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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Ansprüchen auf die Weltherrschaft bezeichnet -- so z. B. noch von Herman
Grimm in seinem berühmten Essay über Frankreich und Voltaire. Und in
der That, selten ist der nationale Gegensatz und Haß zwischen den Angehö¬
rigen der beiden Racen so tief, nachhaltig und unversöhnlich zu Tage getreten,
als in der Zeit, in der wir leben. Und doch ist der wirthschaftliche Verkehr,
die gegenseitige materielle und geistige Einwirkung in Fragen der internatio¬
nalen Wirthschaft zwischen Germanen und Romanen kaum jemals reger ge¬
wesen, als in diesen Tagen, in denen über die Weltherrschaft der einen oder
andern Völkerfamilie, zu glorreicher Erhebung der einen, zu unerträglicher
Demüthigung der andern, der unerbittliche Würfel fallen soll! Das scheint
sast unglaublich; Manchem vielleicht als neuer untrüglicher Beweis für die
Materialistische Verkommenheit des Zeitalters: daß man handelt und feilscht
und am Andern zu gewinnen strebt, während man insgeheim die scharfe
Waffe zuckt und ihm unrühmlichen Verderb sinnt. Aber wir mögen uns
trösten: unsere Zeit ist in dieser Hinsicht nicht schlechter und nicht besser ge¬
worden, als die Menschheit von jeher gewesen. Ja. es ist sogar ein Anzeichen
aufstrebender kräftiger Kultur, wenn die politische Entzweiung der Völker
immer weniger Störungen im internationalen Verkehr hervorruft, und das
konservative Interesse an der Erhaltung der guten Wirthschaftsbeziehungen
der Völker darf so lange als ein durchaus achtbares und erfreuliches gelten,
als die höheren nationalen Interessen, welche die Staaten in Feindschaft
setzen, nicht unter jenem leiden, die Staatspolitik nicht der Wirthschafts- oder
Handelspolitik untergeordnet wird. Dieses Verhältniß hat namentlich auch
in den letzten fünf Jahrhunderten bestanden. Kaum zu zählen sind die frie-
densbrecherischen Anfälle, die Deutschland in dieser Zeit von Frankreich er¬
fahren, noch viel zahlreicher die Schlachten und Kriege, in denen deutsche
Waffen gegen spanische, französische, italienische und selbst englische kämpften.
Und dennoch hat in dieser friedlosen Zeit der wirthschaftliche Verkehr der
streitenden Nationen, namentlich aber der internationale geistige Einfluß der
^lkswirthschaftlichen Denker selten ganz aufgehört, und ist zu Zeiten sogar ein
Sanz außerordentlicher und bestimmender gewesen, auch dann, wenn nach langen
Kriegen noch tiefe Feindschaft unter den Völkern sich erhalten hatte. So zwischen
Frankreich und Deutschland zur Zeit Colbert's, dessen Theorien damals ja als
absolute Heilswahrheit der Staatswirthschaft galten. So zwischen England,
Frankreich und Deutschland in den Tagen Adam Smith's, dessen großartige
Moderne Ideen sich den ganzen Continent eroberten, als das Festland unter
Napoleon's eiserner Faust seufzte und England zum Feind Aller erklärt und .
wie der Continentalsperre betroffen war.

Es bedarf kaum der Versicherung, daß dieses internationale Wirken der
Blöder und Ideen bei Wilhelm Röscher die eingehendste, klarste und verstand-


Ansprüchen auf die Weltherrschaft bezeichnet — so z. B. noch von Herman
Grimm in seinem berühmten Essay über Frankreich und Voltaire. Und in
der That, selten ist der nationale Gegensatz und Haß zwischen den Angehö¬
rigen der beiden Racen so tief, nachhaltig und unversöhnlich zu Tage getreten,
als in der Zeit, in der wir leben. Und doch ist der wirthschaftliche Verkehr,
die gegenseitige materielle und geistige Einwirkung in Fragen der internatio¬
nalen Wirthschaft zwischen Germanen und Romanen kaum jemals reger ge¬
wesen, als in diesen Tagen, in denen über die Weltherrschaft der einen oder
andern Völkerfamilie, zu glorreicher Erhebung der einen, zu unerträglicher
Demüthigung der andern, der unerbittliche Würfel fallen soll! Das scheint
sast unglaublich; Manchem vielleicht als neuer untrüglicher Beweis für die
Materialistische Verkommenheit des Zeitalters: daß man handelt und feilscht
und am Andern zu gewinnen strebt, während man insgeheim die scharfe
Waffe zuckt und ihm unrühmlichen Verderb sinnt. Aber wir mögen uns
trösten: unsere Zeit ist in dieser Hinsicht nicht schlechter und nicht besser ge¬
worden, als die Menschheit von jeher gewesen. Ja. es ist sogar ein Anzeichen
aufstrebender kräftiger Kultur, wenn die politische Entzweiung der Völker
immer weniger Störungen im internationalen Verkehr hervorruft, und das
konservative Interesse an der Erhaltung der guten Wirthschaftsbeziehungen
der Völker darf so lange als ein durchaus achtbares und erfreuliches gelten,
als die höheren nationalen Interessen, welche die Staaten in Feindschaft
setzen, nicht unter jenem leiden, die Staatspolitik nicht der Wirthschafts- oder
Handelspolitik untergeordnet wird. Dieses Verhältniß hat namentlich auch
in den letzten fünf Jahrhunderten bestanden. Kaum zu zählen sind die frie-
densbrecherischen Anfälle, die Deutschland in dieser Zeit von Frankreich er¬
fahren, noch viel zahlreicher die Schlachten und Kriege, in denen deutsche
Waffen gegen spanische, französische, italienische und selbst englische kämpften.
Und dennoch hat in dieser friedlosen Zeit der wirthschaftliche Verkehr der
streitenden Nationen, namentlich aber der internationale geistige Einfluß der
^lkswirthschaftlichen Denker selten ganz aufgehört, und ist zu Zeiten sogar ein
Sanz außerordentlicher und bestimmender gewesen, auch dann, wenn nach langen
Kriegen noch tiefe Feindschaft unter den Völkern sich erhalten hatte. So zwischen
Frankreich und Deutschland zur Zeit Colbert's, dessen Theorien damals ja als
absolute Heilswahrheit der Staatswirthschaft galten. So zwischen England,
Frankreich und Deutschland in den Tagen Adam Smith's, dessen großartige
Moderne Ideen sich den ganzen Continent eroberten, als das Festland unter
Napoleon's eiserner Faust seufzte und England zum Feind Aller erklärt und .
wie der Continentalsperre betroffen war.

Es bedarf kaum der Versicherung, daß dieses internationale Wirken der
Blöder und Ideen bei Wilhelm Röscher die eingehendste, klarste und verstand-


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[0369] Ansprüchen auf die Weltherrschaft bezeichnet — so z. B. noch von Herman Grimm in seinem berühmten Essay über Frankreich und Voltaire. Und in der That, selten ist der nationale Gegensatz und Haß zwischen den Angehö¬ rigen der beiden Racen so tief, nachhaltig und unversöhnlich zu Tage getreten, als in der Zeit, in der wir leben. Und doch ist der wirthschaftliche Verkehr, die gegenseitige materielle und geistige Einwirkung in Fragen der internatio¬ nalen Wirthschaft zwischen Germanen und Romanen kaum jemals reger ge¬ wesen, als in diesen Tagen, in denen über die Weltherrschaft der einen oder andern Völkerfamilie, zu glorreicher Erhebung der einen, zu unerträglicher Demüthigung der andern, der unerbittliche Würfel fallen soll! Das scheint sast unglaublich; Manchem vielleicht als neuer untrüglicher Beweis für die Materialistische Verkommenheit des Zeitalters: daß man handelt und feilscht und am Andern zu gewinnen strebt, während man insgeheim die scharfe Waffe zuckt und ihm unrühmlichen Verderb sinnt. Aber wir mögen uns trösten: unsere Zeit ist in dieser Hinsicht nicht schlechter und nicht besser ge¬ worden, als die Menschheit von jeher gewesen. Ja. es ist sogar ein Anzeichen aufstrebender kräftiger Kultur, wenn die politische Entzweiung der Völker immer weniger Störungen im internationalen Verkehr hervorruft, und das konservative Interesse an der Erhaltung der guten Wirthschaftsbeziehungen der Völker darf so lange als ein durchaus achtbares und erfreuliches gelten, als die höheren nationalen Interessen, welche die Staaten in Feindschaft setzen, nicht unter jenem leiden, die Staatspolitik nicht der Wirthschafts- oder Handelspolitik untergeordnet wird. Dieses Verhältniß hat namentlich auch in den letzten fünf Jahrhunderten bestanden. Kaum zu zählen sind die frie- densbrecherischen Anfälle, die Deutschland in dieser Zeit von Frankreich er¬ fahren, noch viel zahlreicher die Schlachten und Kriege, in denen deutsche Waffen gegen spanische, französische, italienische und selbst englische kämpften. Und dennoch hat in dieser friedlosen Zeit der wirthschaftliche Verkehr der streitenden Nationen, namentlich aber der internationale geistige Einfluß der ^lkswirthschaftlichen Denker selten ganz aufgehört, und ist zu Zeiten sogar ein Sanz außerordentlicher und bestimmender gewesen, auch dann, wenn nach langen Kriegen noch tiefe Feindschaft unter den Völkern sich erhalten hatte. So zwischen Frankreich und Deutschland zur Zeit Colbert's, dessen Theorien damals ja als absolute Heilswahrheit der Staatswirthschaft galten. So zwischen England, Frankreich und Deutschland in den Tagen Adam Smith's, dessen großartige Moderne Ideen sich den ganzen Continent eroberten, als das Festland unter Napoleon's eiserner Faust seufzte und England zum Feind Aller erklärt und . wie der Continentalsperre betroffen war. Es bedarf kaum der Versicherung, daß dieses internationale Wirken der Blöder und Ideen bei Wilhelm Röscher die eingehendste, klarste und verstand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/369>, abgerufen am 27.07.2024.