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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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als entschieden socialistische oder wenigstens dem Socialismus in die Hände
arbeitende Einrichtung gilt. Die Aufgabe Magne's war unter diesen Um¬
ständen sehr schwierig: um nicht eine Classe ausschließlich zu belasten, mußte
er ein höchst verwickeltes, die verschiedenartigsten Gegenstände des Verbrauchs
und des Erwerbs treffendes System von Steuern vorschlagen. Die Folge
davon war aber, daß von allen Seiten Lärm geschlagen wurde, daß bald
der Ackerbau, bald Handel und Industrie über übermäßige Belastung Klage
erhoben: hatte doch auch Thiers schon ähnliche Erfahrungen machen müssen.
Die einzige finanzielle Macht, die auf Magne's Seite stand und ihm aller¬
dings eine überaus starke Stütze gewährte, war die Börse, welche vor Allem
eine glückliche Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeiten von dem Staate
forderte und in dieser Beziehung zu Magne's Energie und gutem Willen ein
fast unbegrenztes Vertrauen hatte. Bei Gelegenheit der Steuertabelle nun
kam es vor, daß Magne sich über den engherzigen Eigenmuth der Industriellen
und Kaufleute beschwerte, die nur darauf bedacht wären, alle Lasten von
ihren Schultern abzuwälzen. Dies Wort wirkte wie ein Feuer, das in eine
Pulvertonne geworfen wird, das Signal zu einem Classenkampfe war gegeben.
Lockroy von der äußersten Linken benutzte die Gelegenheit, um einen heftigen
Angriff gegen die Capitaltsten, Rentiers und Grundbesitzer zu richten, dem
Dufaure, als Vertreter des Bürgerthums, mit einem eben so heftigen Ausfall
gegen die Dummen, Faulen und Neidischen und einer Lobrede auf den
Patriotismus und die einsichtsvolle Uneigennützigkeit der Reichen erwiderte.
Die Organe der Linken selbst bemühten sich, durch Desavouirung Lockroy's
den peinlichen Eindruck, den seine Worte auf die wohlhabenden Classen ge¬
macht hatten, abzuschwächen. Aber das Wort war einmal gesprochen, und
keine Mißbilligung desselben konnte hindern, daß es als unwillkürlicher Aus¬
bruch eines glühenden Hasses, der für die Zukunft die furchtbarsten Stürme
in Aussicht stellte, aufgefaßt wurde. Was hatte man zu erwarten, wenn die
Partei, als deren Wortführer Lockroy aufgetreten war, einst ans Ruder
käme? Ihr Generalstab und ein großer Theil ihrer bewaffneten Macht be¬
fand sich auf den Bagnos und in Reucaledonien: würde aber ein Regiment
der gemäßigten Linken dem Verlangen nach Amnestie und Zurückberufung
der Verbannten auf die Dauer Widerstand leisten können?

Daß unter solchen Verhältnissen die gemäßigten Republikaner einen Steg
ihrer radicalen Bundesgenossen fast eben so fürchteten, wie die Pläne ihrer
monarchischen Gegner ist erklärlich genug: und. daher wünschten sie Nichts
sehnlicher, als daß es der gegenwärtigen Versammlung gelingen möge, die
Republik mit solchen Institutionen auszustatten, die eine sichere Schutzwehr
gegen das Andringen der revolutionären Elemente böten. Die Frage, ob die
radicale Partei in verfassungsmäßigen Bestimmungen ein Hinderniß für die


als entschieden socialistische oder wenigstens dem Socialismus in die Hände
arbeitende Einrichtung gilt. Die Aufgabe Magne's war unter diesen Um¬
ständen sehr schwierig: um nicht eine Classe ausschließlich zu belasten, mußte
er ein höchst verwickeltes, die verschiedenartigsten Gegenstände des Verbrauchs
und des Erwerbs treffendes System von Steuern vorschlagen. Die Folge
davon war aber, daß von allen Seiten Lärm geschlagen wurde, daß bald
der Ackerbau, bald Handel und Industrie über übermäßige Belastung Klage
erhoben: hatte doch auch Thiers schon ähnliche Erfahrungen machen müssen.
Die einzige finanzielle Macht, die auf Magne's Seite stand und ihm aller¬
dings eine überaus starke Stütze gewährte, war die Börse, welche vor Allem
eine glückliche Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeiten von dem Staate
forderte und in dieser Beziehung zu Magne's Energie und gutem Willen ein
fast unbegrenztes Vertrauen hatte. Bei Gelegenheit der Steuertabelle nun
kam es vor, daß Magne sich über den engherzigen Eigenmuth der Industriellen
und Kaufleute beschwerte, die nur darauf bedacht wären, alle Lasten von
ihren Schultern abzuwälzen. Dies Wort wirkte wie ein Feuer, das in eine
Pulvertonne geworfen wird, das Signal zu einem Classenkampfe war gegeben.
Lockroy von der äußersten Linken benutzte die Gelegenheit, um einen heftigen
Angriff gegen die Capitaltsten, Rentiers und Grundbesitzer zu richten, dem
Dufaure, als Vertreter des Bürgerthums, mit einem eben so heftigen Ausfall
gegen die Dummen, Faulen und Neidischen und einer Lobrede auf den
Patriotismus und die einsichtsvolle Uneigennützigkeit der Reichen erwiderte.
Die Organe der Linken selbst bemühten sich, durch Desavouirung Lockroy's
den peinlichen Eindruck, den seine Worte auf die wohlhabenden Classen ge¬
macht hatten, abzuschwächen. Aber das Wort war einmal gesprochen, und
keine Mißbilligung desselben konnte hindern, daß es als unwillkürlicher Aus¬
bruch eines glühenden Hasses, der für die Zukunft die furchtbarsten Stürme
in Aussicht stellte, aufgefaßt wurde. Was hatte man zu erwarten, wenn die
Partei, als deren Wortführer Lockroy aufgetreten war, einst ans Ruder
käme? Ihr Generalstab und ein großer Theil ihrer bewaffneten Macht be¬
fand sich auf den Bagnos und in Reucaledonien: würde aber ein Regiment
der gemäßigten Linken dem Verlangen nach Amnestie und Zurückberufung
der Verbannten auf die Dauer Widerstand leisten können?

Daß unter solchen Verhältnissen die gemäßigten Republikaner einen Steg
ihrer radicalen Bundesgenossen fast eben so fürchteten, wie die Pläne ihrer
monarchischen Gegner ist erklärlich genug: und. daher wünschten sie Nichts
sehnlicher, als daß es der gegenwärtigen Versammlung gelingen möge, die
Republik mit solchen Institutionen auszustatten, die eine sichere Schutzwehr
gegen das Andringen der revolutionären Elemente böten. Die Frage, ob die
radicale Partei in verfassungsmäßigen Bestimmungen ein Hinderniß für die


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[0407] als entschieden socialistische oder wenigstens dem Socialismus in die Hände arbeitende Einrichtung gilt. Die Aufgabe Magne's war unter diesen Um¬ ständen sehr schwierig: um nicht eine Classe ausschließlich zu belasten, mußte er ein höchst verwickeltes, die verschiedenartigsten Gegenstände des Verbrauchs und des Erwerbs treffendes System von Steuern vorschlagen. Die Folge davon war aber, daß von allen Seiten Lärm geschlagen wurde, daß bald der Ackerbau, bald Handel und Industrie über übermäßige Belastung Klage erhoben: hatte doch auch Thiers schon ähnliche Erfahrungen machen müssen. Die einzige finanzielle Macht, die auf Magne's Seite stand und ihm aller¬ dings eine überaus starke Stütze gewährte, war die Börse, welche vor Allem eine glückliche Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeiten von dem Staate forderte und in dieser Beziehung zu Magne's Energie und gutem Willen ein fast unbegrenztes Vertrauen hatte. Bei Gelegenheit der Steuertabelle nun kam es vor, daß Magne sich über den engherzigen Eigenmuth der Industriellen und Kaufleute beschwerte, die nur darauf bedacht wären, alle Lasten von ihren Schultern abzuwälzen. Dies Wort wirkte wie ein Feuer, das in eine Pulvertonne geworfen wird, das Signal zu einem Classenkampfe war gegeben. Lockroy von der äußersten Linken benutzte die Gelegenheit, um einen heftigen Angriff gegen die Capitaltsten, Rentiers und Grundbesitzer zu richten, dem Dufaure, als Vertreter des Bürgerthums, mit einem eben so heftigen Ausfall gegen die Dummen, Faulen und Neidischen und einer Lobrede auf den Patriotismus und die einsichtsvolle Uneigennützigkeit der Reichen erwiderte. Die Organe der Linken selbst bemühten sich, durch Desavouirung Lockroy's den peinlichen Eindruck, den seine Worte auf die wohlhabenden Classen ge¬ macht hatten, abzuschwächen. Aber das Wort war einmal gesprochen, und keine Mißbilligung desselben konnte hindern, daß es als unwillkürlicher Aus¬ bruch eines glühenden Hasses, der für die Zukunft die furchtbarsten Stürme in Aussicht stellte, aufgefaßt wurde. Was hatte man zu erwarten, wenn die Partei, als deren Wortführer Lockroy aufgetreten war, einst ans Ruder käme? Ihr Generalstab und ein großer Theil ihrer bewaffneten Macht be¬ fand sich auf den Bagnos und in Reucaledonien: würde aber ein Regiment der gemäßigten Linken dem Verlangen nach Amnestie und Zurückberufung der Verbannten auf die Dauer Widerstand leisten können? Daß unter solchen Verhältnissen die gemäßigten Republikaner einen Steg ihrer radicalen Bundesgenossen fast eben so fürchteten, wie die Pläne ihrer monarchischen Gegner ist erklärlich genug: und. daher wünschten sie Nichts sehnlicher, als daß es der gegenwärtigen Versammlung gelingen möge, die Republik mit solchen Institutionen auszustatten, die eine sichere Schutzwehr gegen das Andringen der revolutionären Elemente böten. Die Frage, ob die radicale Partei in verfassungsmäßigen Bestimmungen ein Hinderniß für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/407>, abgerufen am 27.07.2024.