Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.darf. Aber, dies zugestanden, welche Fülle der schwierigsten Fragen ergiebt Beschränken wir uns auf die Forderung eines gesunden, unbefangnen, darf. Aber, dies zugestanden, welche Fülle der schwierigsten Fragen ergiebt Beschränken wir uns auf die Forderung eines gesunden, unbefangnen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132268"/> <p xml:id="ID_100" prev="#ID_99"> darf. Aber, dies zugestanden, welche Fülle der schwierigsten Fragen ergiebt<lb/> sich hier. Es gilt die Grenze zu ziehen, welche der Staat nicht überschreiten<lb/> darf, ohne die Freiheit der Kirche zu vernichten, es gilt der Kirche, vor<lb/> allem der evangelischen Kirche, die Organe zu schaffen, die als wirkliche Ver¬<lb/> treter derselben betrachtet werden dürfen. Und alle diese Fragen können nicht<lb/> gelöst werden, ohne daß ein hohes Maß kirchenpolitischer Einsicht gewonnen<lb/> wird. Wir heißen daher alle Schriften willkommen, welche uns eine solche ver¬<lb/> mitteln, und beabsichtigen in diesen Zeilen auf einige derselben hinzuweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_101" next="#ID_102"> Beschränken wir uns auf die Forderung eines gesunden, unbefangnen,<lb/> die Verhältnisse frei und nach allen Seiten überblickenden Urtheils, so können<lb/> wir die Schrift von Theodor Körner „Grundzüge und Beiträge zur syste¬<lb/> matischen Behandlung der Religionspoiitik im deutschen Staate" (Berlin 1873<lb/> C- Heymann's Verlag, S. 206) unbedingt empfehlen. Sie ist eine Apologie<lb/> der neueren preußischen kirchenpolitischen Gesetzgebung, ruht auf einer befrie¬<lb/> digenden Kenntniß der hier in Betracht kommenden Verhältnisse, beurtheilt<lb/> maßvoll und besonnen die verschiednen kirchlichen Parteien und bewahrt sich<lb/> bei prinzipiellem Anschluß an die gegenwärtige Politik der preußischen Re¬<lb/> gierung Selbständigkeit und Freiheit der Entscheidung. Nichtsdestoweniger<lb/> können wir den Werth dieser Schrift nicht ganz so hoch anschlagen, als die<lb/> eben angezeigten Eigenschaften zu nöthigen scheinen. Denn leider besitzt der<lb/> Verfasser nicht die für eine systematische Darstellung der Religionspolitik<lb/> nothwendige religionsphilosophische Bildung und eben deshalb fehlt ihm die<lb/> Befähigung, die prinzipiellen Fragen befriedigend zu lösen. Ja die philoso¬<lb/> phische Begabung und Schulung des Verfassers überhaupt scheint nur eine<lb/> geringe zu sein. Die grundlegenden theoretischen Erörterungen des ersten<lb/> Theils legen Beweis dafür ab. Der erste Abschnitt „Von Religion und<lb/> Glauben" zeugt von einer Oberflächlichkeit, wie sie nur bei völliger Unkennt-<lb/> niß der religionsphilosophischen Arbeiten des Jahrhunderts sich begreifen läßt.<lb/> Im dritten Abschnitt „Vom Staate" finden wir allerdings eine richtige Ein¬<lb/> sicht in das Wesen desselben, insofern er als Rechtsstaat und Culturstaat<lb/> begriffen wird, aber beide Bestimmungen werden äußerlich neben einander ge¬<lb/> stellt, ohne daß der Versuch gemacht wird, sie mit einander zu vermitteln.<lb/> Doch wollen wir diesen Mangel nicht zu scharf tadeln, finden wir ihn doch<lb/> in der ausgezeichneten Abhandlung von Sohm nicht einmal völlig beseitigt-<lb/> Dagegen müssen wir tadelnd hervorheben, daß der Verfasser dem Staate Re¬<lb/> ligion, Religiosität und Christlichkeit abspricht und ihn nur an die christliche<lb/> Ethik als an das sittliche Gesetz der Vernunft gebunden wissen will. Nach<lb/> der unzureichenden religionsphilosophischen Grundlegung konnten wir freilich<lb/> nichts anderes erwarten. Aber fragen müssen wir doch, ob der Verfasser sich<lb/> bewußt gewesen ist, daß der religionslose Staat die Forderung des Eides</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
darf. Aber, dies zugestanden, welche Fülle der schwierigsten Fragen ergiebt
sich hier. Es gilt die Grenze zu ziehen, welche der Staat nicht überschreiten
darf, ohne die Freiheit der Kirche zu vernichten, es gilt der Kirche, vor
allem der evangelischen Kirche, die Organe zu schaffen, die als wirkliche Ver¬
treter derselben betrachtet werden dürfen. Und alle diese Fragen können nicht
gelöst werden, ohne daß ein hohes Maß kirchenpolitischer Einsicht gewonnen
wird. Wir heißen daher alle Schriften willkommen, welche uns eine solche ver¬
mitteln, und beabsichtigen in diesen Zeilen auf einige derselben hinzuweisen.
Beschränken wir uns auf die Forderung eines gesunden, unbefangnen,
die Verhältnisse frei und nach allen Seiten überblickenden Urtheils, so können
wir die Schrift von Theodor Körner „Grundzüge und Beiträge zur syste¬
matischen Behandlung der Religionspoiitik im deutschen Staate" (Berlin 1873
C- Heymann's Verlag, S. 206) unbedingt empfehlen. Sie ist eine Apologie
der neueren preußischen kirchenpolitischen Gesetzgebung, ruht auf einer befrie¬
digenden Kenntniß der hier in Betracht kommenden Verhältnisse, beurtheilt
maßvoll und besonnen die verschiednen kirchlichen Parteien und bewahrt sich
bei prinzipiellem Anschluß an die gegenwärtige Politik der preußischen Re¬
gierung Selbständigkeit und Freiheit der Entscheidung. Nichtsdestoweniger
können wir den Werth dieser Schrift nicht ganz so hoch anschlagen, als die
eben angezeigten Eigenschaften zu nöthigen scheinen. Denn leider besitzt der
Verfasser nicht die für eine systematische Darstellung der Religionspolitik
nothwendige religionsphilosophische Bildung und eben deshalb fehlt ihm die
Befähigung, die prinzipiellen Fragen befriedigend zu lösen. Ja die philoso¬
phische Begabung und Schulung des Verfassers überhaupt scheint nur eine
geringe zu sein. Die grundlegenden theoretischen Erörterungen des ersten
Theils legen Beweis dafür ab. Der erste Abschnitt „Von Religion und
Glauben" zeugt von einer Oberflächlichkeit, wie sie nur bei völliger Unkennt-
niß der religionsphilosophischen Arbeiten des Jahrhunderts sich begreifen läßt.
Im dritten Abschnitt „Vom Staate" finden wir allerdings eine richtige Ein¬
sicht in das Wesen desselben, insofern er als Rechtsstaat und Culturstaat
begriffen wird, aber beide Bestimmungen werden äußerlich neben einander ge¬
stellt, ohne daß der Versuch gemacht wird, sie mit einander zu vermitteln.
Doch wollen wir diesen Mangel nicht zu scharf tadeln, finden wir ihn doch
in der ausgezeichneten Abhandlung von Sohm nicht einmal völlig beseitigt-
Dagegen müssen wir tadelnd hervorheben, daß der Verfasser dem Staate Re¬
ligion, Religiosität und Christlichkeit abspricht und ihn nur an die christliche
Ethik als an das sittliche Gesetz der Vernunft gebunden wissen will. Nach
der unzureichenden religionsphilosophischen Grundlegung konnten wir freilich
nichts anderes erwarten. Aber fragen müssen wir doch, ob der Verfasser sich
bewußt gewesen ist, daß der religionslose Staat die Forderung des Eides
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |