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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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schmalen Gange zwischen den Bettreihen. Mitten in dem Getümmel sprang
Bob H. aus einem gesunden Schlafe auf und stieß mit seinem Kopfe einen
Sims herunter. Augenblicklich schrie er: , "Reißt aus, Jungens, die Taranteln
sind los!" Glücklicherweise waren die Taranteln aber ebenso erpicht auf ihr
Wohlergehen, wie die aufgeschreckten Schläfer und zogen es daher vor, so rasch
wie möglich die langentbehrte Freiheit aufzusuchen.

Inzwischen ist Mark Twain "Beamter der Negierung, Privatsecretair
Sr. Majestät des Secretairs geworden, aber es gab noch nicht Schreiberei
genug für uns Beide" und so ließ sich das Bummeln erst recht verantworten.
Dieser beneidenswerthen Beschäftigungslosigkeit verdanken wir eine der erha¬
bensten Schilderungen des Buches. Twain Süd sein Freund Johnny haben
viel von der wunderbaren Schönheit des Sees Tahoe gehört, eines wilden
Bergsees, hoch oben in der Wildniß himmelanstrebender, schneegekrönter Berge,
von unvergleichlich klarem Wasser, weitab von allen menschlichen Kulturstätten.
Drei oder vier Mitglieder der Brigade waren dagewesen, hatten etwas Wald-,
land an den Ufern für sich abgegrenzt und in ihrem Lager eine Quantität
Lebensmittel aufgehäuft. Sie erreichen den See nach der mühsehligsten Wan¬
derung und überfahren ihn mit Anstrengung in einem kleinen Kahn, welcher
der Brigade gehörte. "Es war ein köstliches Abendbrot, warmes Brot, ge¬
bratener Speck und schwarzer Kaffee. Es war auch eine köstliche Einsamkeit,
in der wir waren. Drei Meilen entfernt lag eine Sägemühle mit einigen
Arbeitern, aber über den ganzen Umkreis des Sees waren keine fünfzehn
andere menschliche Wesen zerstreut. Als die Dunkelheit herabsank, und die
Sterne hervortraten und den großen Wasserspiegel mit Juwelen besetzten,
schmauchten wir beschaulich unsere Pfeifen in der feierlichen Stille und ver¬
gaßen unsere Sorgen und Schmerzen. Zu rechter Zeit breiteten wir unsere
Decken über den warmen Sand zwischen zwei Felsstücken und verfielen bald
in Schlaf. Wenn es irgend ein Leben giebt, welches glücklicher ist, als das
Leben, welches wir die nächsten zwei oder drei Wochen in unserm Waldranch
führten, so muß es eine Sorte Leben sein, von der ich nichts in Büchern ge¬
lesen und nichts in Person erfahren habe. Wir sahen während der Zeit außer
uns selbst kein lebendes Wesen und hörten keine anderen Töne, als diejenigen,
welche der Wind und die Wellen hören ließen, das Seufzen der Fichten und
dann und wann den fernen Donner einer Lawine. Der Wald um uns war
dicht und kühl, der wolkenlose Himmel über uns strahlte vom Sonnenschein,
der breite See vor uns war je nach der Stimmung der Natur klar wie Glas,
oder vom Lufthauch leicht gekräuselt, oder schwarz und vom Sturme aufge¬
jagt, und die ihn im Kreise überragenden Bergkuppeln, mit Wäldern beklei¬
det, durch Bergrutsche benarbt, bares Schluchten und Thäler gespalten und
mit Hauben funkelnden Schnees bedeckt, umrahmten passend das edle Bild


schmalen Gange zwischen den Bettreihen. Mitten in dem Getümmel sprang
Bob H. aus einem gesunden Schlafe auf und stieß mit seinem Kopfe einen
Sims herunter. Augenblicklich schrie er: , „Reißt aus, Jungens, die Taranteln
sind los!" Glücklicherweise waren die Taranteln aber ebenso erpicht auf ihr
Wohlergehen, wie die aufgeschreckten Schläfer und zogen es daher vor, so rasch
wie möglich die langentbehrte Freiheit aufzusuchen.

Inzwischen ist Mark Twain „Beamter der Negierung, Privatsecretair
Sr. Majestät des Secretairs geworden, aber es gab noch nicht Schreiberei
genug für uns Beide" und so ließ sich das Bummeln erst recht verantworten.
Dieser beneidenswerthen Beschäftigungslosigkeit verdanken wir eine der erha¬
bensten Schilderungen des Buches. Twain Süd sein Freund Johnny haben
viel von der wunderbaren Schönheit des Sees Tahoe gehört, eines wilden
Bergsees, hoch oben in der Wildniß himmelanstrebender, schneegekrönter Berge,
von unvergleichlich klarem Wasser, weitab von allen menschlichen Kulturstätten.
Drei oder vier Mitglieder der Brigade waren dagewesen, hatten etwas Wald-,
land an den Ufern für sich abgegrenzt und in ihrem Lager eine Quantität
Lebensmittel aufgehäuft. Sie erreichen den See nach der mühsehligsten Wan¬
derung und überfahren ihn mit Anstrengung in einem kleinen Kahn, welcher
der Brigade gehörte. „Es war ein köstliches Abendbrot, warmes Brot, ge¬
bratener Speck und schwarzer Kaffee. Es war auch eine köstliche Einsamkeit,
in der wir waren. Drei Meilen entfernt lag eine Sägemühle mit einigen
Arbeitern, aber über den ganzen Umkreis des Sees waren keine fünfzehn
andere menschliche Wesen zerstreut. Als die Dunkelheit herabsank, und die
Sterne hervortraten und den großen Wasserspiegel mit Juwelen besetzten,
schmauchten wir beschaulich unsere Pfeifen in der feierlichen Stille und ver¬
gaßen unsere Sorgen und Schmerzen. Zu rechter Zeit breiteten wir unsere
Decken über den warmen Sand zwischen zwei Felsstücken und verfielen bald
in Schlaf. Wenn es irgend ein Leben giebt, welches glücklicher ist, als das
Leben, welches wir die nächsten zwei oder drei Wochen in unserm Waldranch
führten, so muß es eine Sorte Leben sein, von der ich nichts in Büchern ge¬
lesen und nichts in Person erfahren habe. Wir sahen während der Zeit außer
uns selbst kein lebendes Wesen und hörten keine anderen Töne, als diejenigen,
welche der Wind und die Wellen hören ließen, das Seufzen der Fichten und
dann und wann den fernen Donner einer Lawine. Der Wald um uns war
dicht und kühl, der wolkenlose Himmel über uns strahlte vom Sonnenschein,
der breite See vor uns war je nach der Stimmung der Natur klar wie Glas,
oder vom Lufthauch leicht gekräuselt, oder schwarz und vom Sturme aufge¬
jagt, und die ihn im Kreise überragenden Bergkuppeln, mit Wäldern beklei¬
det, durch Bergrutsche benarbt, bares Schluchten und Thäler gespalten und
mit Hauben funkelnden Schnees bedeckt, umrahmten passend das edle Bild


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[0374] schmalen Gange zwischen den Bettreihen. Mitten in dem Getümmel sprang Bob H. aus einem gesunden Schlafe auf und stieß mit seinem Kopfe einen Sims herunter. Augenblicklich schrie er: , „Reißt aus, Jungens, die Taranteln sind los!" Glücklicherweise waren die Taranteln aber ebenso erpicht auf ihr Wohlergehen, wie die aufgeschreckten Schläfer und zogen es daher vor, so rasch wie möglich die langentbehrte Freiheit aufzusuchen. Inzwischen ist Mark Twain „Beamter der Negierung, Privatsecretair Sr. Majestät des Secretairs geworden, aber es gab noch nicht Schreiberei genug für uns Beide" und so ließ sich das Bummeln erst recht verantworten. Dieser beneidenswerthen Beschäftigungslosigkeit verdanken wir eine der erha¬ bensten Schilderungen des Buches. Twain Süd sein Freund Johnny haben viel von der wunderbaren Schönheit des Sees Tahoe gehört, eines wilden Bergsees, hoch oben in der Wildniß himmelanstrebender, schneegekrönter Berge, von unvergleichlich klarem Wasser, weitab von allen menschlichen Kulturstätten. Drei oder vier Mitglieder der Brigade waren dagewesen, hatten etwas Wald-, land an den Ufern für sich abgegrenzt und in ihrem Lager eine Quantität Lebensmittel aufgehäuft. Sie erreichen den See nach der mühsehligsten Wan¬ derung und überfahren ihn mit Anstrengung in einem kleinen Kahn, welcher der Brigade gehörte. „Es war ein köstliches Abendbrot, warmes Brot, ge¬ bratener Speck und schwarzer Kaffee. Es war auch eine köstliche Einsamkeit, in der wir waren. Drei Meilen entfernt lag eine Sägemühle mit einigen Arbeitern, aber über den ganzen Umkreis des Sees waren keine fünfzehn andere menschliche Wesen zerstreut. Als die Dunkelheit herabsank, und die Sterne hervortraten und den großen Wasserspiegel mit Juwelen besetzten, schmauchten wir beschaulich unsere Pfeifen in der feierlichen Stille und ver¬ gaßen unsere Sorgen und Schmerzen. Zu rechter Zeit breiteten wir unsere Decken über den warmen Sand zwischen zwei Felsstücken und verfielen bald in Schlaf. Wenn es irgend ein Leben giebt, welches glücklicher ist, als das Leben, welches wir die nächsten zwei oder drei Wochen in unserm Waldranch führten, so muß es eine Sorte Leben sein, von der ich nichts in Büchern ge¬ lesen und nichts in Person erfahren habe. Wir sahen während der Zeit außer uns selbst kein lebendes Wesen und hörten keine anderen Töne, als diejenigen, welche der Wind und die Wellen hören ließen, das Seufzen der Fichten und dann und wann den fernen Donner einer Lawine. Der Wald um uns war dicht und kühl, der wolkenlose Himmel über uns strahlte vom Sonnenschein, der breite See vor uns war je nach der Stimmung der Natur klar wie Glas, oder vom Lufthauch leicht gekräuselt, oder schwarz und vom Sturme aufge¬ jagt, und die ihn im Kreise überragenden Bergkuppeln, mit Wäldern beklei¬ det, durch Bergrutsche benarbt, bares Schluchten und Thäler gespalten und mit Hauben funkelnden Schnees bedeckt, umrahmten passend das edle Bild

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/374>, abgerufen am 28.07.2024.