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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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an dessen Modifikation oder "Moralisirung" man nun schon seit einigen
Jahren, jedoch ohne den geringsten Erfolg, arbeitete.

Man hat die Mehrzahl häufig beschuldigt, daß es ihr an dem guten
Willen fehlte, dem bestehenden Zustande durch Herstellung einiger organischer
Einrichtungen eine feste Form und die Bürgschaft einer gewissen Dauer zu
geben. Dieser Vorwurf war indessen nicht ganz gerecht. In der Zeit freilich,
wo die monarchischen Parteien sich der Hoffnung auf eine unmittelbar bevor¬
stehende Wiederherstellung des Königthums Hingaben, dachten sie nicht daran,
einen Zustand zu organisiren, dem man ja gerade ein rasches Ende bereiten
wollte. Auch unterliegt es keinem Zweifel, daß zu der Erbitterung der Con-
servativen Mer Thiers, welche die Katastrophe vom 24. Mai herbeiführte,
das Verlangen, einer Berathung der constitutionellen Gesetze aus dem Wege
zu gehen, wesentlich mit beigetragen hatte. Aber damals war die Mehrheit
doch nicht sowohl über die Zumuthung überhaupt, dem Provisorium eine
gewisse Festigkeit zu geben, erbittert gewesen, als vielmehr über jene bestimmten
Gesetze, welche Thiers der Nationalversammlung aufdrängen wollte. Hätten
sich die Dufaure'schen Gesetze als provisorisch angekündigt, hätten sie in keiner
Weise der Zukunft vorgegriffen, so würde man sich dieselben mit einiger
Modifikation ohne Bedenken haben gefallen lassen. Aber ein Gesetz über die
Präsidentenwahl mußte von allen monarchischen Parteien zurückgewiesen
werden. Während der Fusionsbestrebungen ruhten natürlich alle auf Ver¬
fassungsfragen bezüglichen Arbeiten. Nach der Verlängerung der Vollmachten
Mac Mahon's lag es aber augenscheinlich im Interesse der Conservativen
selbst, die Organisationsarbeit ernstlich und nicht etwa bloß zum Schein in
die Hand zu nehmen. Man hatte Mac Mahon eine Stellung eingeräumt,
die ihn thatsächlich aus einem Beamten in einen Herrscher mit ganz un¬
bestimmten und darum unbeschränkten Vollmachten verwandelte. Begrenzen
konnte man seine Macht nur durch organische Gesetze. Mac Mahon forderte
dieselben in Folge des natürlichen Triebes jeder Regierung, sich mit Insti¬
tutionen zu umgeben, die, wenn sie ihr gewisse Schranken ziehen, ihr doch
andererseits den Charakter der Regelmäßigkeit und damit eine moralische
Sicherheit verleihen, deren auch die kräftigste Dictatur entbehrt. Indessen
Mac Mahon konnte der constitutionellen Gesetze im Nothfall immer ent¬
behren. Die Majorität bedürfte ihrer aber um so dringender, weil sie sich
vor einer Vergewaltigung durch die neben ihr emporgekommene, ihr bereits
überlegene Macht und durch eine, wenn auch nur auf die Dauer von 7 Jahren
berechnete Organisation der Staatsgewalten, durch eine feste Regelung ihrer
Beziehungen zu einander schützen konnten. Wenn die Legitimisten und z. Th.
auch die Bonapartisten einer Organisation des Septennats abgeneigt waren,
so hatte das.einfach in ihrer theils entschieden feindlichen, theils zweideutigen


an dessen Modifikation oder „Moralisirung" man nun schon seit einigen
Jahren, jedoch ohne den geringsten Erfolg, arbeitete.

Man hat die Mehrzahl häufig beschuldigt, daß es ihr an dem guten
Willen fehlte, dem bestehenden Zustande durch Herstellung einiger organischer
Einrichtungen eine feste Form und die Bürgschaft einer gewissen Dauer zu
geben. Dieser Vorwurf war indessen nicht ganz gerecht. In der Zeit freilich,
wo die monarchischen Parteien sich der Hoffnung auf eine unmittelbar bevor¬
stehende Wiederherstellung des Königthums Hingaben, dachten sie nicht daran,
einen Zustand zu organisiren, dem man ja gerade ein rasches Ende bereiten
wollte. Auch unterliegt es keinem Zweifel, daß zu der Erbitterung der Con-
servativen Mer Thiers, welche die Katastrophe vom 24. Mai herbeiführte,
das Verlangen, einer Berathung der constitutionellen Gesetze aus dem Wege
zu gehen, wesentlich mit beigetragen hatte. Aber damals war die Mehrheit
doch nicht sowohl über die Zumuthung überhaupt, dem Provisorium eine
gewisse Festigkeit zu geben, erbittert gewesen, als vielmehr über jene bestimmten
Gesetze, welche Thiers der Nationalversammlung aufdrängen wollte. Hätten
sich die Dufaure'schen Gesetze als provisorisch angekündigt, hätten sie in keiner
Weise der Zukunft vorgegriffen, so würde man sich dieselben mit einiger
Modifikation ohne Bedenken haben gefallen lassen. Aber ein Gesetz über die
Präsidentenwahl mußte von allen monarchischen Parteien zurückgewiesen
werden. Während der Fusionsbestrebungen ruhten natürlich alle auf Ver¬
fassungsfragen bezüglichen Arbeiten. Nach der Verlängerung der Vollmachten
Mac Mahon's lag es aber augenscheinlich im Interesse der Conservativen
selbst, die Organisationsarbeit ernstlich und nicht etwa bloß zum Schein in
die Hand zu nehmen. Man hatte Mac Mahon eine Stellung eingeräumt,
die ihn thatsächlich aus einem Beamten in einen Herrscher mit ganz un¬
bestimmten und darum unbeschränkten Vollmachten verwandelte. Begrenzen
konnte man seine Macht nur durch organische Gesetze. Mac Mahon forderte
dieselben in Folge des natürlichen Triebes jeder Regierung, sich mit Insti¬
tutionen zu umgeben, die, wenn sie ihr gewisse Schranken ziehen, ihr doch
andererseits den Charakter der Regelmäßigkeit und damit eine moralische
Sicherheit verleihen, deren auch die kräftigste Dictatur entbehrt. Indessen
Mac Mahon konnte der constitutionellen Gesetze im Nothfall immer ent¬
behren. Die Majorität bedürfte ihrer aber um so dringender, weil sie sich
vor einer Vergewaltigung durch die neben ihr emporgekommene, ihr bereits
überlegene Macht und durch eine, wenn auch nur auf die Dauer von 7 Jahren
berechnete Organisation der Staatsgewalten, durch eine feste Regelung ihrer
Beziehungen zu einander schützen konnten. Wenn die Legitimisten und z. Th.
auch die Bonapartisten einer Organisation des Septennats abgeneigt waren,
so hatte das.einfach in ihrer theils entschieden feindlichen, theils zweideutigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/410>, abgerufen am 28.07.2024.