Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.fassung ein ultrademokratisches Gepräge aufdrücken würde, während das Ideal fassung ein ultrademokratisches Gepräge aufdrücken würde, während das Ideal <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132628"/> <p xml:id="ID_1184" prev="#ID_1183" next="#ID_1185"> fassung ein ultrademokratisches Gepräge aufdrücken würde, während das Ideal<lb/> der conservativen Republikaner, die sich um Thiers geschaart hatten und ihn<lb/> als Führer verehrten, eine parlamentarische Republik war, welche genügende<lb/> Bürgschaften gegen die von den Radicalen angestrebte Alleinherrschaft der<lb/> Demokratie böte. Denn mochte auch in Frankreich jede Partei es für noth¬<lb/> wendig halten, mit Worten sich zum demokratischen Princip zu bekennen: in<lb/> der That bestand doch zwischen den verschiedenen Classen der Gesellschaft ein<lb/> eben so schroffer Gegensatz, wie zur Zeit des Julikönlgthums; ja, die noch<lb/> frische Erinnerung an den mit Mühe unterdrückten Communeaufstand trug<lb/> nur dazu bei, den Classenhaß zu immer höherer Erbitterung zu steigern;<lb/> und wie sehr man sich auch bemühte, die socialen Leidenschaften zu verhüllen:<lb/> daß unter der trügerischen Asche die Gluthen des Hasses fortglimmten, ohne<lb/> daß es künstlicher Mittel bedürfte, um sie zu schüren, das wußte man auf<lb/> der einen, wie auf der anderen Seite. War doch der Schrecken, mit dem<lb/> einige Wahlerfolge der Radicalen die besitzenden Classen erfüllt hatten, eine<lb/> der treibenden Ursachen zu Thiers' Sturz geworden. Durch diese Erfahrung<lb/> belehrt, waren die Radicalen vorsichtiger geworden, und ihre Zurückhaltung<lb/> schien die besitzenden Classen einigermaßen beruhigt zu haben; sobald sie aber<lb/> bei irgend einer Gelegenheit von den Gemäßigten sich trennten und ihre<lb/> Farbe zeigten, wurde es offenbar, daß die Beruhigung nur sehr oberflächlich<lb/> gewesen war; es bedürfte nur eines handgreiflichen Hinweises auf das Dasein<lb/> der Radicalen, um von Neuem Schrecken und Sorge in den der Ruhe be¬<lb/> dürftigen Kreisen der Bevölkerung zu erwecken. Hinter den staatsrechtlichen<lb/> und Verfassungsfragen, welche im Grunde nur die Politiker erhitzten, lauerte<lb/> drohend die sociale Frage, um welche die Bevölkerung sich gruppirt. Zu¬<lb/> weilen trat, trotz aller Borsicht, selbst in der Nationalversammlung, der<lb/> Classengegensatz schroff zu Tage, so gelegentlich der Steuerdebatte, die mit<lb/> großer Leidenschaftlichkeit geführt wurde. Die Finanznoth war groß; vor<lb/> Allem die Militärverwaltung nahm ungeheuere Summen in Anspruch und<lb/> konnte dabei doch dem kriegerischen Eifer der Versammlung kaum genug<lb/> thun; ja es kam vor, daß die Regierung Mehrausgaben, welche von beson¬<lb/> ders eifrigen Mitgliedern, wie Gambetta, gefordert wurden, aus finanziellen<lb/> Rücksichten ausdrücklich zurückweisen mußte. Leon Sah wünschte eine augen¬<lb/> blickliche Ersparniß durch Herabminderung der Schuldenamortisationsquote<lb/> um 80 Millionen zu erzielen; aber sein hierauf bezüglicher Antrag wurde<lb/> den Wünschen des Finanzministers entsprechend abgelehnt. Als einziges<lb/> Mittel zur Befriedigung der an den Staat gestellten Ansprüche bot sich also<lb/> nur die Einführung neuer und die Erhöhung älterer, und zwar weit über¬<lb/> wiegend indirekter Steuern dar, da, wie wir schon an einer anderen Stelle<lb/> ausgeführt haben, eine einigermaßen erhebliche Einkommensteuer in Frankreich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0406]
fassung ein ultrademokratisches Gepräge aufdrücken würde, während das Ideal
der conservativen Republikaner, die sich um Thiers geschaart hatten und ihn
als Führer verehrten, eine parlamentarische Republik war, welche genügende
Bürgschaften gegen die von den Radicalen angestrebte Alleinherrschaft der
Demokratie böte. Denn mochte auch in Frankreich jede Partei es für noth¬
wendig halten, mit Worten sich zum demokratischen Princip zu bekennen: in
der That bestand doch zwischen den verschiedenen Classen der Gesellschaft ein
eben so schroffer Gegensatz, wie zur Zeit des Julikönlgthums; ja, die noch
frische Erinnerung an den mit Mühe unterdrückten Communeaufstand trug
nur dazu bei, den Classenhaß zu immer höherer Erbitterung zu steigern;
und wie sehr man sich auch bemühte, die socialen Leidenschaften zu verhüllen:
daß unter der trügerischen Asche die Gluthen des Hasses fortglimmten, ohne
daß es künstlicher Mittel bedürfte, um sie zu schüren, das wußte man auf
der einen, wie auf der anderen Seite. War doch der Schrecken, mit dem
einige Wahlerfolge der Radicalen die besitzenden Classen erfüllt hatten, eine
der treibenden Ursachen zu Thiers' Sturz geworden. Durch diese Erfahrung
belehrt, waren die Radicalen vorsichtiger geworden, und ihre Zurückhaltung
schien die besitzenden Classen einigermaßen beruhigt zu haben; sobald sie aber
bei irgend einer Gelegenheit von den Gemäßigten sich trennten und ihre
Farbe zeigten, wurde es offenbar, daß die Beruhigung nur sehr oberflächlich
gewesen war; es bedürfte nur eines handgreiflichen Hinweises auf das Dasein
der Radicalen, um von Neuem Schrecken und Sorge in den der Ruhe be¬
dürftigen Kreisen der Bevölkerung zu erwecken. Hinter den staatsrechtlichen
und Verfassungsfragen, welche im Grunde nur die Politiker erhitzten, lauerte
drohend die sociale Frage, um welche die Bevölkerung sich gruppirt. Zu¬
weilen trat, trotz aller Borsicht, selbst in der Nationalversammlung, der
Classengegensatz schroff zu Tage, so gelegentlich der Steuerdebatte, die mit
großer Leidenschaftlichkeit geführt wurde. Die Finanznoth war groß; vor
Allem die Militärverwaltung nahm ungeheuere Summen in Anspruch und
konnte dabei doch dem kriegerischen Eifer der Versammlung kaum genug
thun; ja es kam vor, daß die Regierung Mehrausgaben, welche von beson¬
ders eifrigen Mitgliedern, wie Gambetta, gefordert wurden, aus finanziellen
Rücksichten ausdrücklich zurückweisen mußte. Leon Sah wünschte eine augen¬
blickliche Ersparniß durch Herabminderung der Schuldenamortisationsquote
um 80 Millionen zu erzielen; aber sein hierauf bezüglicher Antrag wurde
den Wünschen des Finanzministers entsprechend abgelehnt. Als einziges
Mittel zur Befriedigung der an den Staat gestellten Ansprüche bot sich also
nur die Einführung neuer und die Erhöhung älterer, und zwar weit über¬
wiegend indirekter Steuern dar, da, wie wir schon an einer anderen Stelle
ausgeführt haben, eine einigermaßen erhebliche Einkommensteuer in Frankreich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |