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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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das Volk daran zu gewöhnen, ihn als den berufenen Nachfolger Mac Ma-
hon's anzusehen. Das Weitere mußte man der Entwickelung der Dinge
überlassen.^

An Rührigkeit in der Verfolgung ihres Zielesließen es Aumale's intri¬
gante Freunde nicht fehlen. Zuerst sollte der Vorsitz in dem widrigen
Vazaine'schen Tendenzproceß die Augen der Nation auf ihn lenken und ihn
als militärisches Genie ersten Ranges ausweisen. Dieser Versuch, Aumale
zum großen Manne zu stempeln, scheiterte indessen so schmählich, wie er es
bei seiner Abgeschmacktheit verdiente. Der Proceß war eingeleitet worden, um
der nationalen Eitelkeit eine Art von trauriger Genugthuung zu verschaffen.
Die Verurtheilung wurde von allen Parteien mit Ausnahme der kaiserlichen
gefordert, und die Befriedigung war daher groß, als das Urtheil gesprochen
war, welches die Verschuldung Aller auf ein Haupt lud; wenn man aber
gehofft hatte, daß dem Vorsitzenden des Kriegsgerichts aus der Leitung des
Processes und dem Urtheilsspruch eine dauernde Popularität erwachsen werde,
so hatte man den Takt und das Anstandsgefühl der Franzosen denn doch
allzu gering anschlagen. Eine tiefere und dauernde Wirkung hatte der Proceß
überhaupt nicht hervorgebracht. Er hatte den Parteien Stoff zu gegenseitigen
Anschuldigungen geboten; er hatte den Haß der Bonapartisten gegen die
Männer des Septembers von Neuem zu Heller Flamme angefacht; er hatte
die ganze Kriegführung der Franzosen ins schlechteste Licht gestellt, die Mehr¬
zahl ihrer höheren Befehlshaber und nicht am wenigsten Mac Mahon selbst,
compromittirt. Aber die Eindrücke hafteten nicht lange. Die Sorge und
Intrigue des Augenblicks nahmen die Parteien bald wieder in Anspruch, und
bald war Bazaine ein vergessener Mann, bis er durch seine Flucht sich den
Franzosen wieder ins Gedächtniß zurückrief.

Nach dem Proceß begab der Herzog von Aumale sich nach Behar^on,
um, wie die orleanistischen Blätter täglich verkündeten, an seinem Armeecorps
sein außerordentliches militärisches Organisationstalent zu bewähren'und seine
Truppen zu einem Muster- und Elitecorps auszubilden. In Besanyon
unterließ er es nicht, als Prinz mit fürstlicher Herablassung und Liebens¬
würdigkeit aufzutreten. Sodann sprach man in geheimnißvollem Ton bald
von einem wichtigen Auftrage, mit dem er in Betreff der Befestigungen von
Velfort betraut war, bald wurde das Gerücht in Umlauf gesetzt, daß für
ihn eine ganz besonders hervorragende Stellung, ein vom Kriegsministerium
fast ganz unabhängiges Generalisflmat, ins Auge gefaßt sei: eine Stellung,
in der er als militärischer College vielmehr neben als unter Mac Mahon
fungiren sollte. Die Einzelheiten dieser und ähnlicher Pläne wurden mit
großer Ernsthaftigkeit erörtert, obwohl die Urheber dieser Fabeln selbst sehr
Wohl wußten, daß Mac Mahon viel zu eifersüchtig an seiner Macht festhielt.


Grenzboten lV. 1874. 42

das Volk daran zu gewöhnen, ihn als den berufenen Nachfolger Mac Ma-
hon's anzusehen. Das Weitere mußte man der Entwickelung der Dinge
überlassen.^

An Rührigkeit in der Verfolgung ihres Zielesließen es Aumale's intri¬
gante Freunde nicht fehlen. Zuerst sollte der Vorsitz in dem widrigen
Vazaine'schen Tendenzproceß die Augen der Nation auf ihn lenken und ihn
als militärisches Genie ersten Ranges ausweisen. Dieser Versuch, Aumale
zum großen Manne zu stempeln, scheiterte indessen so schmählich, wie er es
bei seiner Abgeschmacktheit verdiente. Der Proceß war eingeleitet worden, um
der nationalen Eitelkeit eine Art von trauriger Genugthuung zu verschaffen.
Die Verurtheilung wurde von allen Parteien mit Ausnahme der kaiserlichen
gefordert, und die Befriedigung war daher groß, als das Urtheil gesprochen
war, welches die Verschuldung Aller auf ein Haupt lud; wenn man aber
gehofft hatte, daß dem Vorsitzenden des Kriegsgerichts aus der Leitung des
Processes und dem Urtheilsspruch eine dauernde Popularität erwachsen werde,
so hatte man den Takt und das Anstandsgefühl der Franzosen denn doch
allzu gering anschlagen. Eine tiefere und dauernde Wirkung hatte der Proceß
überhaupt nicht hervorgebracht. Er hatte den Parteien Stoff zu gegenseitigen
Anschuldigungen geboten; er hatte den Haß der Bonapartisten gegen die
Männer des Septembers von Neuem zu Heller Flamme angefacht; er hatte
die ganze Kriegführung der Franzosen ins schlechteste Licht gestellt, die Mehr¬
zahl ihrer höheren Befehlshaber und nicht am wenigsten Mac Mahon selbst,
compromittirt. Aber die Eindrücke hafteten nicht lange. Die Sorge und
Intrigue des Augenblicks nahmen die Parteien bald wieder in Anspruch, und
bald war Bazaine ein vergessener Mann, bis er durch seine Flucht sich den
Franzosen wieder ins Gedächtniß zurückrief.

Nach dem Proceß begab der Herzog von Aumale sich nach Behar^on,
um, wie die orleanistischen Blätter täglich verkündeten, an seinem Armeecorps
sein außerordentliches militärisches Organisationstalent zu bewähren'und seine
Truppen zu einem Muster- und Elitecorps auszubilden. In Besanyon
unterließ er es nicht, als Prinz mit fürstlicher Herablassung und Liebens¬
würdigkeit aufzutreten. Sodann sprach man in geheimnißvollem Ton bald
von einem wichtigen Auftrage, mit dem er in Betreff der Befestigungen von
Velfort betraut war, bald wurde das Gerücht in Umlauf gesetzt, daß für
ihn eine ganz besonders hervorragende Stellung, ein vom Kriegsministerium
fast ganz unabhängiges Generalisflmat, ins Auge gefaßt sei: eine Stellung,
in der er als militärischer College vielmehr neben als unter Mac Mahon
fungiren sollte. Die Einzelheiten dieser und ähnlicher Pläne wurden mit
großer Ernsthaftigkeit erörtert, obwohl die Urheber dieser Fabeln selbst sehr
Wohl wußten, daß Mac Mahon viel zu eifersüchtig an seiner Macht festhielt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/333>, abgerufen am 28.07.2024.