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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Schon in seiner frühesten Jugend hatte man über seinen Jähzorn und
Eigensinn geklagt. Der Heranwachsende hatte nicht recht lernen wollen,
sondern Lehrer und Erzieher große Schwierigkeiten bereitet. Auch der Vater
hatte dann im Jünglinge große Fehler entdeckt, Schwächen und Mängel des
Verstandes, der Urtheilskraft, des Charakters. Bei allen den vielen Krank¬
heiten, die der Arme zu durchleben hatte, war dies immer unheilvoller ge¬
worden, besonders die üblen Eigenschaften seines Charakters traten mehr und
mehr hervor. Man hatte versucht ihn zu bessern; man hatte ihn einmal
vom Hofe entfernt leben lassen, dann aber wieder ihn an den Hof gezogen,
eine gewisse äußere Stellung ihm gemacht und in amtlicher Thätigkeit ihn
beschäftigt. Alles hatte nichts geholfen. Die Aussicht einer Ehe mit einer
Verwandten hatte die Ungeduld des Schwachsinnigen erregt und, da man ihm
nicht schnell zu Willen sein durfte, zu heftigen Ausbrüchen ihn gereizt. Be¬
kanntlich pflegen krankhafte Geisteszustände allmälig eine Steigerung zu er¬
dulden; was anfangs klein und gering gewesen, entwickelt sich zu größerem
Umfange und artet zuletzt in Tobsucht und völlig unzurechnungsfähige Hand¬
lungen aus. So war es auch hier weiter gegangen, bis es auf einen Punkt
kam, bei dem man einen Entschluß über die Zukunft des jungen Mannes
überhaupt fassen mußte. Philipp hatte schon seit Jahren die Ueberzeugung
gewonnen, daß der Erbe seines Reiches und seiner Politik nicht dieser schwach¬
sinnige Mensch sein könne; er sprach dies zuletzt unverhohlen aus. Als die
Scenen immer häufiger wurden, in welchen Don Carlos sich an Personen
des Hofes thätlich zu vergreifen suchte, -- eine ganze Reihe derselben ist uns
durch die Berichte und Correspondenzen der Zeit beglaubigt; ein vergebliches
Bemühen ist es, wenn Schmidt sich anstrengt, die einzelnen Berichte umzu¬
modeln oder wegzudeuten, damit kein Anklagematerial gegen Don Carlos
mehr übrig bleibe, -- da endlich wurden Maßregeln gegen ihn berathen.
Anfangs wurde noch durch eine besondere Gesandtschaft Kaiser Max in
Aussicht gestellt, erst mit ihm würde die Sache besprochen werden. Dann ließ
der Minister Ruy Gomez Andeutungen fallen bei dem französischen Gesandten
(Herbst 1667), daß man eine Einsperrung des Prinzen vielleicht demnächst
verfügen würde, daß man aber erst sehen wolle, ob nicht die Königin, deren
Wochenbett bevorstand, dem Lande einen männlichen Erben schenken würde.
Den letzten Entschluß, zur Einsperrung zu greifen, scheint endlich der Plan
des Prinzen von Madrid zu entfliehen und dann noch die heftige Scene
zwischen ihm und Don Juan hervorgerufen zu haben, bei der beinahe Don
Carlos den ihm früher so befreundeten Stiefonkel umgebracht hätte.

Am 18. Januar 1368 wurde Carlos gefangen genommen und im tief¬
sten'Geheimniß jedem Verkehr mit der Außenwelt entzogen. Man hat erzählt,
daß der König die Absicht gehabt, durch eine besondere Commission die be-


Schon in seiner frühesten Jugend hatte man über seinen Jähzorn und
Eigensinn geklagt. Der Heranwachsende hatte nicht recht lernen wollen,
sondern Lehrer und Erzieher große Schwierigkeiten bereitet. Auch der Vater
hatte dann im Jünglinge große Fehler entdeckt, Schwächen und Mängel des
Verstandes, der Urtheilskraft, des Charakters. Bei allen den vielen Krank¬
heiten, die der Arme zu durchleben hatte, war dies immer unheilvoller ge¬
worden, besonders die üblen Eigenschaften seines Charakters traten mehr und
mehr hervor. Man hatte versucht ihn zu bessern; man hatte ihn einmal
vom Hofe entfernt leben lassen, dann aber wieder ihn an den Hof gezogen,
eine gewisse äußere Stellung ihm gemacht und in amtlicher Thätigkeit ihn
beschäftigt. Alles hatte nichts geholfen. Die Aussicht einer Ehe mit einer
Verwandten hatte die Ungeduld des Schwachsinnigen erregt und, da man ihm
nicht schnell zu Willen sein durfte, zu heftigen Ausbrüchen ihn gereizt. Be¬
kanntlich pflegen krankhafte Geisteszustände allmälig eine Steigerung zu er¬
dulden; was anfangs klein und gering gewesen, entwickelt sich zu größerem
Umfange und artet zuletzt in Tobsucht und völlig unzurechnungsfähige Hand¬
lungen aus. So war es auch hier weiter gegangen, bis es auf einen Punkt
kam, bei dem man einen Entschluß über die Zukunft des jungen Mannes
überhaupt fassen mußte. Philipp hatte schon seit Jahren die Ueberzeugung
gewonnen, daß der Erbe seines Reiches und seiner Politik nicht dieser schwach¬
sinnige Mensch sein könne; er sprach dies zuletzt unverhohlen aus. Als die
Scenen immer häufiger wurden, in welchen Don Carlos sich an Personen
des Hofes thätlich zu vergreifen suchte, — eine ganze Reihe derselben ist uns
durch die Berichte und Correspondenzen der Zeit beglaubigt; ein vergebliches
Bemühen ist es, wenn Schmidt sich anstrengt, die einzelnen Berichte umzu¬
modeln oder wegzudeuten, damit kein Anklagematerial gegen Don Carlos
mehr übrig bleibe, — da endlich wurden Maßregeln gegen ihn berathen.
Anfangs wurde noch durch eine besondere Gesandtschaft Kaiser Max in
Aussicht gestellt, erst mit ihm würde die Sache besprochen werden. Dann ließ
der Minister Ruy Gomez Andeutungen fallen bei dem französischen Gesandten
(Herbst 1667), daß man eine Einsperrung des Prinzen vielleicht demnächst
verfügen würde, daß man aber erst sehen wolle, ob nicht die Königin, deren
Wochenbett bevorstand, dem Lande einen männlichen Erben schenken würde.
Den letzten Entschluß, zur Einsperrung zu greifen, scheint endlich der Plan
des Prinzen von Madrid zu entfliehen und dann noch die heftige Scene
zwischen ihm und Don Juan hervorgerufen zu haben, bei der beinahe Don
Carlos den ihm früher so befreundeten Stiefonkel umgebracht hätte.

Am 18. Januar 1368 wurde Carlos gefangen genommen und im tief¬
sten'Geheimniß jedem Verkehr mit der Außenwelt entzogen. Man hat erzählt,
daß der König die Absicht gehabt, durch eine besondere Commission die be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/295>, abgerufen am 27.07.2024.