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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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competenz, nicht aber nur die der Person geltende Unterstützung der Ma¬
jorität, welche in England auf der nicht herüber zu nehmenden Organisation
der Parteien beruht und welche bei uns als eine Grundlage von Sand sich
erweisen würde.

Das Uebergewicht der amtlichen Competenz, wie es Fürst Bismarck am
1. December verlangte, wenn Reichsministerien eingerichtet werden sollten,
besaß übrigens der preußische Staatskanzler, solange dieser Posten bestand.

Die Sitzung vom 1. December hat in ziemlich unscheinbarer, unbemerkter
Weise noch einen anderen Gegenstand, wir können nicht sagen zum Austrag
gebracht, aber in die Wege des Auftrages geleitet, der für das Reichsstaats¬
recht und seine künftige Entwickelung mindestens ebenso wichtig ist, als die
angeregte Errichtung eines collegialischen Reichsministeriums. Bei der Ab¬
stimmung über die Ausgaben des Reichskanzleramtes, welche diesmal den
ersten zur Beschlußfassung gelangenden Theil des Reichshaushaltes bildeten,
erklärte nämlich der Präsident von Forkenbeck, er werde, um jeden Zweifel
zu beseitigen, daß durch die Billigung der Ausgabetttel die Reichsregierung
nicht nur an die Titel im Ganzen gebunden werde, sondern an jede einzelne
Position, wie sie unter jedem Titel enthalten ist, die Abstimmung nicht titel¬
weise, sondern nur positionenwetse vornehmen lassen. Diese Erklärung rief
am Tische des Bundesrathes starkes Kopfschütteln, aber keine bestimmte Er¬
klärung der Unzulässigkeit des vorgeschlagenen Verfahrens hervor. Wir un¬
sererseits halten mit der Ansicht nicht zurück, daß dieses Verfahren den
äußersten Bedenken unterliegt, daß es nicht nur jede Selbständigkeit der Ver¬
waltung aufhebt, sondern auch die Tüchtigkeit der Verwaltung ganz ent¬
schieden gefährdet. Es werden sich wohl noch Anlässe finden, unsere Ansicht
zu begründen. Den Hauptvorwurf aber, daß der Präsident des Reichstages
einen so gefährlichen Weg einschlagen konnte, müssen wir diesmal gegen die
Reichsregierung erheben. In dem gegenwärtig dem Reichstag zum zweiten
Mal vorgelegten Gesetz über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben
des Reiches findet sich nämlich ein § 7, dessen zweiter Absatz folgendermaßen
lautet: "Unter dem Titel eines Speeialetats ist im Sinne dieses Gesetzes jede
Position zu verstehen, welche einer selbstständigen Beschlußfassung des Reichstags
unterlegen hat u. s. w." Um die Bedeutung dieser Definition zu ermessen, vergegen¬
wärtige man sich, daß der erste Absatz des § 7 alle Mehrausgaben gegen die
vom Reichstage genehmigten Titel der Speeialetats als Etatsüberschreitungen
bezeichnet, so weit nicht einzelne solche Titel ausdrücklich als übertragungs¬
fähig mit anderen bezeichnet sind. Man traut seinen Augen kaum, wenn
man jenen zweiten Absatz liest. Wie er lauten sollte, ist nicht schwer zu
finden. Es sollte heißen: "Als Titel eines Speeialetats ist jede Position
anzusehen, welche mit Zustimmung des Bundesraths einer selbst-


Grenzboten IV. 1874. 60

competenz, nicht aber nur die der Person geltende Unterstützung der Ma¬
jorität, welche in England auf der nicht herüber zu nehmenden Organisation
der Parteien beruht und welche bei uns als eine Grundlage von Sand sich
erweisen würde.

Das Uebergewicht der amtlichen Competenz, wie es Fürst Bismarck am
1. December verlangte, wenn Reichsministerien eingerichtet werden sollten,
besaß übrigens der preußische Staatskanzler, solange dieser Posten bestand.

Die Sitzung vom 1. December hat in ziemlich unscheinbarer, unbemerkter
Weise noch einen anderen Gegenstand, wir können nicht sagen zum Austrag
gebracht, aber in die Wege des Auftrages geleitet, der für das Reichsstaats¬
recht und seine künftige Entwickelung mindestens ebenso wichtig ist, als die
angeregte Errichtung eines collegialischen Reichsministeriums. Bei der Ab¬
stimmung über die Ausgaben des Reichskanzleramtes, welche diesmal den
ersten zur Beschlußfassung gelangenden Theil des Reichshaushaltes bildeten,
erklärte nämlich der Präsident von Forkenbeck, er werde, um jeden Zweifel
zu beseitigen, daß durch die Billigung der Ausgabetttel die Reichsregierung
nicht nur an die Titel im Ganzen gebunden werde, sondern an jede einzelne
Position, wie sie unter jedem Titel enthalten ist, die Abstimmung nicht titel¬
weise, sondern nur positionenwetse vornehmen lassen. Diese Erklärung rief
am Tische des Bundesrathes starkes Kopfschütteln, aber keine bestimmte Er¬
klärung der Unzulässigkeit des vorgeschlagenen Verfahrens hervor. Wir un¬
sererseits halten mit der Ansicht nicht zurück, daß dieses Verfahren den
äußersten Bedenken unterliegt, daß es nicht nur jede Selbständigkeit der Ver¬
waltung aufhebt, sondern auch die Tüchtigkeit der Verwaltung ganz ent¬
schieden gefährdet. Es werden sich wohl noch Anlässe finden, unsere Ansicht
zu begründen. Den Hauptvorwurf aber, daß der Präsident des Reichstages
einen so gefährlichen Weg einschlagen konnte, müssen wir diesmal gegen die
Reichsregierung erheben. In dem gegenwärtig dem Reichstag zum zweiten
Mal vorgelegten Gesetz über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben
des Reiches findet sich nämlich ein § 7, dessen zweiter Absatz folgendermaßen
lautet: „Unter dem Titel eines Speeialetats ist im Sinne dieses Gesetzes jede
Position zu verstehen, welche einer selbstständigen Beschlußfassung des Reichstags
unterlegen hat u. s. w." Um die Bedeutung dieser Definition zu ermessen, vergegen¬
wärtige man sich, daß der erste Absatz des § 7 alle Mehrausgaben gegen die
vom Reichstage genehmigten Titel der Speeialetats als Etatsüberschreitungen
bezeichnet, so weit nicht einzelne solche Titel ausdrücklich als übertragungs¬
fähig mit anderen bezeichnet sind. Man traut seinen Augen kaum, wenn
man jenen zweiten Absatz liest. Wie er lauten sollte, ist nicht schwer zu
finden. Es sollte heißen: „Als Titel eines Speeialetats ist jede Position
anzusehen, welche mit Zustimmung des Bundesraths einer selbst-


Grenzboten IV. 1874. 60
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[0477] competenz, nicht aber nur die der Person geltende Unterstützung der Ma¬ jorität, welche in England auf der nicht herüber zu nehmenden Organisation der Parteien beruht und welche bei uns als eine Grundlage von Sand sich erweisen würde. Das Uebergewicht der amtlichen Competenz, wie es Fürst Bismarck am 1. December verlangte, wenn Reichsministerien eingerichtet werden sollten, besaß übrigens der preußische Staatskanzler, solange dieser Posten bestand. Die Sitzung vom 1. December hat in ziemlich unscheinbarer, unbemerkter Weise noch einen anderen Gegenstand, wir können nicht sagen zum Austrag gebracht, aber in die Wege des Auftrages geleitet, der für das Reichsstaats¬ recht und seine künftige Entwickelung mindestens ebenso wichtig ist, als die angeregte Errichtung eines collegialischen Reichsministeriums. Bei der Ab¬ stimmung über die Ausgaben des Reichskanzleramtes, welche diesmal den ersten zur Beschlußfassung gelangenden Theil des Reichshaushaltes bildeten, erklärte nämlich der Präsident von Forkenbeck, er werde, um jeden Zweifel zu beseitigen, daß durch die Billigung der Ausgabetttel die Reichsregierung nicht nur an die Titel im Ganzen gebunden werde, sondern an jede einzelne Position, wie sie unter jedem Titel enthalten ist, die Abstimmung nicht titel¬ weise, sondern nur positionenwetse vornehmen lassen. Diese Erklärung rief am Tische des Bundesrathes starkes Kopfschütteln, aber keine bestimmte Er¬ klärung der Unzulässigkeit des vorgeschlagenen Verfahrens hervor. Wir un¬ sererseits halten mit der Ansicht nicht zurück, daß dieses Verfahren den äußersten Bedenken unterliegt, daß es nicht nur jede Selbständigkeit der Ver¬ waltung aufhebt, sondern auch die Tüchtigkeit der Verwaltung ganz ent¬ schieden gefährdet. Es werden sich wohl noch Anlässe finden, unsere Ansicht zu begründen. Den Hauptvorwurf aber, daß der Präsident des Reichstages einen so gefährlichen Weg einschlagen konnte, müssen wir diesmal gegen die Reichsregierung erheben. In dem gegenwärtig dem Reichstag zum zweiten Mal vorgelegten Gesetz über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben des Reiches findet sich nämlich ein § 7, dessen zweiter Absatz folgendermaßen lautet: „Unter dem Titel eines Speeialetats ist im Sinne dieses Gesetzes jede Position zu verstehen, welche einer selbstständigen Beschlußfassung des Reichstags unterlegen hat u. s. w." Um die Bedeutung dieser Definition zu ermessen, vergegen¬ wärtige man sich, daß der erste Absatz des § 7 alle Mehrausgaben gegen die vom Reichstage genehmigten Titel der Speeialetats als Etatsüberschreitungen bezeichnet, so weit nicht einzelne solche Titel ausdrücklich als übertragungs¬ fähig mit anderen bezeichnet sind. Man traut seinen Augen kaum, wenn man jenen zweiten Absatz liest. Wie er lauten sollte, ist nicht schwer zu finden. Es sollte heißen: „Als Titel eines Speeialetats ist jede Position anzusehen, welche mit Zustimmung des Bundesraths einer selbst- Grenzboten IV. 1874. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/477>, abgerufen am 28.07.2024.