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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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und vollendeten dasselbe. Der Augenblick war stets bezaubernd, entzückend,
verzückend. Das Auge wurde Tag und Nacht, in ruhiger Zeit oder Sturm
nie müde, zu schauen. Es litt nur an einem Kummer, und der war, daß
es nicht immer schauen konnte, sondern sich bisweilen zum Schlafe schließen
mußte." Bei diesem seligen Leben gehen indessen bald die Lebensmittel zu
Ende, neue werden aus dem Lager geholt, hungrig und müde wird die neue
Heimath erreicht und sofort ein Kochfeuer im Freien gemacht. Mark Twain
eilt nach dem Boote, die Bratpfanne zu holen. Während ich dabei war,
horte ich einen Schrei von Johnny, und als ich aufblickte, sah ich, daß mein
Feuer über die Gegend hingaloppirte. Johnny befand sich jenseits desselben
und mußte durch die Flammen laufen, um das Seeufer zu gewinnen, und
dann standen wir Hülflos da und beobachteten die Verwüstung. Der Boden
war mit einem dicken Teppich trockner Fichtennadeln belegt, und das Feuer
ließ sie auf die erste Berührung aufflammen, als wenn sie Schießpulver
wären. Es war wunderbar zu sehen, mit welcher grimmen Hast die hohe
Flammensäule sich fortbewegte. Mein Kaffeetopf war verloren und alles
Andere mit ihm. In anderthalb Minuten ergriff es einen dicht gewachsenen
Busch trocknen Manzanita-Gesträuchs von sechs bis acht Fuß Höhe, und jetzt
wurde das Brüllen, Puffen und Prasseln geradezu fürchterlich. Wir wurden
durch die durchdringende Hitze nach dem Boote getrieben, und dort blieben
wir wie durch Zauber festgehalten- Innerhalb einer halben Stunde war Alles
vor uns ein rasender, blendender Flammenstrom. Es brannte an den benach¬
barten Hügelkämmen empor, überstieg sie und verschwand in den jenseitigen
Schluchten, kam plötzlich aus ferneren und höheren Bergrücken wieder zum
Vorschein, verbreitete eine großartigere Erleuchtung und tauchte wieder unter.
Dann flammte es wieder auf, höher und immer höher am Gebirgshang,
sandte Feuerströme wie Plänklerketten hierhin und dorthin aus, die sich dann
mit ihren karmoisinrothen Spiralen zwischen fernen Wällen, Rippen und
Schlünden hinschlängelten, bis, so weit das Auge reichte, die hochragenden
Gebirgsfronten gleichsam mit einem verschlungenen Netzwerk von rothen Lava¬
bächen überzogen waren. Weithin über dem Wasser waren die Felshörner
und Bergkuppeln mit grellem rothem Glanz beleuchtet, und das Firmament
droben war der Widerschein einer Hölle. Jeder Zug dieses Schauspiels wieder¬
holte sich in dem glühenden Spiegel des Sees. Beide Bilder waren erhaben,
beide schön, aber das im See hatte eine verwirrende liefe Farbenpracht, welche
das Auge bezauberte und es stärker fesselte. Vier lange Stunden saßen wir
in uns versunken und regungslos da. Wir dachten an kein Abendessen und
empfanden keine Ermüdung. Aber um elf Uhr hatte der Brand sich über die
Stellen hinaus verbreitet, bis zu denen unsre Augen reichten, und jetzt legte
sich allmählich das Dunkel über die Landschaft."


und vollendeten dasselbe. Der Augenblick war stets bezaubernd, entzückend,
verzückend. Das Auge wurde Tag und Nacht, in ruhiger Zeit oder Sturm
nie müde, zu schauen. Es litt nur an einem Kummer, und der war, daß
es nicht immer schauen konnte, sondern sich bisweilen zum Schlafe schließen
mußte." Bei diesem seligen Leben gehen indessen bald die Lebensmittel zu
Ende, neue werden aus dem Lager geholt, hungrig und müde wird die neue
Heimath erreicht und sofort ein Kochfeuer im Freien gemacht. Mark Twain
eilt nach dem Boote, die Bratpfanne zu holen. Während ich dabei war,
horte ich einen Schrei von Johnny, und als ich aufblickte, sah ich, daß mein
Feuer über die Gegend hingaloppirte. Johnny befand sich jenseits desselben
und mußte durch die Flammen laufen, um das Seeufer zu gewinnen, und
dann standen wir Hülflos da und beobachteten die Verwüstung. Der Boden
war mit einem dicken Teppich trockner Fichtennadeln belegt, und das Feuer
ließ sie auf die erste Berührung aufflammen, als wenn sie Schießpulver
wären. Es war wunderbar zu sehen, mit welcher grimmen Hast die hohe
Flammensäule sich fortbewegte. Mein Kaffeetopf war verloren und alles
Andere mit ihm. In anderthalb Minuten ergriff es einen dicht gewachsenen
Busch trocknen Manzanita-Gesträuchs von sechs bis acht Fuß Höhe, und jetzt
wurde das Brüllen, Puffen und Prasseln geradezu fürchterlich. Wir wurden
durch die durchdringende Hitze nach dem Boote getrieben, und dort blieben
wir wie durch Zauber festgehalten- Innerhalb einer halben Stunde war Alles
vor uns ein rasender, blendender Flammenstrom. Es brannte an den benach¬
barten Hügelkämmen empor, überstieg sie und verschwand in den jenseitigen
Schluchten, kam plötzlich aus ferneren und höheren Bergrücken wieder zum
Vorschein, verbreitete eine großartigere Erleuchtung und tauchte wieder unter.
Dann flammte es wieder auf, höher und immer höher am Gebirgshang,
sandte Feuerströme wie Plänklerketten hierhin und dorthin aus, die sich dann
mit ihren karmoisinrothen Spiralen zwischen fernen Wällen, Rippen und
Schlünden hinschlängelten, bis, so weit das Auge reichte, die hochragenden
Gebirgsfronten gleichsam mit einem verschlungenen Netzwerk von rothen Lava¬
bächen überzogen waren. Weithin über dem Wasser waren die Felshörner
und Bergkuppeln mit grellem rothem Glanz beleuchtet, und das Firmament
droben war der Widerschein einer Hölle. Jeder Zug dieses Schauspiels wieder¬
holte sich in dem glühenden Spiegel des Sees. Beide Bilder waren erhaben,
beide schön, aber das im See hatte eine verwirrende liefe Farbenpracht, welche
das Auge bezauberte und es stärker fesselte. Vier lange Stunden saßen wir
in uns versunken und regungslos da. Wir dachten an kein Abendessen und
empfanden keine Ermüdung. Aber um elf Uhr hatte der Brand sich über die
Stellen hinaus verbreitet, bis zu denen unsre Augen reichten, und jetzt legte
sich allmählich das Dunkel über die Landschaft."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/375>, abgerufen am 28.07.2024.