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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Bürger in seiner Uniform sich vor der Ableistung des Bürgereides beim Com¬
mandanten der Garde melden und über seine Equipirung und sein Exercitium
sich näher ausweisen mußte. Jetzt kam ein Uebelstand zur Geltung, der bis¬
her klug vermieden war. Jeder konnte sich für diesen kurzen feierlichen Augen¬
blick der Eidleistang als Bürger nunmehr bequem mit der Uniform eines
guten Freundes aushelfen. So kamen merkwürdige Erscheinungen bei diesem
feierlichen Moment zu Tage, da nicht jede Uniform einem Jeden angepaßt
war und mancher Waffenrock zu diesem feierlichen Actus von dünnen und
dicken Freunden gleich gerne angeliehen ward. ,

Eine weitere Folge war denn natürlich, daß bei Exereierübungen nur
ein kleiner Theil der Bürgerwehrmänner in Uniform erschien und daß die
Mehrzahl zu Hause blieb weil ihnen, dem Einen das Käppi, dem Andern
der Waffenrock und dem Dritten vielleicht Beides fehlte.

Von den Exercitien dieser Handvoll Bürgerwehrmänner werden denn
noch heute höchst spaßhafte Geschichten erzählt. Ein Feldweibel, welcher früher
unter dem Militär gedient, hatte die jungen Feuerwehrmänner in dem schwie¬
rigen Exercitium zu unterrichten. Unglücklicher Weise nun litt dieser Feld¬
weibel unaufhörlich an einem fürchterlichen Durst; dabei war es ein zweites
Unglück, daß nicht weit von dem Exercierschuppen eine Schenkwirthschaft lag.
Daher ereignete sich wohl das folgende Manöver. Sobald der Feldweibel
seine jungen Eleven in Reih und Glied aufgestellt hatte, begann er sein
Commando: "Links um! Marsch;" da aber die Schenke zur Rechten lag,
machte das ganze Bataillon auf das Commando des Feldweibels einmüthig
Rechtsum und marschirte spornstreichs, ohne sich halten zu lassen, zur Thür
hinaus, direct in das Schenkhaus hinein. Der alte Feldweibel fuhr natür¬
lich scheltend hinterdrein. Er lamentirte: "Kinnings. Kinnings, bald geht
jo nicht! Wenn de Senator kümmt, sind wi all verlurene Minschen!" Und
wenn dann auf seinen Weheruf das volle schäumende Seidel ihm entgegen¬
duftete, wiederholte er schmerzlich resignirt die Worte: "Kinnings, Kinnings,
wenn he blos nich kümmt." -- Freilich wurden hernach einzelne saumselige,
undankbare Bürgerwehrmänner von ihm in sein Taschenbuch notirt, weil sie
zu diesen Exercitien nicht erschienen waren. Sie wurden in Strafe genommen
und bei wiederholtem Nichterscheinen vor das Gericht geladen. Es begegnete
einem solchen Uebelthäter auch wohl einmal, daß er vom Herrn Senator
befragt wurde: "Haben Sie eine vollständige Bürgergardistenuniform?" wo¬
rauf dann wohl mit der größten Geschwindigkeit von Seiten des besorgten
Feuerwehrmannes ernsthaft versichert wurde: "Die Einzelheiten fehlen, das
Uebrige ist da," was der Herr Senator in der Geschwindigkeit ganz überhört
haben muß-.

Nicht viel besser ging es diesem Corps, wenn zu einem entstehenden


Bürger in seiner Uniform sich vor der Ableistung des Bürgereides beim Com¬
mandanten der Garde melden und über seine Equipirung und sein Exercitium
sich näher ausweisen mußte. Jetzt kam ein Uebelstand zur Geltung, der bis¬
her klug vermieden war. Jeder konnte sich für diesen kurzen feierlichen Augen¬
blick der Eidleistang als Bürger nunmehr bequem mit der Uniform eines
guten Freundes aushelfen. So kamen merkwürdige Erscheinungen bei diesem
feierlichen Moment zu Tage, da nicht jede Uniform einem Jeden angepaßt
war und mancher Waffenrock zu diesem feierlichen Actus von dünnen und
dicken Freunden gleich gerne angeliehen ward. ,

Eine weitere Folge war denn natürlich, daß bei Exereierübungen nur
ein kleiner Theil der Bürgerwehrmänner in Uniform erschien und daß die
Mehrzahl zu Hause blieb weil ihnen, dem Einen das Käppi, dem Andern
der Waffenrock und dem Dritten vielleicht Beides fehlte.

Von den Exercitien dieser Handvoll Bürgerwehrmänner werden denn
noch heute höchst spaßhafte Geschichten erzählt. Ein Feldweibel, welcher früher
unter dem Militär gedient, hatte die jungen Feuerwehrmänner in dem schwie¬
rigen Exercitium zu unterrichten. Unglücklicher Weise nun litt dieser Feld¬
weibel unaufhörlich an einem fürchterlichen Durst; dabei war es ein zweites
Unglück, daß nicht weit von dem Exercierschuppen eine Schenkwirthschaft lag.
Daher ereignete sich wohl das folgende Manöver. Sobald der Feldweibel
seine jungen Eleven in Reih und Glied aufgestellt hatte, begann er sein
Commando: „Links um! Marsch;" da aber die Schenke zur Rechten lag,
machte das ganze Bataillon auf das Commando des Feldweibels einmüthig
Rechtsum und marschirte spornstreichs, ohne sich halten zu lassen, zur Thür
hinaus, direct in das Schenkhaus hinein. Der alte Feldweibel fuhr natür¬
lich scheltend hinterdrein. Er lamentirte: „Kinnings. Kinnings, bald geht
jo nicht! Wenn de Senator kümmt, sind wi all verlurene Minschen!" Und
wenn dann auf seinen Weheruf das volle schäumende Seidel ihm entgegen¬
duftete, wiederholte er schmerzlich resignirt die Worte: „Kinnings, Kinnings,
wenn he blos nich kümmt." — Freilich wurden hernach einzelne saumselige,
undankbare Bürgerwehrmänner von ihm in sein Taschenbuch notirt, weil sie
zu diesen Exercitien nicht erschienen waren. Sie wurden in Strafe genommen
und bei wiederholtem Nichterscheinen vor das Gericht geladen. Es begegnete
einem solchen Uebelthäter auch wohl einmal, daß er vom Herrn Senator
befragt wurde: „Haben Sie eine vollständige Bürgergardistenuniform?" wo¬
rauf dann wohl mit der größten Geschwindigkeit von Seiten des besorgten
Feuerwehrmannes ernsthaft versichert wurde: „Die Einzelheiten fehlen, das
Uebrige ist da," was der Herr Senator in der Geschwindigkeit ganz überhört
haben muß-.

Nicht viel besser ging es diesem Corps, wenn zu einem entstehenden


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[0272] Bürger in seiner Uniform sich vor der Ableistung des Bürgereides beim Com¬ mandanten der Garde melden und über seine Equipirung und sein Exercitium sich näher ausweisen mußte. Jetzt kam ein Uebelstand zur Geltung, der bis¬ her klug vermieden war. Jeder konnte sich für diesen kurzen feierlichen Augen¬ blick der Eidleistang als Bürger nunmehr bequem mit der Uniform eines guten Freundes aushelfen. So kamen merkwürdige Erscheinungen bei diesem feierlichen Moment zu Tage, da nicht jede Uniform einem Jeden angepaßt war und mancher Waffenrock zu diesem feierlichen Actus von dünnen und dicken Freunden gleich gerne angeliehen ward. , Eine weitere Folge war denn natürlich, daß bei Exereierübungen nur ein kleiner Theil der Bürgerwehrmänner in Uniform erschien und daß die Mehrzahl zu Hause blieb weil ihnen, dem Einen das Käppi, dem Andern der Waffenrock und dem Dritten vielleicht Beides fehlte. Von den Exercitien dieser Handvoll Bürgerwehrmänner werden denn noch heute höchst spaßhafte Geschichten erzählt. Ein Feldweibel, welcher früher unter dem Militär gedient, hatte die jungen Feuerwehrmänner in dem schwie¬ rigen Exercitium zu unterrichten. Unglücklicher Weise nun litt dieser Feld¬ weibel unaufhörlich an einem fürchterlichen Durst; dabei war es ein zweites Unglück, daß nicht weit von dem Exercierschuppen eine Schenkwirthschaft lag. Daher ereignete sich wohl das folgende Manöver. Sobald der Feldweibel seine jungen Eleven in Reih und Glied aufgestellt hatte, begann er sein Commando: „Links um! Marsch;" da aber die Schenke zur Rechten lag, machte das ganze Bataillon auf das Commando des Feldweibels einmüthig Rechtsum und marschirte spornstreichs, ohne sich halten zu lassen, zur Thür hinaus, direct in das Schenkhaus hinein. Der alte Feldweibel fuhr natür¬ lich scheltend hinterdrein. Er lamentirte: „Kinnings. Kinnings, bald geht jo nicht! Wenn de Senator kümmt, sind wi all verlurene Minschen!" Und wenn dann auf seinen Weheruf das volle schäumende Seidel ihm entgegen¬ duftete, wiederholte er schmerzlich resignirt die Worte: „Kinnings, Kinnings, wenn he blos nich kümmt." — Freilich wurden hernach einzelne saumselige, undankbare Bürgerwehrmänner von ihm in sein Taschenbuch notirt, weil sie zu diesen Exercitien nicht erschienen waren. Sie wurden in Strafe genommen und bei wiederholtem Nichterscheinen vor das Gericht geladen. Es begegnete einem solchen Uebelthäter auch wohl einmal, daß er vom Herrn Senator befragt wurde: „Haben Sie eine vollständige Bürgergardistenuniform?" wo¬ rauf dann wohl mit der größten Geschwindigkeit von Seiten des besorgten Feuerwehrmannes ernsthaft versichert wurde: „Die Einzelheiten fehlen, das Uebrige ist da," was der Herr Senator in der Geschwindigkeit ganz überhört haben muß-. Nicht viel besser ging es diesem Corps, wenn zu einem entstehenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/272>, abgerufen am 29.12.2024.