des Reichstags nach Art. 31 der Verfassung zulässig ist.
Artikel 31 verordnet, daß Reichstagsmitglieder während der Session nur mit
Genehmigung des Reichstags zur Untersuchung gezogen werden dürfen, außer
wenn es sich um eine Ergreifung in üagranti handelt. Es ist schwer, ein¬
zusehen, wie die Geschäftsordnungscommission aus diesem Artikel, der in
sonnenklaren Worten nur von Untersuchung und in einem besonderen Absatz
noch von Schuldhaft spricht, ein Verbot der Einziehung zur Strafhaft heraus¬
lesen soll. Der Antrag Laster fand indeß einstimmige Annahme, und wir
glauben auch, daß, nachdem der Antrag gestellt war, für den Reichstag kein
Grund vorlag, nicht ein Uebriges zu thun und den Bericht seiner Geschäfts¬
ordnungscommission einzufordern. -- Hierauf beendigte der Reichstag die
Einzelberathung der Heeresausgaben. Der rasche Gang dieser Berathung
verstärkt die Hoffnung, daß der Reichstag das Wesentliche seiner Aufgabe,
mit Ausnahme des Bankgesetzes, in diesem Jahr erledigen wird.




Am 9. Dezember ist der Prozeß Arnim in das Stadium der öffentlichen
Verhandlung getreten. Eine allseitige Besprechung wird erst nach der Be-
endigung am Platze sein. Was aber den allgemeinen Eindruck betrifft, so
wäre jedes Wort zu wenig, um die Fülle des Merkwürdigen zu schildern,
welche die Verhandlungen bereits bis jetzt in politischer, psychologischer und
kriminalistischer Beziehung geboten haben. Dieser Prozeß wird seine eigene


gesetzes die Beschlußfassung über verschiedene Ausgaben und Einnahmen, die
Sitzung vom 9. Dezember Wahlprüfungen und die ersten Lesungen zweier
kleinen technischen Gesetze.

Am 11. Dezember begann die zweite oder Einzelberathung der Ausgaben
des Reichsheeres auf Grund mündlicher Berichte der Budgetcommission. Er¬
hebliche Streitpunkte haben sich bei dieser Berathung bis zum Schluß nicht
ergeben. Man kann sich denken, daß Herr Eugen Richter in den Berathungen
der Commission das Mögliche gethan hat, Anträge zur Annahme zu bringen,
welche den Streit zur Folge gehabt hätten. Er hat aber bereits in der
Commission so wenig durchgesetzt, daß die Verständigung mit der Heeres¬
verwaltung im Reichstag selbst wohl nicht fehlen wird. Auf die Einzelheiten
brauchen wir bis jetzt nicht einzugehen.

Am 12. Dezember gelangte ein Schreiben des Stadtgerichts, worin die
Einziehung zur Strafhaft des Abgeordneten Majunke, des Redakteurs der
„Germania", dem Reichstag angezeigt wurde, zur Verlesung. Dasselbe rief
einen von Laster und Mitgliedern aller Fraktionen gestellten Antrag hervor,
die Geschäftsordnungscommission mit schleuniger Berichterstattung zu beauf¬
tragen, ob die Einziehung zur Strafhaft eines Reichstagsabgeordneten während
der Thätigkeit des Reichstags nach Art. 31 der Verfassung zulässig ist.
Artikel 31 verordnet, daß Reichstagsmitglieder während der Session nur mit
Genehmigung des Reichstags zur Untersuchung gezogen werden dürfen, außer
wenn es sich um eine Ergreifung in üagranti handelt. Es ist schwer, ein¬
zusehen, wie die Geschäftsordnungscommission aus diesem Artikel, der in
sonnenklaren Worten nur von Untersuchung und in einem besonderen Absatz
noch von Schuldhaft spricht, ein Verbot der Einziehung zur Strafhaft heraus¬
lesen soll. Der Antrag Laster fand indeß einstimmige Annahme, und wir
glauben auch, daß, nachdem der Antrag gestellt war, für den Reichstag kein
Grund vorlag, nicht ein Uebriges zu thun und den Bericht seiner Geschäfts¬
ordnungscommission einzufordern. — Hierauf beendigte der Reichstag die
Einzelberathung der Heeresausgaben. Der rasche Gang dieser Berathung
verstärkt die Hoffnung, daß der Reichstag das Wesentliche seiner Aufgabe,
mit Ausnahme des Bankgesetzes, in diesem Jahr erledigen wird.




Am 9. Dezember ist der Prozeß Arnim in das Stadium der öffentlichen
Verhandlung getreten. Eine allseitige Besprechung wird erst nach der Be-
endigung am Platze sein. Was aber den allgemeinen Eindruck betrifft, so
wäre jedes Wort zu wenig, um die Fülle des Merkwürdigen zu schildern,
welche die Verhandlungen bereits bis jetzt in politischer, psychologischer und
kriminalistischer Beziehung geboten haben. Dieser Prozeß wird seine eigene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/479>, abgerufen am 27.07.2024.