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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Wir haben, um diese Naturschilderungen im Zusammenhang vorzutragen,
den Gang der Reiseroute für einen Augenblick verlassen. Schon bei der ersten
Frühstücksstation der Wildniß hatten unsere Reisenden reichlich Gelegenheit
wahrzunehmen, daß sie "die Staaten" längst hinter sich hatten, und in die An¬
fänge oder äußersten Ausläufer menschlicher Kultur sich vorgewagt hatten.
"Die Stationsgebäude waren lange niedrige Hütten von schmutzfarbenen, an
der Sonne gedörrten Ziegeln, die ohne Mörtel aufeinander gelegt waren.
Scheunen, Ställe für 12 bis 15 Pferde und ein Speisezimmer für Passagiere
in einer Hütte machten das Innere aus. Um durch die Thür zu kommen,
mußte man sich bücken. An der Stelle des Fensters war ein viereckiges Loch
W die Wand geschnitten, aber kein Glas darin. Es gab keinen Ofen, aber
die Feuerstelle diente für alle nothwendigen Zwecke. Es gab keine Simse,
Tellerbretter oder Closets. An der Thür der Höhle des Stationswirthes
stand außen ein blechernes Waschbecken auf dem Boden. Daneben befand
sich ein Eimer mit Wasser und ein Stück gelbe Riegelseife, und von der Dach¬
traufe hing ein rauhes blauwollnes Hemd und deutete an, daß man sich hier
abtrocknen konnte -- aber es war des Stationswirthes Privathandtuch, und
nur zwei Personen von der ganzen Gesellschaft durften wagen, sich seiner zu
bedienen: der Postillon und der Conducteur. Der letztere wollte das nicht
aus Schicklichkeitsgefühl. der erstere wollte es nicht, weil es ihm nicht beliebte,
die Anerbietungen eines Stationswirthes zu ermuthigen. Von dem Spiegel¬
rahmen hing an einem Bindfaden die Hälfte eines Kammes herab -- aber
Wenn ich die Wahl hätte, diesen Patriarchen zu schildern oder zu sterben, so
glaube ich, ich würde mir gleich ein paar Särge bestellen." Diesen Verhält¬
nissen entsprach natürlich auch das Frühstück, welches der Wüstenwirth auf¬
tischte. "Er fabelte für jeden Mann ein Stück Speck ab, aber nur erfahrene
alte Kunden machten sich daran, es zu essen; denn es war condemnirter
Armee-Speck, mit dem die Vereinigten, Staaten nicht einmal ihre Soldaten
in den Grenzforts füttern wollten, und die Postgesellschaft billig gekauft
hatte, um ihre Passagiere und Dienstleute damit zu nähren. Es ist möglich,
daß wir diesen condemnirten Soldaten-Speck weiter draußen auf den Ebnen
als in der Station, in die ich ihn verlege, angetroffen haben, aber ange¬
troffen haben wir ihn, dem läßt sich nicht widerstreiten. Dann schenkte er
uns ein Getränk ein, welches er "Slumgullion" nannte, und es ist schwer,
sich vorzustellen, daß er nicht inspirirt war. als er es benannte. Er gab
allerdings vor, Thee zu sein, aber es war zu viel Schüsselspülicht, Sand
und alte Speckschwarte drin, als daß der intelligente Reisende sich hätte
täuschen lassen. Er hatte keinen Zucker, keine Milch, ja nicht einmal einen
Löffel, um jene Jngredientien damit umzurühren. Wir konnten weder das
Brot noch den Speck essen, noch den "Slumgullion" trinken." Er kostete aber


Wir haben, um diese Naturschilderungen im Zusammenhang vorzutragen,
den Gang der Reiseroute für einen Augenblick verlassen. Schon bei der ersten
Frühstücksstation der Wildniß hatten unsere Reisenden reichlich Gelegenheit
wahrzunehmen, daß sie „die Staaten" längst hinter sich hatten, und in die An¬
fänge oder äußersten Ausläufer menschlicher Kultur sich vorgewagt hatten.
„Die Stationsgebäude waren lange niedrige Hütten von schmutzfarbenen, an
der Sonne gedörrten Ziegeln, die ohne Mörtel aufeinander gelegt waren.
Scheunen, Ställe für 12 bis 15 Pferde und ein Speisezimmer für Passagiere
in einer Hütte machten das Innere aus. Um durch die Thür zu kommen,
mußte man sich bücken. An der Stelle des Fensters war ein viereckiges Loch
W die Wand geschnitten, aber kein Glas darin. Es gab keinen Ofen, aber
die Feuerstelle diente für alle nothwendigen Zwecke. Es gab keine Simse,
Tellerbretter oder Closets. An der Thür der Höhle des Stationswirthes
stand außen ein blechernes Waschbecken auf dem Boden. Daneben befand
sich ein Eimer mit Wasser und ein Stück gelbe Riegelseife, und von der Dach¬
traufe hing ein rauhes blauwollnes Hemd und deutete an, daß man sich hier
abtrocknen konnte — aber es war des Stationswirthes Privathandtuch, und
nur zwei Personen von der ganzen Gesellschaft durften wagen, sich seiner zu
bedienen: der Postillon und der Conducteur. Der letztere wollte das nicht
aus Schicklichkeitsgefühl. der erstere wollte es nicht, weil es ihm nicht beliebte,
die Anerbietungen eines Stationswirthes zu ermuthigen. Von dem Spiegel¬
rahmen hing an einem Bindfaden die Hälfte eines Kammes herab — aber
Wenn ich die Wahl hätte, diesen Patriarchen zu schildern oder zu sterben, so
glaube ich, ich würde mir gleich ein paar Särge bestellen." Diesen Verhält¬
nissen entsprach natürlich auch das Frühstück, welches der Wüstenwirth auf¬
tischte. „Er fabelte für jeden Mann ein Stück Speck ab, aber nur erfahrene
alte Kunden machten sich daran, es zu essen; denn es war condemnirter
Armee-Speck, mit dem die Vereinigten, Staaten nicht einmal ihre Soldaten
in den Grenzforts füttern wollten, und die Postgesellschaft billig gekauft
hatte, um ihre Passagiere und Dienstleute damit zu nähren. Es ist möglich,
daß wir diesen condemnirten Soldaten-Speck weiter draußen auf den Ebnen
als in der Station, in die ich ihn verlege, angetroffen haben, aber ange¬
troffen haben wir ihn, dem läßt sich nicht widerstreiten. Dann schenkte er
uns ein Getränk ein, welches er „Slumgullion" nannte, und es ist schwer,
sich vorzustellen, daß er nicht inspirirt war. als er es benannte. Er gab
allerdings vor, Thee zu sein, aber es war zu viel Schüsselspülicht, Sand
und alte Speckschwarte drin, als daß der intelligente Reisende sich hätte
täuschen lassen. Er hatte keinen Zucker, keine Milch, ja nicht einmal einen
Löffel, um jene Jngredientien damit umzurühren. Wir konnten weder das
Brot noch den Speck essen, noch den „Slumgullion" trinken." Er kostete aber


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[0343] Wir haben, um diese Naturschilderungen im Zusammenhang vorzutragen, den Gang der Reiseroute für einen Augenblick verlassen. Schon bei der ersten Frühstücksstation der Wildniß hatten unsere Reisenden reichlich Gelegenheit wahrzunehmen, daß sie „die Staaten" längst hinter sich hatten, und in die An¬ fänge oder äußersten Ausläufer menschlicher Kultur sich vorgewagt hatten. „Die Stationsgebäude waren lange niedrige Hütten von schmutzfarbenen, an der Sonne gedörrten Ziegeln, die ohne Mörtel aufeinander gelegt waren. Scheunen, Ställe für 12 bis 15 Pferde und ein Speisezimmer für Passagiere in einer Hütte machten das Innere aus. Um durch die Thür zu kommen, mußte man sich bücken. An der Stelle des Fensters war ein viereckiges Loch W die Wand geschnitten, aber kein Glas darin. Es gab keinen Ofen, aber die Feuerstelle diente für alle nothwendigen Zwecke. Es gab keine Simse, Tellerbretter oder Closets. An der Thür der Höhle des Stationswirthes stand außen ein blechernes Waschbecken auf dem Boden. Daneben befand sich ein Eimer mit Wasser und ein Stück gelbe Riegelseife, und von der Dach¬ traufe hing ein rauhes blauwollnes Hemd und deutete an, daß man sich hier abtrocknen konnte — aber es war des Stationswirthes Privathandtuch, und nur zwei Personen von der ganzen Gesellschaft durften wagen, sich seiner zu bedienen: der Postillon und der Conducteur. Der letztere wollte das nicht aus Schicklichkeitsgefühl. der erstere wollte es nicht, weil es ihm nicht beliebte, die Anerbietungen eines Stationswirthes zu ermuthigen. Von dem Spiegel¬ rahmen hing an einem Bindfaden die Hälfte eines Kammes herab — aber Wenn ich die Wahl hätte, diesen Patriarchen zu schildern oder zu sterben, so glaube ich, ich würde mir gleich ein paar Särge bestellen." Diesen Verhält¬ nissen entsprach natürlich auch das Frühstück, welches der Wüstenwirth auf¬ tischte. „Er fabelte für jeden Mann ein Stück Speck ab, aber nur erfahrene alte Kunden machten sich daran, es zu essen; denn es war condemnirter Armee-Speck, mit dem die Vereinigten, Staaten nicht einmal ihre Soldaten in den Grenzforts füttern wollten, und die Postgesellschaft billig gekauft hatte, um ihre Passagiere und Dienstleute damit zu nähren. Es ist möglich, daß wir diesen condemnirten Soldaten-Speck weiter draußen auf den Ebnen als in der Station, in die ich ihn verlege, angetroffen haben, aber ange¬ troffen haben wir ihn, dem läßt sich nicht widerstreiten. Dann schenkte er uns ein Getränk ein, welches er „Slumgullion" nannte, und es ist schwer, sich vorzustellen, daß er nicht inspirirt war. als er es benannte. Er gab allerdings vor, Thee zu sein, aber es war zu viel Schüsselspülicht, Sand und alte Speckschwarte drin, als daß der intelligente Reisende sich hätte täuschen lassen. Er hatte keinen Zucker, keine Milch, ja nicht einmal einen Löffel, um jene Jngredientien damit umzurühren. Wir konnten weder das Brot noch den Speck essen, noch den „Slumgullion" trinken." Er kostete aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/343>, abgerufen am 28.07.2024.