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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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eifert, bewies der Antragsteller unter anderm, als er erklärte, er sei der Letzte,
auf die Wahrheit des Satzes zu verzichten, man dürfe einen politischen Gegner
unschädlich machen, todtschießen u. s. w., mit andern Worten, daß der Meuchel¬
mord, gut ausgeführt, ein angemessenes und bequemes Mittel sei. Das
plumpe Sophisma, durch welches die Socialdemokraten ihren Lästereien einen
Schein von Begründung zu geben suchen, ist immer dasselbe. Sie stellen
ohne weiteres die bestehende Staatsordnung und die Vertheidigung derselben
als den Gewaltterrorismus einer vom Glück begünstigten Classe -dar. Weil
es ihnen um eine Revolution zu thun ist und nur um die Revolution, ohne
festen Glauben an das, was aus der Revolution hervorgehen soll, darum
behaupten sie lügenhafter Weise, daß ihnen die Reform auf dem Wege all¬
mählicher Umbildung der praktischen Verhältnisse und theoretischer Bekehrung
der maßgebenden Gewalten verschlossen sei.

Wie zu erwarten war, konnte Herr Windthorst, der mit Liebknecht den
Haß gegen das Reich, wenn auch nicht den socialdemokratischen Haß gegen
die bestehende Gesellschaft, theilt, sich nicht versagen, das Wasser, das ihm
der Socialdemokrat auf die Mühle getragen, zum Schwung seines Rades zu
benutzen. Nachdem er gegen die Zerstörung der Gesellschaft die unerläßlichen
Verwahrungen eingelegt, nachdem er als erfahrener Jurist auch die formelle
Unzulässtgkeit des Lievknecht'schen Antrages anzuerkennen nicht umhin gekonnt,
ließ er seinerseits die Sophismen tanzen, die seinem dafür geschulten Kopf so
leicht entspringen. Da hieß es, es sei unklug, die Socialdemokraten im
Reichstag nicht zu Worte kommen zu lassen. Nun erbitten wir die Antwort
jedes Verständigen, was die Socialdemokraten hindert im Reichstag zu Worte
zu kommen. Soll man sie ungestraft Verbrechen begehen lassen, damit dem
Reichstag kein Tropfen dieser Weisheit entgehe? Hatte Herr Windthorst an
der stundenlangen Rede des Abgeordneten Liebknecht nicht genug? Verlangt
ihn wirklich so sehr nach den Offenbarungen der Herren Hasenclever, Bebel
und Most? "S' ist nur mein Spaß gewesen", glaubt der Zuhörer zu ver¬
nehmen, wenn er hört, wie Herr Windthorst die Anerkennung, daß der
Reichstag eine Strafhaft nicht aufheben könne, zu dem Uebergang benutzt,
wie wünschenswert!) eine solche Befugniß sei, weil die Strafhaft in unsern
Tagen so häufig geworden. Herr Windthorst zielt auf die zur Strafhaft
gebrachten Bischöfe, er zielt auf den der Sache der Bischöfe freundlichen Bot¬
schafter, über dem eine bekannte Criminaluntersuchung schwebt. Den Haupt¬
zweck hatte der welfisch-klerikale Abgeordnete mit diesen burlesken Jnvectiven
erreicht, den Reichskanzler zur Ergreifung des Wortes aufzuregen. Die Ul¬
tramontanen, wenigstens ein Theil von ihnen, halten diese Kampfweise für
ein diätetisches Mittel, "einen Gegner unschädlich zu machen", was der Abge¬
ordnete Liebknecht für ein Grundrecht erklärt. Seitdem der verstorbene von


eifert, bewies der Antragsteller unter anderm, als er erklärte, er sei der Letzte,
auf die Wahrheit des Satzes zu verzichten, man dürfe einen politischen Gegner
unschädlich machen, todtschießen u. s. w., mit andern Worten, daß der Meuchel¬
mord, gut ausgeführt, ein angemessenes und bequemes Mittel sei. Das
plumpe Sophisma, durch welches die Socialdemokraten ihren Lästereien einen
Schein von Begründung zu geben suchen, ist immer dasselbe. Sie stellen
ohne weiteres die bestehende Staatsordnung und die Vertheidigung derselben
als den Gewaltterrorismus einer vom Glück begünstigten Classe -dar. Weil
es ihnen um eine Revolution zu thun ist und nur um die Revolution, ohne
festen Glauben an das, was aus der Revolution hervorgehen soll, darum
behaupten sie lügenhafter Weise, daß ihnen die Reform auf dem Wege all¬
mählicher Umbildung der praktischen Verhältnisse und theoretischer Bekehrung
der maßgebenden Gewalten verschlossen sei.

Wie zu erwarten war, konnte Herr Windthorst, der mit Liebknecht den
Haß gegen das Reich, wenn auch nicht den socialdemokratischen Haß gegen
die bestehende Gesellschaft, theilt, sich nicht versagen, das Wasser, das ihm
der Socialdemokrat auf die Mühle getragen, zum Schwung seines Rades zu
benutzen. Nachdem er gegen die Zerstörung der Gesellschaft die unerläßlichen
Verwahrungen eingelegt, nachdem er als erfahrener Jurist auch die formelle
Unzulässtgkeit des Lievknecht'schen Antrages anzuerkennen nicht umhin gekonnt,
ließ er seinerseits die Sophismen tanzen, die seinem dafür geschulten Kopf so
leicht entspringen. Da hieß es, es sei unklug, die Socialdemokraten im
Reichstag nicht zu Worte kommen zu lassen. Nun erbitten wir die Antwort
jedes Verständigen, was die Socialdemokraten hindert im Reichstag zu Worte
zu kommen. Soll man sie ungestraft Verbrechen begehen lassen, damit dem
Reichstag kein Tropfen dieser Weisheit entgehe? Hatte Herr Windthorst an
der stundenlangen Rede des Abgeordneten Liebknecht nicht genug? Verlangt
ihn wirklich so sehr nach den Offenbarungen der Herren Hasenclever, Bebel
und Most? „S' ist nur mein Spaß gewesen", glaubt der Zuhörer zu ver¬
nehmen, wenn er hört, wie Herr Windthorst die Anerkennung, daß der
Reichstag eine Strafhaft nicht aufheben könne, zu dem Uebergang benutzt,
wie wünschenswert!) eine solche Befugniß sei, weil die Strafhaft in unsern
Tagen so häufig geworden. Herr Windthorst zielt auf die zur Strafhaft
gebrachten Bischöfe, er zielt auf den der Sache der Bischöfe freundlichen Bot¬
schafter, über dem eine bekannte Criminaluntersuchung schwebt. Den Haupt¬
zweck hatte der welfisch-klerikale Abgeordnete mit diesen burlesken Jnvectiven
erreicht, den Reichskanzler zur Ergreifung des Wortes aufzuregen. Die Ul¬
tramontanen, wenigstens ein Theil von ihnen, halten diese Kampfweise für
ein diätetisches Mittel, „einen Gegner unschädlich zu machen", was der Abge¬
ordnete Liebknecht für ein Grundrecht erklärt. Seitdem der verstorbene von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/394>, abgerufen am 28.12.2024.