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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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sellschaft hat sich selbst geholfen, so daß zu allgemeiner Heiterkeit die Polizei
als überflüssig wieder abziehen muß. Es ist das echt charakteristisch für die
hiesigen Anschauungen. Wenn auch keineswegs die Schlußfolgerung, daß die
Polizei überflüssig sei, richtig ist und auch ernstlich nicht geglaubt wird, so ha¬
ben in Possen derartige Uebertreibungen doch gewiß ihre volle Berechtigung,
und der Kern der Sache ist der, daß die Gesellschaft, wie schon Eingangs
bemerkt, eine Ehre darein setzt, ernstliche Unordnungen überhaupt nicht auf¬
kommen zu lassen.

Daß eine derartige Selbstverherrlichung auf der Bühne nichts weniger
als schön und nachahmenswerth ist, versteht sich von selbst, ich führe sie auch
durchaus nicht etwa als empfehlenswert!) an, sondern eben nur als Beleg
für das allerdings sehr nachahmenswerte Bestreben aller Londoner Bevöl¬
kerungsschichten, etwaige Ruhestörer von vorn herein in ihre Schranken zurück¬
zuweisen.

Es ist auch nicht dieses Bestreben allein, das die so wunderbare Rege¬
lung des immensen Straßenverkehrs bewirkt, sondern es kommt noch eine
Reihe von anscheinend unbedeutenden Kleinigkeiten dazu, die, alle vereint,
mächtig dazu beitragen, und von denen ich hier einige anführen will. Man
findet hier sehr häufig, gerade an den belebtesten Punkten, so z. B. bei der
Kreuzung von Fleck-Street, Lodgate Hill und Farringdon Street in der City,
daß in Mitten der Straßen große Gascandelaber, Pyramiden oder dergleichen
mehr errichtet sind, die alles Fuhrwerk viel wirksamer zwingen die vorgeschrie¬
benen Wege zu machen, als die etwa in Berlin zu demselben Zweck in Mit¬
ten der Straßen aufgestellten berittenen Schutzleute, die wirklich um diesen
ihren Posten nicht zu beneiden sind. Es wäre schon aus humanen Rück¬
sichten diese Einrichtung sehr empfehlenswerth und wenn vielleicht auch die
erste Anlage theuer, so wäre doch die Unterhaltung gewiß billiger. An manchen
andern Orten hat man denselben Zweck dadurch erreicht, daß man die Drosch¬
kenhalteplätze nicht an die Seiten, sondern in die Mitte der Straße gelegt
hat. Derartige feste Gegenstände lassen sich nicht so leicht umgehen wie
Menschen, selbst wenn dieselben beritten sind. Es führt das dann
naturgemäß zu einer andern Einrichtung, die nicht minder empfehlenswerth
ist. nämlich zu der, daß nicht nur das Pflaster an den Seiten der Straßen
von derselben Güte ist, wie in der Mitte, sondern sogar sehr oft besser, ja
daß sich daselbst oft Bahnen für sehr schweres Fuhrwerk befinden, wie z. B.
auf der London Bridge. Es wird dadurch naturgemäß die Breite der Straße
in viel umfassenderer Weise ausgenutzt, als z. B. in Berlin, wo trotz der brei¬
testen Straßen sehr häufig nur ein schmaler Streifen in der Mitte sich in
fahrbarem Zustand befindet, während der Rest der Straße für Fußgänger und
Wagen gleich uupassirbar ist. Hoffentlich wird in Berlin durch die jetzt im


sellschaft hat sich selbst geholfen, so daß zu allgemeiner Heiterkeit die Polizei
als überflüssig wieder abziehen muß. Es ist das echt charakteristisch für die
hiesigen Anschauungen. Wenn auch keineswegs die Schlußfolgerung, daß die
Polizei überflüssig sei, richtig ist und auch ernstlich nicht geglaubt wird, so ha¬
ben in Possen derartige Uebertreibungen doch gewiß ihre volle Berechtigung,
und der Kern der Sache ist der, daß die Gesellschaft, wie schon Eingangs
bemerkt, eine Ehre darein setzt, ernstliche Unordnungen überhaupt nicht auf¬
kommen zu lassen.

Daß eine derartige Selbstverherrlichung auf der Bühne nichts weniger
als schön und nachahmenswerth ist, versteht sich von selbst, ich führe sie auch
durchaus nicht etwa als empfehlenswert!) an, sondern eben nur als Beleg
für das allerdings sehr nachahmenswerte Bestreben aller Londoner Bevöl¬
kerungsschichten, etwaige Ruhestörer von vorn herein in ihre Schranken zurück¬
zuweisen.

Es ist auch nicht dieses Bestreben allein, das die so wunderbare Rege¬
lung des immensen Straßenverkehrs bewirkt, sondern es kommt noch eine
Reihe von anscheinend unbedeutenden Kleinigkeiten dazu, die, alle vereint,
mächtig dazu beitragen, und von denen ich hier einige anführen will. Man
findet hier sehr häufig, gerade an den belebtesten Punkten, so z. B. bei der
Kreuzung von Fleck-Street, Lodgate Hill und Farringdon Street in der City,
daß in Mitten der Straßen große Gascandelaber, Pyramiden oder dergleichen
mehr errichtet sind, die alles Fuhrwerk viel wirksamer zwingen die vorgeschrie¬
benen Wege zu machen, als die etwa in Berlin zu demselben Zweck in Mit¬
ten der Straßen aufgestellten berittenen Schutzleute, die wirklich um diesen
ihren Posten nicht zu beneiden sind. Es wäre schon aus humanen Rück¬
sichten diese Einrichtung sehr empfehlenswerth und wenn vielleicht auch die
erste Anlage theuer, so wäre doch die Unterhaltung gewiß billiger. An manchen
andern Orten hat man denselben Zweck dadurch erreicht, daß man die Drosch¬
kenhalteplätze nicht an die Seiten, sondern in die Mitte der Straße gelegt
hat. Derartige feste Gegenstände lassen sich nicht so leicht umgehen wie
Menschen, selbst wenn dieselben beritten sind. Es führt das dann
naturgemäß zu einer andern Einrichtung, die nicht minder empfehlenswerth
ist. nämlich zu der, daß nicht nur das Pflaster an den Seiten der Straßen
von derselben Güte ist, wie in der Mitte, sondern sogar sehr oft besser, ja
daß sich daselbst oft Bahnen für sehr schweres Fuhrwerk befinden, wie z. B.
auf der London Bridge. Es wird dadurch naturgemäß die Breite der Straße
in viel umfassenderer Weise ausgenutzt, als z. B. in Berlin, wo trotz der brei¬
testen Straßen sehr häufig nur ein schmaler Streifen in der Mitte sich in
fahrbarem Zustand befindet, während der Rest der Straße für Fußgänger und
Wagen gleich uupassirbar ist. Hoffentlich wird in Berlin durch die jetzt im


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[0385] sellschaft hat sich selbst geholfen, so daß zu allgemeiner Heiterkeit die Polizei als überflüssig wieder abziehen muß. Es ist das echt charakteristisch für die hiesigen Anschauungen. Wenn auch keineswegs die Schlußfolgerung, daß die Polizei überflüssig sei, richtig ist und auch ernstlich nicht geglaubt wird, so ha¬ ben in Possen derartige Uebertreibungen doch gewiß ihre volle Berechtigung, und der Kern der Sache ist der, daß die Gesellschaft, wie schon Eingangs bemerkt, eine Ehre darein setzt, ernstliche Unordnungen überhaupt nicht auf¬ kommen zu lassen. Daß eine derartige Selbstverherrlichung auf der Bühne nichts weniger als schön und nachahmenswerth ist, versteht sich von selbst, ich führe sie auch durchaus nicht etwa als empfehlenswert!) an, sondern eben nur als Beleg für das allerdings sehr nachahmenswerte Bestreben aller Londoner Bevöl¬ kerungsschichten, etwaige Ruhestörer von vorn herein in ihre Schranken zurück¬ zuweisen. Es ist auch nicht dieses Bestreben allein, das die so wunderbare Rege¬ lung des immensen Straßenverkehrs bewirkt, sondern es kommt noch eine Reihe von anscheinend unbedeutenden Kleinigkeiten dazu, die, alle vereint, mächtig dazu beitragen, und von denen ich hier einige anführen will. Man findet hier sehr häufig, gerade an den belebtesten Punkten, so z. B. bei der Kreuzung von Fleck-Street, Lodgate Hill und Farringdon Street in der City, daß in Mitten der Straßen große Gascandelaber, Pyramiden oder dergleichen mehr errichtet sind, die alles Fuhrwerk viel wirksamer zwingen die vorgeschrie¬ benen Wege zu machen, als die etwa in Berlin zu demselben Zweck in Mit¬ ten der Straßen aufgestellten berittenen Schutzleute, die wirklich um diesen ihren Posten nicht zu beneiden sind. Es wäre schon aus humanen Rück¬ sichten diese Einrichtung sehr empfehlenswerth und wenn vielleicht auch die erste Anlage theuer, so wäre doch die Unterhaltung gewiß billiger. An manchen andern Orten hat man denselben Zweck dadurch erreicht, daß man die Drosch¬ kenhalteplätze nicht an die Seiten, sondern in die Mitte der Straße gelegt hat. Derartige feste Gegenstände lassen sich nicht so leicht umgehen wie Menschen, selbst wenn dieselben beritten sind. Es führt das dann naturgemäß zu einer andern Einrichtung, die nicht minder empfehlenswerth ist. nämlich zu der, daß nicht nur das Pflaster an den Seiten der Straßen von derselben Güte ist, wie in der Mitte, sondern sogar sehr oft besser, ja daß sich daselbst oft Bahnen für sehr schweres Fuhrwerk befinden, wie z. B. auf der London Bridge. Es wird dadurch naturgemäß die Breite der Straße in viel umfassenderer Weise ausgenutzt, als z. B. in Berlin, wo trotz der brei¬ testen Straßen sehr häufig nur ein schmaler Streifen in der Mitte sich in fahrbarem Zustand befindet, während der Rest der Straße für Fußgänger und Wagen gleich uupassirbar ist. Hoffentlich wird in Berlin durch die jetzt im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/385>, abgerufen am 27.07.2024.