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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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siegreich ihre Tendenzen durchgesetzt. Wir haben schon an dieser Stelle auf
die weitreichende Wirkung hingewiesen, welche die Verläumdungen des Ora-
niers gegen Philipp gehabt haben. Aus der von diesen Anregungen ausge¬
gangenen Literatur, die also vornehmlich von politischen Tendenzen, mehr
als von romanhaften Liebhabereien ihren Antrieb erhalten, ist diejenige
Version der Carlos-Geschichte entstanden, deren späterhin sich die Dichtkunst
bemächtigt hat. Wer aber sich einmal in dem Dunstkreis jener Vorstellungen
und Erzählungen bewegt hat, der kann sich nachher nur schwer entschließen,
den nüchternen Aussagen diplomatischer Berichte oder amtlicher Erklärungen
Glauben zu schenken und seine Lieblingsmeinungen fahren zu lassen.

Auch der neueste Darsteller des Don Carlos, auch Adolf Schmidt
ist von dem Gefühle politischen und kirchlichen Gegensatzes gegen Philipp II-
von Spanien sehr lebendig erfüllt und bewegt; er läßt keine Gelegenheit vor¬
beigehen, seine Leser von dieser seiner Gesinnung zu unterrichten: ihm ist es
durchaus nicht genehm, daß andere Historiker eine weniger leidenschaftliche
Ausfassung am Platze halten und es ablehnen, das historische Urtheil von den
damaligen Feinden Spaniens sich vorsagen zu lassen. Doch wie auch immer
das Urtheil über König Philipp sich dereinst gestalten mag. nachdem man
ihn kennen zu lernen in der Lage sein wird. -- ich behaupte, daß aus dein
gedruckt vorliegenden Materials eine solche Kenntniß heute nicht möglich ist,
-- wie immer auch dereinst dies sich gestalten mag, ganz sicher wird es nicht
erlaubt sein, bei der Feststellung der Thatsachen dem Urtheile über den König
maßgebenden Einfluß zu gewähren.

Oder sollte sich eine Fälschung der Thatsachen, eine lügenhafte und ten¬
denziöse Verdrehung des Thatbestandes in den uns vorliegenden historischen
Zeugnissen vielleicht dem spanischen Könige selbst nachweisen lassen? Schmidt's
Meinung scheint dies zu sein. Darum handelt es sich also, ob eine solche
Trübung der Ueberlieferung durch den spanischen König sich nachweisen läßt'

Schmidt stellt den Aussagen der Diplomaten und den Erklärung^
des Hofes seine kritische Theorie gegenüber, die ihnen die Glaubwürdig'
keit bestreitet und als Tendenzlügen sie erklärt. Er meint, die ita'
tierischen Depeschen seien nahezu werthlos, weil sie "absichtlich a"s'
gestreute Hofgerüchte melden, die für den unbefangenen Forscher den StemP^
systematischer Verdächtigung des Infanten an der Stirn tragen". Ein?
wesentlich größere Glaubwürdigkeit stehe den französischen Bericht
zur Seite: am glaubwürdigsten aber seien die österreichischen Bericht
gerade aus den vorliegenden Depeschen Dietrichstein's glaubt er ein anders
Charakterbild herauslesen zu können, als dasjenige, das den Ausstreuung^
des Hofes entsprungen. Wir dürfen wohl annehmen, grade die Beobachtung'
daß sich hier und da günstigere Aeußerungen als die üblichen über Don Carlo


siegreich ihre Tendenzen durchgesetzt. Wir haben schon an dieser Stelle auf
die weitreichende Wirkung hingewiesen, welche die Verläumdungen des Ora-
niers gegen Philipp gehabt haben. Aus der von diesen Anregungen ausge¬
gangenen Literatur, die also vornehmlich von politischen Tendenzen, mehr
als von romanhaften Liebhabereien ihren Antrieb erhalten, ist diejenige
Version der Carlos-Geschichte entstanden, deren späterhin sich die Dichtkunst
bemächtigt hat. Wer aber sich einmal in dem Dunstkreis jener Vorstellungen
und Erzählungen bewegt hat, der kann sich nachher nur schwer entschließen,
den nüchternen Aussagen diplomatischer Berichte oder amtlicher Erklärungen
Glauben zu schenken und seine Lieblingsmeinungen fahren zu lassen.

Auch der neueste Darsteller des Don Carlos, auch Adolf Schmidt
ist von dem Gefühle politischen und kirchlichen Gegensatzes gegen Philipp II-
von Spanien sehr lebendig erfüllt und bewegt; er läßt keine Gelegenheit vor¬
beigehen, seine Leser von dieser seiner Gesinnung zu unterrichten: ihm ist es
durchaus nicht genehm, daß andere Historiker eine weniger leidenschaftliche
Ausfassung am Platze halten und es ablehnen, das historische Urtheil von den
damaligen Feinden Spaniens sich vorsagen zu lassen. Doch wie auch immer
das Urtheil über König Philipp sich dereinst gestalten mag. nachdem man
ihn kennen zu lernen in der Lage sein wird. — ich behaupte, daß aus dein
gedruckt vorliegenden Materials eine solche Kenntniß heute nicht möglich ist,
— wie immer auch dereinst dies sich gestalten mag, ganz sicher wird es nicht
erlaubt sein, bei der Feststellung der Thatsachen dem Urtheile über den König
maßgebenden Einfluß zu gewähren.

Oder sollte sich eine Fälschung der Thatsachen, eine lügenhafte und ten¬
denziöse Verdrehung des Thatbestandes in den uns vorliegenden historischen
Zeugnissen vielleicht dem spanischen Könige selbst nachweisen lassen? Schmidt's
Meinung scheint dies zu sein. Darum handelt es sich also, ob eine solche
Trübung der Ueberlieferung durch den spanischen König sich nachweisen läßt'

Schmidt stellt den Aussagen der Diplomaten und den Erklärung^
des Hofes seine kritische Theorie gegenüber, die ihnen die Glaubwürdig'
keit bestreitet und als Tendenzlügen sie erklärt. Er meint, die ita'
tierischen Depeschen seien nahezu werthlos, weil sie „absichtlich a»s'
gestreute Hofgerüchte melden, die für den unbefangenen Forscher den StemP^
systematischer Verdächtigung des Infanten an der Stirn tragen". Ein?
wesentlich größere Glaubwürdigkeit stehe den französischen Bericht
zur Seite: am glaubwürdigsten aber seien die österreichischen Bericht
gerade aus den vorliegenden Depeschen Dietrichstein's glaubt er ein anders
Charakterbild herauslesen zu können, als dasjenige, das den Ausstreuung^
des Hofes entsprungen. Wir dürfen wohl annehmen, grade die Beobachtung'
daß sich hier und da günstigere Aeußerungen als die üblichen über Don Carlo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/286>, abgerufen am 27.07.2024.