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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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werden soll, steht für Marx von Haus aus fest. Man vergleiche Wilhelm
Roscher's unendlich reichere Gelehrsamkeit und die behutsame sorgfältige An¬
wendung dieses Wissens mit dem brutalen Fanatismus, der in Marx'
Buche einen ungeheueren Stoff zusammenträgt, um einen einzigen falschen
Grundgedanken zu erhärten -- und der ganze Abstand zwischen dem Ge¬
lehrten und dem Rabulisten tritt uns vor Augen." Röscher selbst drückt die
Aufgabe seines Werkes bescheiden aus mit den Worten des Jsokrates:
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-Z7rs?v." Er begrenzt seine Arbeit auf Darlegung der Geschichte der deutschen
Volkswirthschaftslehre von den Tagen der Humanisten bis auf die Gegen¬
wart, und dennoch hat Röscher über diesen scheinbar engen Stoff sechsund-
sechszig Druckbogen geschrieben, von denen weit über die Hälfte in Petitsatz
vorliegt! Allerdings ist nicht jede Rücksicht auf die volkswirthschaftliche
Praxis dabei ausgeschlossen, und kann es nicht sein; denn die Theorien der
Nationalökonomie, ihre Dogmen und die Geschichte ihrer Dogmen versteht
nur Derjenige, welcher die Wirklichkeit kennt, der diese Theorien und Dogmen
entnommen sind. Indessen in dem Sinne hat doch Röscher sich auf die Ge¬
schichte der Volkswirtschaftslehre beschränkt, daß er selbst da, wo er auf die
volkswirthschaftlichen Theorien rein praktischer Staatswirthe, wie etwa Luther's
soweit er in die praktisch-wirthschaftliche Bewegung seiner Tage mit Rede
und Schrift eintrat -- oder des großen Kurfürsten, Friedrich's des Großen
und seines Vaters, Josephs II. u. s. w., eingeht, vorzugsweise sich mit den
Ansichten und Grundsätzen dieser Theorien -- mit ihrer Anknüpfung an
frühere, gleichzeitige, nachfolgende Theoretiker oder mit ihrer Entwickelung im
Leben ihrer Träger selbst beschäftigt, dagegen die Frage nur streift, ob und
wie diese Theorien verwirklicht wurden, welche Erfolge sie erzielten, welche
Thaten ihres Urhebers sie im Gefolge hatten, welche Schicksale sie ihm zu-
z°gen. Indessen auch so begrenzt, ist die Aufgabe die Röscher sich stellte und
er nach jahrelangen Studien in diesem Werke in mustergültiger Weise
gelöst hat, eine der größten, an die eine einzelne Menschenkraft sich wagen
kann. Welche Fülle vielseitigster Kenntnisse und Gaben setzte das Unter¬
nehmen voraus: dem Leser in historischer Entwickelung darzustellen, was
jederzeit die geistigen Führer deutscher Volkswirthschaft in wissenschaftlicher
Weise über den Gegenstand ihres Berufes gedacht haben. Es bedarf nicht
der Ausführung, daß dieser Versuch nicht gewagt und noch viel weniger gelöst
werden konnte ohne die genaue Kenntniß aller der Hunderte von Schriften,
^Iche hier in ihren Hauptzügen wiedergegeben sind, ohne die intime Ver¬
trautheit mit dem Lebensgang, der Lebensstellung, den Strebungen und Er¬
folgen der Versasser. Und was mehr als das Alles ist: der Versuch konnte
nicht gewagt und ausgeführt werden ohne die klare Uebersicht über die ge-


werden soll, steht für Marx von Haus aus fest. Man vergleiche Wilhelm
Roscher's unendlich reichere Gelehrsamkeit und die behutsame sorgfältige An¬
wendung dieses Wissens mit dem brutalen Fanatismus, der in Marx'
Buche einen ungeheueren Stoff zusammenträgt, um einen einzigen falschen
Grundgedanken zu erhärten — und der ganze Abstand zwischen dem Ge¬
lehrten und dem Rabulisten tritt uns vor Augen." Röscher selbst drückt die
Aufgabe seines Werkes bescheiden aus mit den Worten des Jsokrates:
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Volkswirthschaftslehre von den Tagen der Humanisten bis auf die Gegen¬
wart, und dennoch hat Röscher über diesen scheinbar engen Stoff sechsund-
sechszig Druckbogen geschrieben, von denen weit über die Hälfte in Petitsatz
vorliegt! Allerdings ist nicht jede Rücksicht auf die volkswirthschaftliche
Praxis dabei ausgeschlossen, und kann es nicht sein; denn die Theorien der
Nationalökonomie, ihre Dogmen und die Geschichte ihrer Dogmen versteht
nur Derjenige, welcher die Wirklichkeit kennt, der diese Theorien und Dogmen
entnommen sind. Indessen in dem Sinne hat doch Röscher sich auf die Ge¬
schichte der Volkswirtschaftslehre beschränkt, daß er selbst da, wo er auf die
volkswirthschaftlichen Theorien rein praktischer Staatswirthe, wie etwa Luther's
soweit er in die praktisch-wirthschaftliche Bewegung seiner Tage mit Rede
und Schrift eintrat — oder des großen Kurfürsten, Friedrich's des Großen
und seines Vaters, Josephs II. u. s. w., eingeht, vorzugsweise sich mit den
Ansichten und Grundsätzen dieser Theorien — mit ihrer Anknüpfung an
frühere, gleichzeitige, nachfolgende Theoretiker oder mit ihrer Entwickelung im
Leben ihrer Träger selbst beschäftigt, dagegen die Frage nur streift, ob und
wie diese Theorien verwirklicht wurden, welche Erfolge sie erzielten, welche
Thaten ihres Urhebers sie im Gefolge hatten, welche Schicksale sie ihm zu-
z°gen. Indessen auch so begrenzt, ist die Aufgabe die Röscher sich stellte und
er nach jahrelangen Studien in diesem Werke in mustergültiger Weise
gelöst hat, eine der größten, an die eine einzelne Menschenkraft sich wagen
kann. Welche Fülle vielseitigster Kenntnisse und Gaben setzte das Unter¬
nehmen voraus: dem Leser in historischer Entwickelung darzustellen, was
jederzeit die geistigen Führer deutscher Volkswirthschaft in wissenschaftlicher
Weise über den Gegenstand ihres Berufes gedacht haben. Es bedarf nicht
der Ausführung, daß dieser Versuch nicht gewagt und noch viel weniger gelöst
werden konnte ohne die genaue Kenntniß aller der Hunderte von Schriften,
^Iche hier in ihren Hauptzügen wiedergegeben sind, ohne die intime Ver¬
trautheit mit dem Lebensgang, der Lebensstellung, den Strebungen und Er¬
folgen der Versasser. Und was mehr als das Alles ist: der Versuch konnte
nicht gewagt und ausgeführt werden ohne die klare Uebersicht über die ge-


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[0367] werden soll, steht für Marx von Haus aus fest. Man vergleiche Wilhelm Roscher's unendlich reichere Gelehrsamkeit und die behutsame sorgfältige An¬ wendung dieses Wissens mit dem brutalen Fanatismus, der in Marx' Buche einen ungeheueren Stoff zusammenträgt, um einen einzigen falschen Grundgedanken zu erhärten — und der ganze Abstand zwischen dem Ge¬ lehrten und dem Rabulisten tritt uns vor Augen." Röscher selbst drückt die Aufgabe seines Werkes bescheiden aus mit den Worten des Jsokrates: ?rar^«let ztttt^ox FteKs^A«?^, x«5 ?r-^ rwv »-ewo^ /x/so^evwv «e?/«/«? -Z7rs?v." Er begrenzt seine Arbeit auf Darlegung der Geschichte der deutschen Volkswirthschaftslehre von den Tagen der Humanisten bis auf die Gegen¬ wart, und dennoch hat Röscher über diesen scheinbar engen Stoff sechsund- sechszig Druckbogen geschrieben, von denen weit über die Hälfte in Petitsatz vorliegt! Allerdings ist nicht jede Rücksicht auf die volkswirthschaftliche Praxis dabei ausgeschlossen, und kann es nicht sein; denn die Theorien der Nationalökonomie, ihre Dogmen und die Geschichte ihrer Dogmen versteht nur Derjenige, welcher die Wirklichkeit kennt, der diese Theorien und Dogmen entnommen sind. Indessen in dem Sinne hat doch Röscher sich auf die Ge¬ schichte der Volkswirtschaftslehre beschränkt, daß er selbst da, wo er auf die volkswirthschaftlichen Theorien rein praktischer Staatswirthe, wie etwa Luther's soweit er in die praktisch-wirthschaftliche Bewegung seiner Tage mit Rede und Schrift eintrat — oder des großen Kurfürsten, Friedrich's des Großen und seines Vaters, Josephs II. u. s. w., eingeht, vorzugsweise sich mit den Ansichten und Grundsätzen dieser Theorien — mit ihrer Anknüpfung an frühere, gleichzeitige, nachfolgende Theoretiker oder mit ihrer Entwickelung im Leben ihrer Träger selbst beschäftigt, dagegen die Frage nur streift, ob und wie diese Theorien verwirklicht wurden, welche Erfolge sie erzielten, welche Thaten ihres Urhebers sie im Gefolge hatten, welche Schicksale sie ihm zu- z°gen. Indessen auch so begrenzt, ist die Aufgabe die Röscher sich stellte und er nach jahrelangen Studien in diesem Werke in mustergültiger Weise gelöst hat, eine der größten, an die eine einzelne Menschenkraft sich wagen kann. Welche Fülle vielseitigster Kenntnisse und Gaben setzte das Unter¬ nehmen voraus: dem Leser in historischer Entwickelung darzustellen, was jederzeit die geistigen Führer deutscher Volkswirthschaft in wissenschaftlicher Weise über den Gegenstand ihres Berufes gedacht haben. Es bedarf nicht der Ausführung, daß dieser Versuch nicht gewagt und noch viel weniger gelöst werden konnte ohne die genaue Kenntniß aller der Hunderte von Schriften, ^Iche hier in ihren Hauptzügen wiedergegeben sind, ohne die intime Ver¬ trautheit mit dem Lebensgang, der Lebensstellung, den Strebungen und Er¬ folgen der Versasser. Und was mehr als das Alles ist: der Versuch konnte nicht gewagt und ausgeführt werden ohne die klare Uebersicht über die ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/367>, abgerufen am 27.07.2024.