Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.diese Betrachtungen wach. Der Lehrer der Nationalökonomie an der größten In seinem vorletzten bedeutenden Essay, "der Socialismus und seine diese Betrachtungen wach. Der Lehrer der Nationalökonomie an der größten In seinem vorletzten bedeutenden Essay, „der Socialismus und seine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132588"/> <p xml:id="ID_1090" prev="#ID_1089"> diese Betrachtungen wach. Der Lehrer der Nationalökonomie an der größten<lb/> Hochschule Deutschlands, an der er bald seit einem Menschenalter gewirkt und<lb/> den größten Theil der jüngeren Gelehrten unserer Tage herangezogen hat,<lb/> er, der hervorragendste Vertreter jener volkswirthschaftlichen Schule, welche in<lb/> engster Verbindung mit der historischen Wissenschaft die Wirthschaft, die<lb/> Wirthschaftslehre und Wirtschaftspolitik in praktischer wie theoretischer<lb/> Hinsicht unter den deutschen Fachgelehrten vertritt: er ist sicherlich der corn-<lb/> petenteste Beurtheiler der Geschichte und Literatur der Nationalökonomik, die<lb/> für uns moderne Menschen hauptsächlich in Betracht kommt, d. h. der wirth¬<lb/> schaftlichen Entwickelung und Literatur seit dem Ausgang des Mittelalters,<lb/> seit Beginn der Reformationszeit. Er ist es in demselben Maße auch für<lb/> die wirthschaftliche Entwickelung und Literatur der antiken'Welt, des Mittel¬<lb/> alters; aber über jene entfernteren Epochen der menschlichen Gesellschaft hat<lb/> er bei anderen Gelegenheiten Licht verbreitet. Das vorliegende Werk ist der<lb/> neueren Zeit gewidmet; es bildet den vierzehnten Band der „Geschichte der<lb/> Wissenschaften in/Deutschland", welche die historische Kommission bei der<lb/> Königl. Akademie der Wissenschaften in München herausgiebt, durch Unter¬<lb/> stützung derjenigen Mittel, welche der edle Vater des Königs von Bayern,<lb/> Max II., zur Verfügung stellte. Es mag daher gestattet sein, auch hier<lb/> lediglich zu untersuchen, in wie hohem Grade Wilhelm Röscher befähigt er¬<lb/> scheint, die Geschichte der modernen National-Oekonomik zu schreiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1091" next="#ID_1092"> In seinem vorletzten bedeutenden Essay, „der Socialismus und seine<lb/> Gönner", hat Heinrich von Treitschke Gelegenheit gehabt, die scheinbar<lb/> stupende Gelehrsamkeit von Karl Marx, die in dem Evangelium seiner Nach¬<lb/> beter auf dem Kontinent, in seinem dickbäuchigen Werke „das, Kapital"<lb/> niedergelegt ist, zu vergleichen mit der Gelehrsamkeit Wilhelm Roscher's.<lb/> Als jener Essay geschrieben wurde, wußte der Verfasser sicherlich nicht, daß<lb/> Röscher in Begriff stehe, seit vielen Jahren wieder einmal mit einem großen<lb/> Buche aus seiner Feder die Welt zu beschenken, mit einem Buche, auf dessen<lb/> Erscheinen solange schon gehofft war, dessen Drucklegung aber die unablässige<lb/> gelehrte Arbeit, die nimmermüde Pflichtstrenge des Verfassers immer verzögert<lb/> hatte. Dem Essay des geistvollen Historikers und Publicisten ist dieses Buch<lb/> fast aus dem Fuße gefolgt, und es entspricht so vollständig den Worten<lb/> Treitschke's, daß man sein Urtheil über Röscher ohne Weiteres als Motto<lb/> auf das Buch setzen könnte. „Man mag an Karl Marx' Buche über das<lb/> Kapital die große Belesenheit bewundern und den Talmudistenscharfsinn im<lb/> Zerspalten und Zerfasern der Begriffe — das Eine, was den Gelehrten<lb/> macht, fehlt ihm doch gänzlich: das wissenschaftliche Gewissen. Hier ist keine<lb/> Spur von der Bescheidenheit des Forschers, der im Bewußtsein des Nicht¬<lb/> wissens an seinen Stoff herantritt, um unbefangen zu lernen; was bewiesen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
diese Betrachtungen wach. Der Lehrer der Nationalökonomie an der größten
Hochschule Deutschlands, an der er bald seit einem Menschenalter gewirkt und
den größten Theil der jüngeren Gelehrten unserer Tage herangezogen hat,
er, der hervorragendste Vertreter jener volkswirthschaftlichen Schule, welche in
engster Verbindung mit der historischen Wissenschaft die Wirthschaft, die
Wirthschaftslehre und Wirtschaftspolitik in praktischer wie theoretischer
Hinsicht unter den deutschen Fachgelehrten vertritt: er ist sicherlich der corn-
petenteste Beurtheiler der Geschichte und Literatur der Nationalökonomik, die
für uns moderne Menschen hauptsächlich in Betracht kommt, d. h. der wirth¬
schaftlichen Entwickelung und Literatur seit dem Ausgang des Mittelalters,
seit Beginn der Reformationszeit. Er ist es in demselben Maße auch für
die wirthschaftliche Entwickelung und Literatur der antiken'Welt, des Mittel¬
alters; aber über jene entfernteren Epochen der menschlichen Gesellschaft hat
er bei anderen Gelegenheiten Licht verbreitet. Das vorliegende Werk ist der
neueren Zeit gewidmet; es bildet den vierzehnten Band der „Geschichte der
Wissenschaften in/Deutschland", welche die historische Kommission bei der
Königl. Akademie der Wissenschaften in München herausgiebt, durch Unter¬
stützung derjenigen Mittel, welche der edle Vater des Königs von Bayern,
Max II., zur Verfügung stellte. Es mag daher gestattet sein, auch hier
lediglich zu untersuchen, in wie hohem Grade Wilhelm Röscher befähigt er¬
scheint, die Geschichte der modernen National-Oekonomik zu schreiben.
In seinem vorletzten bedeutenden Essay, „der Socialismus und seine
Gönner", hat Heinrich von Treitschke Gelegenheit gehabt, die scheinbar
stupende Gelehrsamkeit von Karl Marx, die in dem Evangelium seiner Nach¬
beter auf dem Kontinent, in seinem dickbäuchigen Werke „das, Kapital"
niedergelegt ist, zu vergleichen mit der Gelehrsamkeit Wilhelm Roscher's.
Als jener Essay geschrieben wurde, wußte der Verfasser sicherlich nicht, daß
Röscher in Begriff stehe, seit vielen Jahren wieder einmal mit einem großen
Buche aus seiner Feder die Welt zu beschenken, mit einem Buche, auf dessen
Erscheinen solange schon gehofft war, dessen Drucklegung aber die unablässige
gelehrte Arbeit, die nimmermüde Pflichtstrenge des Verfassers immer verzögert
hatte. Dem Essay des geistvollen Historikers und Publicisten ist dieses Buch
fast aus dem Fuße gefolgt, und es entspricht so vollständig den Worten
Treitschke's, daß man sein Urtheil über Röscher ohne Weiteres als Motto
auf das Buch setzen könnte. „Man mag an Karl Marx' Buche über das
Kapital die große Belesenheit bewundern und den Talmudistenscharfsinn im
Zerspalten und Zerfasern der Begriffe — das Eine, was den Gelehrten
macht, fehlt ihm doch gänzlich: das wissenschaftliche Gewissen. Hier ist keine
Spur von der Bescheidenheit des Forschers, der im Bewußtsein des Nicht¬
wissens an seinen Stoff herantritt, um unbefangen zu lernen; was bewiesen
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