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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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nischen Einheit zu einem Theil für Deutschland geschrieben zu sein. . . . Das
eine ist gewiß, daß die politische Wiedergeburt Deutschlands und Italiens in
der geschichtlichen Betrachtungsweise der sie bedingenden Zeitumstände un¬
trennbar mit einander verwachsen sind. Ebensowenig kann bestritten werden,
daß die Namen der beiden in der entscheidenden Krise leitenden Staats¬
männer. Bismarck und Cavour an der Spitze jener persönlichen Kräfte
stehen, welche das weltgeschichtliche Werk vollbringen halfen." Holtzendorff
prüft dann die Möglichkeit, diese beiden Männer miteinander zu vergleichen,
"deren Streben im Verhältniß zu ihrem Volke ein so ähnliches, deren persön¬
liches Wesen ein so grundverschiedenes ist", und er kommt zu dem Resultate:
"der zuverlässigste Maßstab scheint indessen immer derjenige zu sein, welcher
dem lebenden Staatsmanne in dem Haffe noch nicht völlig entmuthigter
Gegner, dem todten Staatsmanne in der Dankbarkeit der ihn überlebenden
Geschlechter entgegengehalten wird. Cavour starb gleichsam im Anfang seiner
Ausgabe, in einem Augenblicke, als Alles noch Begeisterung, Zuversicht und
jugendliche Hoffnung war, als Niemand in Italien ahnte, daß jeder Sieg
neue Feindschaften entstehen läßt, jeder Gewinn, der auf Schlachtfeldern
errungen wird, durch die Mühseligkeiten lang andauernder Geistesarbeit be¬
festigt werden muß. So glich sein Tod mehr der Laufbahn eines Jünglings,
den der Tod im Genusse der Siegesfreude dahinrafft, als dem Ende eines
Mannes, der die volle Hinterlassenschaft seiner Lebensaufgabe in deutlichen
Umrissen überblickt. Cavour gab seiner Nation als letztes Vermächtniß ein
großes Räthsel, dessen Lösung er selbst zu betreiben keine Zeit gesunden
hatte." Selbstverständlich meint Holtzendorff damit den Wahlspruch Cavour's:
"die freie Kirche im freien Staate." Der deutsche Staatsrechtslehrer ist nicht
zweifelhaft, daß Cavour diese Formel, diesen Vertragsentwurf bei Seite ge¬
worfen haben würde, wenn er, im Kampfe auf Leben und Tod mit der rö¬
mischen Hierarchie, "vom Quirinal als Kapitol, der UnVersöhnlichkeit des
Vaticans ins Antlitz hätte schauen müssen". Holtzendorff rühmt es als ein
besonderes Verdienst der Biographie Massari's, daß er die Beantwortung
dieser Frage seinen Lesern überläßt und uns den sterbenden Cavour im
Gewissensfrieden mit der Kirche zeigt. "Aber hat sich die herrschende Kirche
auch mit ihm versöhnt? Kann sie sich jemals mit einem Staatsmanne ver¬
söhnen, der seine eigenen Wege ging? Jeder Italiener hat sich darüber klar
zu werden, wie jeder Deutscher darüber klar werden mußte. . . . Wenn
Massari's verdienstvolles Werk keinen anderen Werth hätte, als zur Prüfung
dieser Lebensfrage angeregr zu haben, so wäre schon damit das von Cavour
seiner Nation hinterlassene Erbe gemehrt worden".

Auch der Uebersetzer und Herausgeber der deutschen Ausgabe Dr. Ernst
Bezold in München beginnt seine Vorrede mit ähnlichen Gedanken, wie diese


nischen Einheit zu einem Theil für Deutschland geschrieben zu sein. . . . Das
eine ist gewiß, daß die politische Wiedergeburt Deutschlands und Italiens in
der geschichtlichen Betrachtungsweise der sie bedingenden Zeitumstände un¬
trennbar mit einander verwachsen sind. Ebensowenig kann bestritten werden,
daß die Namen der beiden in der entscheidenden Krise leitenden Staats¬
männer. Bismarck und Cavour an der Spitze jener persönlichen Kräfte
stehen, welche das weltgeschichtliche Werk vollbringen halfen." Holtzendorff
prüft dann die Möglichkeit, diese beiden Männer miteinander zu vergleichen,
„deren Streben im Verhältniß zu ihrem Volke ein so ähnliches, deren persön¬
liches Wesen ein so grundverschiedenes ist", und er kommt zu dem Resultate:
„der zuverlässigste Maßstab scheint indessen immer derjenige zu sein, welcher
dem lebenden Staatsmanne in dem Haffe noch nicht völlig entmuthigter
Gegner, dem todten Staatsmanne in der Dankbarkeit der ihn überlebenden
Geschlechter entgegengehalten wird. Cavour starb gleichsam im Anfang seiner
Ausgabe, in einem Augenblicke, als Alles noch Begeisterung, Zuversicht und
jugendliche Hoffnung war, als Niemand in Italien ahnte, daß jeder Sieg
neue Feindschaften entstehen läßt, jeder Gewinn, der auf Schlachtfeldern
errungen wird, durch die Mühseligkeiten lang andauernder Geistesarbeit be¬
festigt werden muß. So glich sein Tod mehr der Laufbahn eines Jünglings,
den der Tod im Genusse der Siegesfreude dahinrafft, als dem Ende eines
Mannes, der die volle Hinterlassenschaft seiner Lebensaufgabe in deutlichen
Umrissen überblickt. Cavour gab seiner Nation als letztes Vermächtniß ein
großes Räthsel, dessen Lösung er selbst zu betreiben keine Zeit gesunden
hatte." Selbstverständlich meint Holtzendorff damit den Wahlspruch Cavour's:
„die freie Kirche im freien Staate." Der deutsche Staatsrechtslehrer ist nicht
zweifelhaft, daß Cavour diese Formel, diesen Vertragsentwurf bei Seite ge¬
worfen haben würde, wenn er, im Kampfe auf Leben und Tod mit der rö¬
mischen Hierarchie, „vom Quirinal als Kapitol, der UnVersöhnlichkeit des
Vaticans ins Antlitz hätte schauen müssen". Holtzendorff rühmt es als ein
besonderes Verdienst der Biographie Massari's, daß er die Beantwortung
dieser Frage seinen Lesern überläßt und uns den sterbenden Cavour im
Gewissensfrieden mit der Kirche zeigt. „Aber hat sich die herrschende Kirche
auch mit ihm versöhnt? Kann sie sich jemals mit einem Staatsmanne ver¬
söhnen, der seine eigenen Wege ging? Jeder Italiener hat sich darüber klar
zu werden, wie jeder Deutscher darüber klar werden mußte. . . . Wenn
Massari's verdienstvolles Werk keinen anderen Werth hätte, als zur Prüfung
dieser Lebensfrage angeregr zu haben, so wäre schon damit das von Cavour
seiner Nation hinterlassene Erbe gemehrt worden".

Auch der Uebersetzer und Herausgeber der deutschen Ausgabe Dr. Ernst
Bezold in München beginnt seine Vorrede mit ähnlichen Gedanken, wie diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/40>, abgerufen am 28.12.2024.