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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Deutschen von heute ganz seltsam zu Muthe wird. Auch Walter Scott's
Romane stellten zum großen Theile das particuläre Selbstgefühl der schottischen
Hochlande in bewußten, vortheilhaften, dem britischen Stolze empfindlichen
Gegensatz zum nivellirenden Unitarismus des dreieinigen Königreiches. Und
selbst wenn so ausschließlich nationale Helden gefeiert werden, wie Richard
Löwenherz im "Ivanhoe". läßt der Dichter die wärmsten Gefühle seines
Herzens in das Dunkel leuchten, in dem die vergangene Herrlichkeit der Angel¬
sachsen sich vor dem herrschenden Geschlechte der Normannen bergen muß.
Aber das alles sind berechtigte Stufen der Entwickelung einer Volks- und
Staatsgemeinschaft. Den Landesverrat!) der kleinen Kronen gegen das
nationale Staatsbewußtsein, den Bund mit dem Erbfeind aus dynasti¬
schem Interesse, hat Walter Scott nie gefeiert. Seine Schriften tragen
im Gegentheil, trotz aller Vorliebe für die schottischen Eigenthümlichkeiten
der Volksseele, einen ausgeprägt national-englischen Charakter, und es ist
kein Zufall, daß der vornehmste Dichter der Mark Brandenburg und der
Geschichte des Werdens und Ringens des märkischen Volkes und Fürsten-
Hauses, daß Willibald Alexis, seinen ersten Roman, im Geist und Geschmack
der Waverley-Romane zu schreiben versuchte. Wir Modernen aber schätzen
Walter Scott's Schriften, besonders seitdem uns durch deutsche Forschung
sein persönliches Lebensbild in den jüngsten Jahren so menschlich nahe gerückt
worden ist, um so höher, je mehr wir erkennen, wie fern er sich hielt von
den Verirrungen seiner Zeitrichtung, wie er die Phantasiefülle und den Farben¬
reichthum der Romantik vereinigt mit protestantischer Zucht und historischer
Pflichtstrenge, und wie die reine keusche Seele des Dichters in allen seinen
Gestalten und Erzählungen treu sich spiegelt. Dieser hohe Werth der Walter
Scott'schen Romane gerade für das Jünglings- und Jungfrauenalter hat
den bekannten Leiter des "Daheim" Robert Koenig und die Verleger des
..Daheim", Velhagen u. Klasing (Bielefeld und Leipzig), veranlaßt,
Walter Scott's schönste Romane herauszugeben, in neuer Uebersetzung
von Robert Koenig. Bis jetzt ist "Der Talisman", "Quentin Durward"
und "Ivanhoe" in dieser sehr stattlichen Ausgabe erschienen. Die Uebersetzung
ist treu und sehr lesbar und zeichnet sich vortheilhaft aus vor der großen
Mehrzahl der deutschen Walter-Scott-Ausgaben. Die geschmackvollen Bilder
von Grotjohann, von denen acht jedem Bande beigegeben sind, gereichen dieser
splendiden Ausgabe zu besonderer Zierde. Ueberhaupt verdienen die Bücher,
mit denen die Verlagsbuchhandlung Velhagen und Klasing den
Weihnachtsmarkt betritt, das wärmste Lob: in der Tendenz, die ihnen allen
inne wohnt, wie in der reinen und oft künstlerischen Form, in der sie uns
vor Augen treten. Kaum eine andere deutsche Verlagshandlung bringt eine
solche Fülle guter und schöner Bücher allen Altersstufen der Jugend zum


Deutschen von heute ganz seltsam zu Muthe wird. Auch Walter Scott's
Romane stellten zum großen Theile das particuläre Selbstgefühl der schottischen
Hochlande in bewußten, vortheilhaften, dem britischen Stolze empfindlichen
Gegensatz zum nivellirenden Unitarismus des dreieinigen Königreiches. Und
selbst wenn so ausschließlich nationale Helden gefeiert werden, wie Richard
Löwenherz im „Ivanhoe". läßt der Dichter die wärmsten Gefühle seines
Herzens in das Dunkel leuchten, in dem die vergangene Herrlichkeit der Angel¬
sachsen sich vor dem herrschenden Geschlechte der Normannen bergen muß.
Aber das alles sind berechtigte Stufen der Entwickelung einer Volks- und
Staatsgemeinschaft. Den Landesverrat!) der kleinen Kronen gegen das
nationale Staatsbewußtsein, den Bund mit dem Erbfeind aus dynasti¬
schem Interesse, hat Walter Scott nie gefeiert. Seine Schriften tragen
im Gegentheil, trotz aller Vorliebe für die schottischen Eigenthümlichkeiten
der Volksseele, einen ausgeprägt national-englischen Charakter, und es ist
kein Zufall, daß der vornehmste Dichter der Mark Brandenburg und der
Geschichte des Werdens und Ringens des märkischen Volkes und Fürsten-
Hauses, daß Willibald Alexis, seinen ersten Roman, im Geist und Geschmack
der Waverley-Romane zu schreiben versuchte. Wir Modernen aber schätzen
Walter Scott's Schriften, besonders seitdem uns durch deutsche Forschung
sein persönliches Lebensbild in den jüngsten Jahren so menschlich nahe gerückt
worden ist, um so höher, je mehr wir erkennen, wie fern er sich hielt von
den Verirrungen seiner Zeitrichtung, wie er die Phantasiefülle und den Farben¬
reichthum der Romantik vereinigt mit protestantischer Zucht und historischer
Pflichtstrenge, und wie die reine keusche Seele des Dichters in allen seinen
Gestalten und Erzählungen treu sich spiegelt. Dieser hohe Werth der Walter
Scott'schen Romane gerade für das Jünglings- und Jungfrauenalter hat
den bekannten Leiter des „Daheim" Robert Koenig und die Verleger des
..Daheim", Velhagen u. Klasing (Bielefeld und Leipzig), veranlaßt,
Walter Scott's schönste Romane herauszugeben, in neuer Uebersetzung
von Robert Koenig. Bis jetzt ist „Der Talisman", „Quentin Durward"
und „Ivanhoe" in dieser sehr stattlichen Ausgabe erschienen. Die Uebersetzung
ist treu und sehr lesbar und zeichnet sich vortheilhaft aus vor der großen
Mehrzahl der deutschen Walter-Scott-Ausgaben. Die geschmackvollen Bilder
von Grotjohann, von denen acht jedem Bande beigegeben sind, gereichen dieser
splendiden Ausgabe zu besonderer Zierde. Ueberhaupt verdienen die Bücher,
mit denen die Verlagsbuchhandlung Velhagen und Klasing den
Weihnachtsmarkt betritt, das wärmste Lob: in der Tendenz, die ihnen allen
inne wohnt, wie in der reinen und oft künstlerischen Form, in der sie uns
vor Augen treten. Kaum eine andere deutsche Verlagshandlung bringt eine
solche Fülle guter und schöner Bücher allen Altersstufen der Jugend zum


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[0401] Deutschen von heute ganz seltsam zu Muthe wird. Auch Walter Scott's Romane stellten zum großen Theile das particuläre Selbstgefühl der schottischen Hochlande in bewußten, vortheilhaften, dem britischen Stolze empfindlichen Gegensatz zum nivellirenden Unitarismus des dreieinigen Königreiches. Und selbst wenn so ausschließlich nationale Helden gefeiert werden, wie Richard Löwenherz im „Ivanhoe". läßt der Dichter die wärmsten Gefühle seines Herzens in das Dunkel leuchten, in dem die vergangene Herrlichkeit der Angel¬ sachsen sich vor dem herrschenden Geschlechte der Normannen bergen muß. Aber das alles sind berechtigte Stufen der Entwickelung einer Volks- und Staatsgemeinschaft. Den Landesverrat!) der kleinen Kronen gegen das nationale Staatsbewußtsein, den Bund mit dem Erbfeind aus dynasti¬ schem Interesse, hat Walter Scott nie gefeiert. Seine Schriften tragen im Gegentheil, trotz aller Vorliebe für die schottischen Eigenthümlichkeiten der Volksseele, einen ausgeprägt national-englischen Charakter, und es ist kein Zufall, daß der vornehmste Dichter der Mark Brandenburg und der Geschichte des Werdens und Ringens des märkischen Volkes und Fürsten- Hauses, daß Willibald Alexis, seinen ersten Roman, im Geist und Geschmack der Waverley-Romane zu schreiben versuchte. Wir Modernen aber schätzen Walter Scott's Schriften, besonders seitdem uns durch deutsche Forschung sein persönliches Lebensbild in den jüngsten Jahren so menschlich nahe gerückt worden ist, um so höher, je mehr wir erkennen, wie fern er sich hielt von den Verirrungen seiner Zeitrichtung, wie er die Phantasiefülle und den Farben¬ reichthum der Romantik vereinigt mit protestantischer Zucht und historischer Pflichtstrenge, und wie die reine keusche Seele des Dichters in allen seinen Gestalten und Erzählungen treu sich spiegelt. Dieser hohe Werth der Walter Scott'schen Romane gerade für das Jünglings- und Jungfrauenalter hat den bekannten Leiter des „Daheim" Robert Koenig und die Verleger des ..Daheim", Velhagen u. Klasing (Bielefeld und Leipzig), veranlaßt, Walter Scott's schönste Romane herauszugeben, in neuer Uebersetzung von Robert Koenig. Bis jetzt ist „Der Talisman", „Quentin Durward" und „Ivanhoe" in dieser sehr stattlichen Ausgabe erschienen. Die Uebersetzung ist treu und sehr lesbar und zeichnet sich vortheilhaft aus vor der großen Mehrzahl der deutschen Walter-Scott-Ausgaben. Die geschmackvollen Bilder von Grotjohann, von denen acht jedem Bande beigegeben sind, gereichen dieser splendiden Ausgabe zu besonderer Zierde. Ueberhaupt verdienen die Bücher, mit denen die Verlagsbuchhandlung Velhagen und Klasing den Weihnachtsmarkt betritt, das wärmste Lob: in der Tendenz, die ihnen allen inne wohnt, wie in der reinen und oft künstlerischen Form, in der sie uns vor Augen treten. Kaum eine andere deutsche Verlagshandlung bringt eine solche Fülle guter und schöner Bücher allen Altersstufen der Jugend zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/401>, abgerufen am 27.07.2024.