Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.Aus Reichen an's Feder bietet allerdings der Grunow'sche Verlag Dagegen bringt der Verleger Reichenau's, F. W. Grunow in Leipzig, , Wenn wir die Schriften lesen, die, zur Zeit der Goethe'schen Alleinherr¬ Aus Reichen an's Feder bietet allerdings der Grunow'sche Verlag Dagegen bringt der Verleger Reichenau's, F. W. Grunow in Leipzig, , Wenn wir die Schriften lesen, die, zur Zeit der Goethe'schen Alleinherr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132622"/> <p xml:id="ID_1173"> Aus Reichen an's Feder bietet allerdings der Grunow'sche Verlag<lb/> dieses Jahr keine Novität. Es ist früher schon einmal darauf hingedeutet<lb/> worden, wie schwer und langsam dieser Dichter schafft, wie selten ihn die<lb/> Muse mit jener wolkenlosen Heiterkeit grüßt, die in allen seinen Sachen sich<lb/> offenbart. Und wozu auch wiederum etwas Neues aus seiner Feder, da die<lb/> alten Geschichten „Aus unsern vier Wänden", „Liebesgeschichten", „Am<lb/> eigenen Herd" uns so lebendig und innig anmuthen, als seien sie heut erst<lb/> der deutschen Heimstätte abgelauscht. Wozu etwas Neues, da diese vor<lb/> längerer und kürzerer Zeit geschriebenen Idyllen alle die gleiche Zugkraft bis<lb/> heute bewahrt haben und stets bewahren werden, so lange deutsche Kinder auf¬<lb/> wachsen, deutsche Liebe sich offenbart und Häuser gründet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1174"> Dagegen bringt der Verleger Reichenau's, F. W. Grunow in Leipzig,<lb/> auf den diesjährigen Weihnachtsbüchermarkt eine Novität, welche in jeder<lb/> Hinsicht das beste Lob und die weiteste Aufmerksamkeit verdient, nämlich<lb/> Goethe's Erzählungen fü r erwachsene Mädchen, gesammelt von<lb/> F. Siegfried, mit sechs Tondruckbildern nach Zeichnungen von K. Kögler<lb/> und H. Merle'. Kaum ein pädagogisches Problem ist so schwer zu lösen, als<lb/> die Frage, welche Lectüre erwachsenen Mädchen vorzugsweise zu empfehlen<lb/> sei. Hierzu Goethe's Erzählungen auszuerwählen, ist sicherlich ein Unterneh¬<lb/> men, welches der freudigsten Zustimmung werth ist und den jungen Damen<lb/> bei ihrem Eintritt in die Reihen der Erwachsenen den reichsten Segen bringen<lb/> wird. Mit feinem Sinn und kluger Berechnung ist aus des Altmeisters<lb/> Werken der erzählende Stoff ausgewählt worden, der dieser Stufe der weib¬<lb/> lichen Jugend am meisten entspricht. So wird bet Zeiten den jungen Mäd¬<lb/> chen Sinn für unvergleichliche Reinheit und Hoheit Goethe'scher Sprache ge¬<lb/> weckt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1175" next="#ID_1176"> , Wenn wir die Schriften lesen, die, zur Zeit der Goethe'schen Alleinherr¬<lb/> schaft im Reiche der Geister, Sr. Maj. allertreueste Opposition verfaßte,<lb/> z. B. des liebenswürdigen ungelenken Schwaben Wilhelm Hauff's „Memoiren<lb/> des Satan" , „aus der Leihbibliothek" u. s. w., so stoßen wir auf zahlreiche<lb/> Zeugnisse für die merkwürdige Erscheinung, daß Walter Scott lange Jahre<lb/> hindurch das „gebildete" deutsche Publikum bei weitem mehr interessirte. als<lb/> selbst der deutsche Dichterfürst. Gerade diejenigen, welche am meisten Ironie<lb/> vorräthig hatten für den schottischen Dichter, wie Wilhelm Hauff, vermochten<lb/> sich am wenigsten dem Einfluß desselben zu entziehen. Die schönste Dichtung<lb/> Hauff's, „Lichtenstein", ist durchaus vom Geiste Walter Scott's durchdrungen.<lb/> Seine sonst so freundliche Novelle „das Bild des Kaisers" geht für die rege<lb/> nationale Empfindung unsrer Tage weit hinaus über die bedenklichste Seite<lb/> der Walter Scott'schen Stoffe: Hauff feiert im „Bild des Kaisers" die heroi¬<lb/> sche Gestalt des Schirmherrn des Rheinbundes so unverfroren, daß uns</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
Aus Reichen an's Feder bietet allerdings der Grunow'sche Verlag
dieses Jahr keine Novität. Es ist früher schon einmal darauf hingedeutet
worden, wie schwer und langsam dieser Dichter schafft, wie selten ihn die
Muse mit jener wolkenlosen Heiterkeit grüßt, die in allen seinen Sachen sich
offenbart. Und wozu auch wiederum etwas Neues aus seiner Feder, da die
alten Geschichten „Aus unsern vier Wänden", „Liebesgeschichten", „Am
eigenen Herd" uns so lebendig und innig anmuthen, als seien sie heut erst
der deutschen Heimstätte abgelauscht. Wozu etwas Neues, da diese vor
längerer und kürzerer Zeit geschriebenen Idyllen alle die gleiche Zugkraft bis
heute bewahrt haben und stets bewahren werden, so lange deutsche Kinder auf¬
wachsen, deutsche Liebe sich offenbart und Häuser gründet.
Dagegen bringt der Verleger Reichenau's, F. W. Grunow in Leipzig,
auf den diesjährigen Weihnachtsbüchermarkt eine Novität, welche in jeder
Hinsicht das beste Lob und die weiteste Aufmerksamkeit verdient, nämlich
Goethe's Erzählungen fü r erwachsene Mädchen, gesammelt von
F. Siegfried, mit sechs Tondruckbildern nach Zeichnungen von K. Kögler
und H. Merle'. Kaum ein pädagogisches Problem ist so schwer zu lösen, als
die Frage, welche Lectüre erwachsenen Mädchen vorzugsweise zu empfehlen
sei. Hierzu Goethe's Erzählungen auszuerwählen, ist sicherlich ein Unterneh¬
men, welches der freudigsten Zustimmung werth ist und den jungen Damen
bei ihrem Eintritt in die Reihen der Erwachsenen den reichsten Segen bringen
wird. Mit feinem Sinn und kluger Berechnung ist aus des Altmeisters
Werken der erzählende Stoff ausgewählt worden, der dieser Stufe der weib¬
lichen Jugend am meisten entspricht. So wird bet Zeiten den jungen Mäd¬
chen Sinn für unvergleichliche Reinheit und Hoheit Goethe'scher Sprache ge¬
weckt werden.
, Wenn wir die Schriften lesen, die, zur Zeit der Goethe'schen Alleinherr¬
schaft im Reiche der Geister, Sr. Maj. allertreueste Opposition verfaßte,
z. B. des liebenswürdigen ungelenken Schwaben Wilhelm Hauff's „Memoiren
des Satan" , „aus der Leihbibliothek" u. s. w., so stoßen wir auf zahlreiche
Zeugnisse für die merkwürdige Erscheinung, daß Walter Scott lange Jahre
hindurch das „gebildete" deutsche Publikum bei weitem mehr interessirte. als
selbst der deutsche Dichterfürst. Gerade diejenigen, welche am meisten Ironie
vorräthig hatten für den schottischen Dichter, wie Wilhelm Hauff, vermochten
sich am wenigsten dem Einfluß desselben zu entziehen. Die schönste Dichtung
Hauff's, „Lichtenstein", ist durchaus vom Geiste Walter Scott's durchdrungen.
Seine sonst so freundliche Novelle „das Bild des Kaisers" geht für die rege
nationale Empfindung unsrer Tage weit hinaus über die bedenklichste Seite
der Walter Scott'schen Stoffe: Hauff feiert im „Bild des Kaisers" die heroi¬
sche Gestalt des Schirmherrn des Rheinbundes so unverfroren, daß uns
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