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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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stellen bereit war: zur Herstellung eines so gearteten Königthums konnten
sich die gemäßigten Elemente der conservativen Partei nicht herbeilassen. Als
der Brief des Grafen von Chambord die Hoffnungen, die man auf ein Ein¬
lenken von seiner Seite gesetzt, zerstört hatte, da galt es bei der großen
Mehrheit der monarchistischen Parteien für ausgemacht, daß das alte Erb¬
königthum, von dessen Rückkehr man eine Beruhigung der Parteileidenschaften
gehofft hatte, das die Gegenwart mit den Ueberlieferungen der Vergangenheit
verknüpfen und harmonisch mit einander verschmelzen sollte, sich selbst den
Todtenschein ausgestellt habe. Man erkannte, daß man seit Monaten einem
Phantome nachgehascht hatte, welches in Rauch und Nebel zerfloß, in dem
Augenblick, wo man es zu greifen glaubte und wo es unter der Berührung
feste Gestalt und Fleisch und Blut zu gewinnen schien.

Die Mehrheit befand sich, als sie zu dieser Erkenntniß gelangt war. in
einer gefährlichen Lage. Alles stand für sie auf dem Spiel. Die eifrigsten
Anhänger des Grafen von Chambord sahen mit Nichten in dem Brief des¬
selben einen Verzicht und sie waren weit entfernt, ihre Sache verloren zu
geben. Aber auch sie konnten sich doch nicht verhehlen, daß vorläufig an
eine Wiederherstellung des Königthums nicht zu denken war, und es war ein
fast kindischer Trotz, wenn sie, statt ihre Wünsche zu vertagen, sich sträubten,
zu einer Wiedervereinigung der Gruppen der Mehrheit ihre Hand zu bieten.
In dieser Haltung der äußersten Legitimisten lag eine um so größere Gefahr.
^ man nur durch rasches und entschlossenes Handeln die Republikaner
hindern konnte die Lage der Dinge zu einem parlamentarischen Gewaltstreich
im Stil vom 24. Mai auszubeuten. Mac Mahon zu stürzen und die Leitung
des Staats wiederum in die Hände Thiers zu legen, was unter den ob¬
waltenden Umständen die Proclamation der sogenannten definitiven Republik
und die sofortige Auflösung der Nationalversammlung zur Folge gehabt
haben würde. Wieder lagen die Verhältnisse so. daß dem Entschlossensten
der Sieg zufallen mußte, und wiederum zeigten sich im entscheidenden Augen¬
blicke die Eonservativen ihren Gegnern an Entschlossenheit und Fähigkeit zum
Handeln überlegen. Die Republikaner hatten schlechterdings Nichts gethan.
UM der Wiederherstellung des Königthums ein ernsthaftes Hinderniß in den
Weg zu setzen, sie hatten sich damit begnügt, in allen ihren Parteiversamm-
^ngen mit ermüdender Consequenz feierlich zu constatiren, daß das Land der
Republik ergeben sei und daß an der republikanischen Begeisterung der Nation
die Pläne der Königmacher elend zu Schanden werden würden, während es
doch jedem unbefangenen Blicke einleuchtend war, daß ein aus Wieder-
Herstellung des Königthums gerichteter Beschluß der Versammlung im Lande
uicht dem geringsten thatsächlichen Widerstand begegnen, sondern höchstens
einige ohnmächtige Verwahrungen im Stile der Klubbeschlüsse der Linken


stellen bereit war: zur Herstellung eines so gearteten Königthums konnten
sich die gemäßigten Elemente der conservativen Partei nicht herbeilassen. Als
der Brief des Grafen von Chambord die Hoffnungen, die man auf ein Ein¬
lenken von seiner Seite gesetzt, zerstört hatte, da galt es bei der großen
Mehrheit der monarchistischen Parteien für ausgemacht, daß das alte Erb¬
königthum, von dessen Rückkehr man eine Beruhigung der Parteileidenschaften
gehofft hatte, das die Gegenwart mit den Ueberlieferungen der Vergangenheit
verknüpfen und harmonisch mit einander verschmelzen sollte, sich selbst den
Todtenschein ausgestellt habe. Man erkannte, daß man seit Monaten einem
Phantome nachgehascht hatte, welches in Rauch und Nebel zerfloß, in dem
Augenblick, wo man es zu greifen glaubte und wo es unter der Berührung
feste Gestalt und Fleisch und Blut zu gewinnen schien.

Die Mehrheit befand sich, als sie zu dieser Erkenntniß gelangt war. in
einer gefährlichen Lage. Alles stand für sie auf dem Spiel. Die eifrigsten
Anhänger des Grafen von Chambord sahen mit Nichten in dem Brief des¬
selben einen Verzicht und sie waren weit entfernt, ihre Sache verloren zu
geben. Aber auch sie konnten sich doch nicht verhehlen, daß vorläufig an
eine Wiederherstellung des Königthums nicht zu denken war, und es war ein
fast kindischer Trotz, wenn sie, statt ihre Wünsche zu vertagen, sich sträubten,
zu einer Wiedervereinigung der Gruppen der Mehrheit ihre Hand zu bieten.
In dieser Haltung der äußersten Legitimisten lag eine um so größere Gefahr.
^ man nur durch rasches und entschlossenes Handeln die Republikaner
hindern konnte die Lage der Dinge zu einem parlamentarischen Gewaltstreich
im Stil vom 24. Mai auszubeuten. Mac Mahon zu stürzen und die Leitung
des Staats wiederum in die Hände Thiers zu legen, was unter den ob¬
waltenden Umständen die Proclamation der sogenannten definitiven Republik
und die sofortige Auflösung der Nationalversammlung zur Folge gehabt
haben würde. Wieder lagen die Verhältnisse so. daß dem Entschlossensten
der Sieg zufallen mußte, und wiederum zeigten sich im entscheidenden Augen¬
blicke die Eonservativen ihren Gegnern an Entschlossenheit und Fähigkeit zum
Handeln überlegen. Die Republikaner hatten schlechterdings Nichts gethan.
UM der Wiederherstellung des Königthums ein ernsthaftes Hinderniß in den
Weg zu setzen, sie hatten sich damit begnügt, in allen ihren Parteiversamm-
^ngen mit ermüdender Consequenz feierlich zu constatiren, daß das Land der
Republik ergeben sei und daß an der republikanischen Begeisterung der Nation
die Pläne der Königmacher elend zu Schanden werden würden, während es
doch jedem unbefangenen Blicke einleuchtend war, daß ein aus Wieder-
Herstellung des Königthums gerichteter Beschluß der Versammlung im Lande
uicht dem geringsten thatsächlichen Widerstand begegnen, sondern höchstens
einige ohnmächtige Verwahrungen im Stile der Klubbeschlüsse der Linken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/299>, abgerufen am 29.12.2024.