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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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in ganz objektiver Haltung Preußens Konflikte mit äußeren und inneren
Gegnern zu erzählen. Dieser Unterschied des Temperamentes tritt in manchen
Stellen auch bestimmend für ihr Urtheil auf. Es ist sicher, Ranke's Ent¬
wickelung der Stellung von Preußen zu Oesterreich ist von einer recht ver¬
söhnlichen Tendenz durchhaucht. Droysen's Buch athmet den entschiedensten
Gegensatz des Preußen gegen das Haus Habsburg und trägt keine Scheu
jenen unauslöschlichen Haß, den der Preuße gegen den Oestreicher eben wegen
der früheren Vorfälle zwischen beiden immer haben soll, offen zu bekennen.
Bei dieser durch das Ganze sich hindurchziehenden Differenz der Auffassung
wird man gestehen dürfen, daß die Geschichte des letzten Jahrhunderts bei
Droysen besser als bei Ranke vorbereitet ist. Und damit hängt ein Anderes
zusammen. Der preußische Staat war in der Periode seines Emporsteigens
von zwei Nachbaren arg bedrängt und bedrückt, von Sachsen und von
Hannover; von dem letzteren wurde er auf Schritt und Tritt gehemmt und
chicanirt, ganz besonders seit der Kurfürst von Hannover die englische Krone
trug. Ranke schwächt auch diesen Gegensatz der Zollern und der Welsen ab;
bei ihm empfängt die welfische Ränkesucht der Hannoveraner nicht das ihr zu¬
kommende Licht. Droysen's lebhafteres, weil exclufiveres Gefühl für den
preußischen Staat verdient in diesen und ähnlichen Fällen unseres Trachtens
den Vorzug vor jener objektiveren und kühlen Auffassung Ranke's.

Wie immer, so hat Ranke auch diesmal seine ganze Meisterschaft gezeigt
in der künstlerischen Gestaltung und Abrundung. Die Disposition des
Stoffes ist, wie wir bei ihm gewohnt sind, ein Meisterstück; Sprache und
Stil sind plastisch wie immer. Damit hält Droysen keineswegs gleichen
Schritt. Schon die Anordnung des Ganzen läßt erhebliches zu wünschen,
und der nervöse unruhige Vortrag gestattet ebenfalls seltener, als man wünschen
möchte, dem Leser zu ruhigem Genusse zu kommen.

Alles in Allem, bei einem Vergleiche der beiden großen Geschichtswerke,
-- und man liebt es ja von altersher derartige Vergleiche anzustellen und
man ist in der That durch manches in diesem Falle zu Vergleichen heraus¬
gefordert, -- wird man sich gestehen, daß sie in merkwürdiger Art einander
ergänzen und ablösen. Ein jedes will nach seinen Absichten verstanden und
beurtheilt werden; einem jeden eignen Vorzüge, die das andere nicht oder doch
nicht in dem Umfange hat. Und wenn man durchaus die Frage beantwortet
haben wollte, welchem von beiden der größere Preis zuzusprechen sein würde,
so würden wir mit dem bekannten Worte unseres Dichters antworten: "man
solle sich freuen, daß zwei solcher Kerle nebeneinander da sind!"

Neben diesen großen wissenschaftlichen Gesammtdarstellungen besitzen wir
eine große Literatur von Monographien, deren Reichthum und Mannichfaltig-
keit auch nur annähernd zu bezeichnen hier nicht möglich ist. Auch an po"


in ganz objektiver Haltung Preußens Konflikte mit äußeren und inneren
Gegnern zu erzählen. Dieser Unterschied des Temperamentes tritt in manchen
Stellen auch bestimmend für ihr Urtheil auf. Es ist sicher, Ranke's Ent¬
wickelung der Stellung von Preußen zu Oesterreich ist von einer recht ver¬
söhnlichen Tendenz durchhaucht. Droysen's Buch athmet den entschiedensten
Gegensatz des Preußen gegen das Haus Habsburg und trägt keine Scheu
jenen unauslöschlichen Haß, den der Preuße gegen den Oestreicher eben wegen
der früheren Vorfälle zwischen beiden immer haben soll, offen zu bekennen.
Bei dieser durch das Ganze sich hindurchziehenden Differenz der Auffassung
wird man gestehen dürfen, daß die Geschichte des letzten Jahrhunderts bei
Droysen besser als bei Ranke vorbereitet ist. Und damit hängt ein Anderes
zusammen. Der preußische Staat war in der Periode seines Emporsteigens
von zwei Nachbaren arg bedrängt und bedrückt, von Sachsen und von
Hannover; von dem letzteren wurde er auf Schritt und Tritt gehemmt und
chicanirt, ganz besonders seit der Kurfürst von Hannover die englische Krone
trug. Ranke schwächt auch diesen Gegensatz der Zollern und der Welsen ab;
bei ihm empfängt die welfische Ränkesucht der Hannoveraner nicht das ihr zu¬
kommende Licht. Droysen's lebhafteres, weil exclufiveres Gefühl für den
preußischen Staat verdient in diesen und ähnlichen Fällen unseres Trachtens
den Vorzug vor jener objektiveren und kühlen Auffassung Ranke's.

Wie immer, so hat Ranke auch diesmal seine ganze Meisterschaft gezeigt
in der künstlerischen Gestaltung und Abrundung. Die Disposition des
Stoffes ist, wie wir bei ihm gewohnt sind, ein Meisterstück; Sprache und
Stil sind plastisch wie immer. Damit hält Droysen keineswegs gleichen
Schritt. Schon die Anordnung des Ganzen läßt erhebliches zu wünschen,
und der nervöse unruhige Vortrag gestattet ebenfalls seltener, als man wünschen
möchte, dem Leser zu ruhigem Genusse zu kommen.

Alles in Allem, bei einem Vergleiche der beiden großen Geschichtswerke,
— und man liebt es ja von altersher derartige Vergleiche anzustellen und
man ist in der That durch manches in diesem Falle zu Vergleichen heraus¬
gefordert, — wird man sich gestehen, daß sie in merkwürdiger Art einander
ergänzen und ablösen. Ein jedes will nach seinen Absichten verstanden und
beurtheilt werden; einem jeden eignen Vorzüge, die das andere nicht oder doch
nicht in dem Umfange hat. Und wenn man durchaus die Frage beantwortet
haben wollte, welchem von beiden der größere Preis zuzusprechen sein würde,
so würden wir mit dem bekannten Worte unseres Dichters antworten: „man
solle sich freuen, daß zwei solcher Kerle nebeneinander da sind!"

Neben diesen großen wissenschaftlichen Gesammtdarstellungen besitzen wir
eine große Literatur von Monographien, deren Reichthum und Mannichfaltig-
keit auch nur annähernd zu bezeichnen hier nicht möglich ist. Auch an po«


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[0456] in ganz objektiver Haltung Preußens Konflikte mit äußeren und inneren Gegnern zu erzählen. Dieser Unterschied des Temperamentes tritt in manchen Stellen auch bestimmend für ihr Urtheil auf. Es ist sicher, Ranke's Ent¬ wickelung der Stellung von Preußen zu Oesterreich ist von einer recht ver¬ söhnlichen Tendenz durchhaucht. Droysen's Buch athmet den entschiedensten Gegensatz des Preußen gegen das Haus Habsburg und trägt keine Scheu jenen unauslöschlichen Haß, den der Preuße gegen den Oestreicher eben wegen der früheren Vorfälle zwischen beiden immer haben soll, offen zu bekennen. Bei dieser durch das Ganze sich hindurchziehenden Differenz der Auffassung wird man gestehen dürfen, daß die Geschichte des letzten Jahrhunderts bei Droysen besser als bei Ranke vorbereitet ist. Und damit hängt ein Anderes zusammen. Der preußische Staat war in der Periode seines Emporsteigens von zwei Nachbaren arg bedrängt und bedrückt, von Sachsen und von Hannover; von dem letzteren wurde er auf Schritt und Tritt gehemmt und chicanirt, ganz besonders seit der Kurfürst von Hannover die englische Krone trug. Ranke schwächt auch diesen Gegensatz der Zollern und der Welsen ab; bei ihm empfängt die welfische Ränkesucht der Hannoveraner nicht das ihr zu¬ kommende Licht. Droysen's lebhafteres, weil exclufiveres Gefühl für den preußischen Staat verdient in diesen und ähnlichen Fällen unseres Trachtens den Vorzug vor jener objektiveren und kühlen Auffassung Ranke's. Wie immer, so hat Ranke auch diesmal seine ganze Meisterschaft gezeigt in der künstlerischen Gestaltung und Abrundung. Die Disposition des Stoffes ist, wie wir bei ihm gewohnt sind, ein Meisterstück; Sprache und Stil sind plastisch wie immer. Damit hält Droysen keineswegs gleichen Schritt. Schon die Anordnung des Ganzen läßt erhebliches zu wünschen, und der nervöse unruhige Vortrag gestattet ebenfalls seltener, als man wünschen möchte, dem Leser zu ruhigem Genusse zu kommen. Alles in Allem, bei einem Vergleiche der beiden großen Geschichtswerke, — und man liebt es ja von altersher derartige Vergleiche anzustellen und man ist in der That durch manches in diesem Falle zu Vergleichen heraus¬ gefordert, — wird man sich gestehen, daß sie in merkwürdiger Art einander ergänzen und ablösen. Ein jedes will nach seinen Absichten verstanden und beurtheilt werden; einem jeden eignen Vorzüge, die das andere nicht oder doch nicht in dem Umfange hat. Und wenn man durchaus die Frage beantwortet haben wollte, welchem von beiden der größere Preis zuzusprechen sein würde, so würden wir mit dem bekannten Worte unseres Dichters antworten: „man solle sich freuen, daß zwei solcher Kerle nebeneinander da sind!" Neben diesen großen wissenschaftlichen Gesammtdarstellungen besitzen wir eine große Literatur von Monographien, deren Reichthum und Mannichfaltig- keit auch nur annähernd zu bezeichnen hier nicht möglich ist. Auch an po«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/456>, abgerufen am 27.07.2024.