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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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einander bekämpfen; sie selbst steht hoch über diesem Kampfe und regiert fort,
als wäre nichts geschehen. Das ist eine der sonderbarsten "berechtigten
Eigenthümlichkeiten" Sachsens, an der man festhält, obschon fast in allen
constitutionellen deutschen Staaten, neuerdings sogar in Preußen, das Princip
parlamentarischer Regierung immer mehr zum Durchbruch gelangt ist.

Um so mehr tritt natürlich in Sachsen die Person und der persönliche
Wille des Monarchen in den Bordergrund. Und doch auch wieder nicht.
Denn eine zweite sächsische Tradition ist die, daß der König möglichst wenig
die politischen Handlungen und Entschließungen seiner Regierung zu beein¬
flussen scheine. Von den Monarchen Baierns, Würtembergs, auch von dem
greisen König Wilhelm hört man öfters, ziemlich präcis und verbürgt, welche
Stellung sie zu der oder jener Frage der inneren Politik einnehmen: in
Sachsen giebt und gab es fast allezeit darüber bloße Vermuthun-gen. Der
Verfasser glaubt nun die politische Gesinnung und Haltung des gegenwärtigen
Monarchen Sachsens, König Albert, insbesondere in nationalen Fragen sehr
genau zu wissen und Präcisiren zu können. Allein gerade in diesem Punkte
gehen mir gegen seine Aufstellungen mancherlei Bedenken bei. Zuerst fehlen
einige Züge zu dem Bilde, die gerade sehr wichtig sind, und die der Verfasser,
der sich so großer Intimität mit allem am Hofe Vorgehenden rühmt, nicht
hätte weglassen sollen. Der Verfasser erwähnt die Hinneigung des jüngeren
Zweiges der königlichen Familie zu einem strengen Katholicismus, die Pathen-
schaft des Papstes bei dem jüngsten Prinzen u. f. w. Allein über die Gegen¬
stellung des Königs zu diesen Tendenzen geht er zu rasch hinweg. Er vergißt
anzuführen, daß König Albert seiner Zeit sich über jene Pathenschaft als
wenig opportun, nicht eben zustimmend geäußert hat; daß er mit einem der
wenigen freisinnigeren katholischen Hoftheologen gern verkehrt; daß er persönlich,
wie man sagt, in sehr entschiedener Weise, den Rücktritt eines anderen Hos¬
predigers, der das "katholische Kirchenblatt für Sachsen" redigirte, von dieser
Stellung betrieb, als genanntes Blatt sich zum Kämpen der Unbotmäszigkeit
der römischen Kirche gegen den Staat machte; daß endlich nur König Albert's
persönlichem Einfluß es zuzuschreiben war, wenn am Sedantage d. I. der
apostolische Vicar in Sachsen, Bischof Forwerk, trotz der fanatischen Ab¬
mahnungen des mächtigen Kirchenfürsten Ketteler, in der katholischen Hofkirche
hier das Nationalfest feierlich mit beging.*)

Ebenso hat der Verfasser unterlassen, des damaligen Kronprinzen Albert
Verhalten bei dem Kampfe um die Organisationsgesetze (die er überhaupt
zum Theil unrichtig darstellt) zu erwähnen. Und doch war dieses Verhalten
nichts weniger als den Plänen der Aristokratie günstig, im Gegentheil
geradezu demonstrativ gegen letztere, und es hat, wie damals wenigstens hier



") D D. Red. as hatten auch die "Pr. Jahrb. hervorgehoben.

einander bekämpfen; sie selbst steht hoch über diesem Kampfe und regiert fort,
als wäre nichts geschehen. Das ist eine der sonderbarsten „berechtigten
Eigenthümlichkeiten" Sachsens, an der man festhält, obschon fast in allen
constitutionellen deutschen Staaten, neuerdings sogar in Preußen, das Princip
parlamentarischer Regierung immer mehr zum Durchbruch gelangt ist.

Um so mehr tritt natürlich in Sachsen die Person und der persönliche
Wille des Monarchen in den Bordergrund. Und doch auch wieder nicht.
Denn eine zweite sächsische Tradition ist die, daß der König möglichst wenig
die politischen Handlungen und Entschließungen seiner Regierung zu beein¬
flussen scheine. Von den Monarchen Baierns, Würtembergs, auch von dem
greisen König Wilhelm hört man öfters, ziemlich präcis und verbürgt, welche
Stellung sie zu der oder jener Frage der inneren Politik einnehmen: in
Sachsen giebt und gab es fast allezeit darüber bloße Vermuthun-gen. Der
Verfasser glaubt nun die politische Gesinnung und Haltung des gegenwärtigen
Monarchen Sachsens, König Albert, insbesondere in nationalen Fragen sehr
genau zu wissen und Präcisiren zu können. Allein gerade in diesem Punkte
gehen mir gegen seine Aufstellungen mancherlei Bedenken bei. Zuerst fehlen
einige Züge zu dem Bilde, die gerade sehr wichtig sind, und die der Verfasser,
der sich so großer Intimität mit allem am Hofe Vorgehenden rühmt, nicht
hätte weglassen sollen. Der Verfasser erwähnt die Hinneigung des jüngeren
Zweiges der königlichen Familie zu einem strengen Katholicismus, die Pathen-
schaft des Papstes bei dem jüngsten Prinzen u. f. w. Allein über die Gegen¬
stellung des Königs zu diesen Tendenzen geht er zu rasch hinweg. Er vergißt
anzuführen, daß König Albert seiner Zeit sich über jene Pathenschaft als
wenig opportun, nicht eben zustimmend geäußert hat; daß er mit einem der
wenigen freisinnigeren katholischen Hoftheologen gern verkehrt; daß er persönlich,
wie man sagt, in sehr entschiedener Weise, den Rücktritt eines anderen Hos¬
predigers, der das „katholische Kirchenblatt für Sachsen" redigirte, von dieser
Stellung betrieb, als genanntes Blatt sich zum Kämpen der Unbotmäszigkeit
der römischen Kirche gegen den Staat machte; daß endlich nur König Albert's
persönlichem Einfluß es zuzuschreiben war, wenn am Sedantage d. I. der
apostolische Vicar in Sachsen, Bischof Forwerk, trotz der fanatischen Ab¬
mahnungen des mächtigen Kirchenfürsten Ketteler, in der katholischen Hofkirche
hier das Nationalfest feierlich mit beging.*)

Ebenso hat der Verfasser unterlassen, des damaligen Kronprinzen Albert
Verhalten bei dem Kampfe um die Organisationsgesetze (die er überhaupt
zum Theil unrichtig darstellt) zu erwähnen. Und doch war dieses Verhalten
nichts weniger als den Plänen der Aristokratie günstig, im Gegentheil
geradezu demonstrativ gegen letztere, und es hat, wie damals wenigstens hier



") D D. Red. as hatten auch die „Pr. Jahrb. hervorgehoben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/354>, abgerufen am 28.07.2024.