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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Pulären Büchern ist kein Mangel; freilich die in letzter Zeit versuchten aus¬
führlicheren Geschichtserzählungen von Cosel und von Eberty müssen als
mißlungene Versuche bezeichnet werden, dagegen dürfen mehrere kürzere über¬
sichtliche Abrisse als empfehlenswert!) gelten: wir zeichnen das Buch von
F. Voigt unter ihnen aus.

Bisher sind nun ganz besonders die äußeren Beziehungen Preußens zu
seinen Nachbaren, zur europäischen Politik, zur deutschen Nation erörtert und
erforscht worden. Ueber den großen Kurfürsten verbreiten neben Droysen
manche kleinere Arbeiten noch ergänzendes Licht: auch die Akten und Ur¬
kunden dieser Zeit selbst hat man zu sammeln und zu drucken unternommen.
Für die Epoche Friedrich's des Großen fehlt uns allerdings noch jeder Ansatz,
die Aktenschätze des Staatsarchives in ähnlicher Weise zu veröffentlichen; die
Klagen über die unter der Aegide Friedrich Wilhelm's IV. erschienene Aus¬
gabe seiner Werke sind leider nur zu sehr begründet. Dagegen haben, wie
früher Preuß, so Ranke, Schäfer, Max Duncker u. A. fehr dankens-
werthe Studien über Friedrich's auswärtige Politik schon geliefert; und die
Publikationen aus dem Wiener Archive, die wir Arneth und Beer ver¬
danken, verbreiten auch über König Friedrich manches neue Licht. Nicht so
günstig stehen wir der Geschichte der Freiheitskriege gegenüber; jeder neue
Schritt lehrt uns, wie ungenügend und unzureichend das Material gewesen,
auf das Hauffer seine Erzählung gegründet. Diese Periode wird von
Grund aus neu aus dem archivalischen Stoffe zu bearbeiten sein. Und was
die Jahre nach 1815 angeht, so wissen wir noch sehr wenig und sehr wenig
Zusammenhängendes. Aber auch über dieses unbekannte Land winkt ja die
Hoffnung baldiger Aufschlüsse.

Was heute am meisten und am schmerzlichsten vermißt wird, ist eine
Geschichte der inneren Entwickelung, es fehlt an einer gehörig begründeten
Kenntniß der preußischen Verwaltung. Alle Welt spricht heute den Satz aus,
daß durch seinen Beamtenstand Preußen das geworden ist. was es heute ist:
wer aber kennt die Geschichte dieses Beamtenstandes, seiner Einrichtungen und
seiner Leistungen? Auf diesem Felde tappen wir noch vollständig im Finstern.
Unsere Kenntniß fängt eben erst an vorbereitet und angebahnt zu werden:
erst weniges wissen wir über die ältere Zeit durch die Arbeiten von Kubus
und Jsaacsohn; und die in allmählichem Erscheinen begriffenen Studien
von Schmolk er über die Epoche Friedrich Wilhelm's I. harren noch der
Vollendung und des Abschlusses. Gerade von Schmoller erhoffen und erwar¬
ten wir eine Geschichte unserer preußischen Verwaltung und Verfassung, --
ein Werk, das allerdings erst aus lange und emsig betriebenen Detailstudien
allmählich zusammenwachsen kann. Wenn heute fast jeder brave Durchschnitts¬
politiker den Mund voll nimmt von Lobeserhebungen über die Stein'schen


Pulären Büchern ist kein Mangel; freilich die in letzter Zeit versuchten aus¬
führlicheren Geschichtserzählungen von Cosel und von Eberty müssen als
mißlungene Versuche bezeichnet werden, dagegen dürfen mehrere kürzere über¬
sichtliche Abrisse als empfehlenswert!) gelten: wir zeichnen das Buch von
F. Voigt unter ihnen aus.

Bisher sind nun ganz besonders die äußeren Beziehungen Preußens zu
seinen Nachbaren, zur europäischen Politik, zur deutschen Nation erörtert und
erforscht worden. Ueber den großen Kurfürsten verbreiten neben Droysen
manche kleinere Arbeiten noch ergänzendes Licht: auch die Akten und Ur¬
kunden dieser Zeit selbst hat man zu sammeln und zu drucken unternommen.
Für die Epoche Friedrich's des Großen fehlt uns allerdings noch jeder Ansatz,
die Aktenschätze des Staatsarchives in ähnlicher Weise zu veröffentlichen; die
Klagen über die unter der Aegide Friedrich Wilhelm's IV. erschienene Aus¬
gabe seiner Werke sind leider nur zu sehr begründet. Dagegen haben, wie
früher Preuß, so Ranke, Schäfer, Max Duncker u. A. fehr dankens-
werthe Studien über Friedrich's auswärtige Politik schon geliefert; und die
Publikationen aus dem Wiener Archive, die wir Arneth und Beer ver¬
danken, verbreiten auch über König Friedrich manches neue Licht. Nicht so
günstig stehen wir der Geschichte der Freiheitskriege gegenüber; jeder neue
Schritt lehrt uns, wie ungenügend und unzureichend das Material gewesen,
auf das Hauffer seine Erzählung gegründet. Diese Periode wird von
Grund aus neu aus dem archivalischen Stoffe zu bearbeiten sein. Und was
die Jahre nach 1815 angeht, so wissen wir noch sehr wenig und sehr wenig
Zusammenhängendes. Aber auch über dieses unbekannte Land winkt ja die
Hoffnung baldiger Aufschlüsse.

Was heute am meisten und am schmerzlichsten vermißt wird, ist eine
Geschichte der inneren Entwickelung, es fehlt an einer gehörig begründeten
Kenntniß der preußischen Verwaltung. Alle Welt spricht heute den Satz aus,
daß durch seinen Beamtenstand Preußen das geworden ist. was es heute ist:
wer aber kennt die Geschichte dieses Beamtenstandes, seiner Einrichtungen und
seiner Leistungen? Auf diesem Felde tappen wir noch vollständig im Finstern.
Unsere Kenntniß fängt eben erst an vorbereitet und angebahnt zu werden:
erst weniges wissen wir über die ältere Zeit durch die Arbeiten von Kubus
und Jsaacsohn; und die in allmählichem Erscheinen begriffenen Studien
von Schmolk er über die Epoche Friedrich Wilhelm's I. harren noch der
Vollendung und des Abschlusses. Gerade von Schmoller erhoffen und erwar¬
ten wir eine Geschichte unserer preußischen Verwaltung und Verfassung, —
ein Werk, das allerdings erst aus lange und emsig betriebenen Detailstudien
allmählich zusammenwachsen kann. Wenn heute fast jeder brave Durchschnitts¬
politiker den Mund voll nimmt von Lobeserhebungen über die Stein'schen


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[0457] Pulären Büchern ist kein Mangel; freilich die in letzter Zeit versuchten aus¬ führlicheren Geschichtserzählungen von Cosel und von Eberty müssen als mißlungene Versuche bezeichnet werden, dagegen dürfen mehrere kürzere über¬ sichtliche Abrisse als empfehlenswert!) gelten: wir zeichnen das Buch von F. Voigt unter ihnen aus. Bisher sind nun ganz besonders die äußeren Beziehungen Preußens zu seinen Nachbaren, zur europäischen Politik, zur deutschen Nation erörtert und erforscht worden. Ueber den großen Kurfürsten verbreiten neben Droysen manche kleinere Arbeiten noch ergänzendes Licht: auch die Akten und Ur¬ kunden dieser Zeit selbst hat man zu sammeln und zu drucken unternommen. Für die Epoche Friedrich's des Großen fehlt uns allerdings noch jeder Ansatz, die Aktenschätze des Staatsarchives in ähnlicher Weise zu veröffentlichen; die Klagen über die unter der Aegide Friedrich Wilhelm's IV. erschienene Aus¬ gabe seiner Werke sind leider nur zu sehr begründet. Dagegen haben, wie früher Preuß, so Ranke, Schäfer, Max Duncker u. A. fehr dankens- werthe Studien über Friedrich's auswärtige Politik schon geliefert; und die Publikationen aus dem Wiener Archive, die wir Arneth und Beer ver¬ danken, verbreiten auch über König Friedrich manches neue Licht. Nicht so günstig stehen wir der Geschichte der Freiheitskriege gegenüber; jeder neue Schritt lehrt uns, wie ungenügend und unzureichend das Material gewesen, auf das Hauffer seine Erzählung gegründet. Diese Periode wird von Grund aus neu aus dem archivalischen Stoffe zu bearbeiten sein. Und was die Jahre nach 1815 angeht, so wissen wir noch sehr wenig und sehr wenig Zusammenhängendes. Aber auch über dieses unbekannte Land winkt ja die Hoffnung baldiger Aufschlüsse. Was heute am meisten und am schmerzlichsten vermißt wird, ist eine Geschichte der inneren Entwickelung, es fehlt an einer gehörig begründeten Kenntniß der preußischen Verwaltung. Alle Welt spricht heute den Satz aus, daß durch seinen Beamtenstand Preußen das geworden ist. was es heute ist: wer aber kennt die Geschichte dieses Beamtenstandes, seiner Einrichtungen und seiner Leistungen? Auf diesem Felde tappen wir noch vollständig im Finstern. Unsere Kenntniß fängt eben erst an vorbereitet und angebahnt zu werden: erst weniges wissen wir über die ältere Zeit durch die Arbeiten von Kubus und Jsaacsohn; und die in allmählichem Erscheinen begriffenen Studien von Schmolk er über die Epoche Friedrich Wilhelm's I. harren noch der Vollendung und des Abschlusses. Gerade von Schmoller erhoffen und erwar¬ ten wir eine Geschichte unserer preußischen Verwaltung und Verfassung, — ein Werk, das allerdings erst aus lange und emsig betriebenen Detailstudien allmählich zusammenwachsen kann. Wenn heute fast jeder brave Durchschnitts¬ politiker den Mund voll nimmt von Lobeserhebungen über die Stein'schen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/457>, abgerufen am 27.07.2024.