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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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nicht bestimmen könnte. Neben dieser förmlichen Erklärung gab aber Philipp's
leitender Minister, der Herzog von Alba, dem Gesandten mündliche Auf¬
schlüsse, die als sehr vertrauliche und sehr geheime behandelt werden sollten:
danach war Philipp im Principe wohl einverstanden mit der Verlobung zwischen
Carlos und Anna, aber jetzt hielt er es für unmöglich, sich zu entscheiden;
als Grund dafür bezeichnete er "den Mangel an Gesundheit, verbunden mit
den Mängeln in der Persönlichkeit des Prinzen, ebensowohl in Urtheilskraft
und Charakter als im Verstände, der weit zurückgeblieben sei hinter dem, was
man in seinem Alter zu erwarten pflege"*); und Alba fügte hinzu, Philipp
wünsche, weil er an seinem Sohne verzweifelt -- äeseonüaäv ac su lujo --,
grade die Gegenwart seiner Neffen in Spanien; so würde man die Zeit ge¬
winnen, um zu erfahren, ob nicht mit Besserung der Gesundheit auch das
andere sich bessern werde: dann könne man endgültigen Beschluß über die
Verlobung u. s. w. fassen.

Diese wichtige Eröffnung des spanischen Königs, die ich erst vor Kurzem
aus dem Wiener Archive enthoben, giebt uns nach meinem Ermessen den
Schlüssel zu allen Unklarheiten und Räthseln. Sie berührt augenscheinlich
dieselben Dinge, die einst Honorato Juan 1S58 schon dem Vater gemeldet:
seitdem hatte Philipp zwei und ein halbes Jahr selbst seinen Sohn beobachtet
und diesen traurigen Eindruck von ihm gewonnen. Begreiflich finden wir es,
daß man noch immer an die Hoffnung sich festklammerte, eine Wendung sei
möglich, begreiflich, daß man deshalb dem Prinzen Gelegenheit gab, sich in
eigener Thätigkeit zu üben und zu erproben (sogar in den Staatsrath ließ
man ihn eintreten und behandelte ihn, den äußerlichen Formen nach, durch¬
aus nicht in ungewöhnlicher Weise) -- begreiflich freilich, daß man ihn nicht
in selbständigen Aemtern beschäftigte, sondern ihn unter den Augen und unter
Aufsicht behielt, begreiflich aber auch, daß man dies traurige Mißgeschick des
Herrscherhauses nicht vor der Welt paradirte. sondern, wenn man es gar nicht
umgehen konnte sich darüber zu äußern, dann mit geheimnißvollen Andeu¬
tungen sich begnügte. Wir dürfen zur Erklärung dieser Geheimnißthuerei
wohl daran erinnern, wie zart und wie scheu einst die Habsburgische Familie
einen andern ähnlichen Fall, die Geisteskrankheit der Königin Johanna, schon
behandelt hatte: es galt damals gewissermaßen für eine Schmach, für ein
möglichst sorgfältig zu verdeckendes Unglück, eine Wahnsinnige oder einen
Schwachsinnigen in seiner Familie zu haben! Aus keinem andern Grunde ver'
mied man es, sich über diese Sache offen zu erklären.

Allerdings, das Geheimniß ließ sich nicht vollständig bewahren. Es



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nicht bestimmen könnte. Neben dieser förmlichen Erklärung gab aber Philipp's
leitender Minister, der Herzog von Alba, dem Gesandten mündliche Auf¬
schlüsse, die als sehr vertrauliche und sehr geheime behandelt werden sollten:
danach war Philipp im Principe wohl einverstanden mit der Verlobung zwischen
Carlos und Anna, aber jetzt hielt er es für unmöglich, sich zu entscheiden;
als Grund dafür bezeichnete er „den Mangel an Gesundheit, verbunden mit
den Mängeln in der Persönlichkeit des Prinzen, ebensowohl in Urtheilskraft
und Charakter als im Verstände, der weit zurückgeblieben sei hinter dem, was
man in seinem Alter zu erwarten pflege"*); und Alba fügte hinzu, Philipp
wünsche, weil er an seinem Sohne verzweifelt — äeseonüaäv ac su lujo —,
grade die Gegenwart seiner Neffen in Spanien; so würde man die Zeit ge¬
winnen, um zu erfahren, ob nicht mit Besserung der Gesundheit auch das
andere sich bessern werde: dann könne man endgültigen Beschluß über die
Verlobung u. s. w. fassen.

Diese wichtige Eröffnung des spanischen Königs, die ich erst vor Kurzem
aus dem Wiener Archive enthoben, giebt uns nach meinem Ermessen den
Schlüssel zu allen Unklarheiten und Räthseln. Sie berührt augenscheinlich
dieselben Dinge, die einst Honorato Juan 1S58 schon dem Vater gemeldet:
seitdem hatte Philipp zwei und ein halbes Jahr selbst seinen Sohn beobachtet
und diesen traurigen Eindruck von ihm gewonnen. Begreiflich finden wir es,
daß man noch immer an die Hoffnung sich festklammerte, eine Wendung sei
möglich, begreiflich, daß man deshalb dem Prinzen Gelegenheit gab, sich in
eigener Thätigkeit zu üben und zu erproben (sogar in den Staatsrath ließ
man ihn eintreten und behandelte ihn, den äußerlichen Formen nach, durch¬
aus nicht in ungewöhnlicher Weise) — begreiflich freilich, daß man ihn nicht
in selbständigen Aemtern beschäftigte, sondern ihn unter den Augen und unter
Aufsicht behielt, begreiflich aber auch, daß man dies traurige Mißgeschick des
Herrscherhauses nicht vor der Welt paradirte. sondern, wenn man es gar nicht
umgehen konnte sich darüber zu äußern, dann mit geheimnißvollen Andeu¬
tungen sich begnügte. Wir dürfen zur Erklärung dieser Geheimnißthuerei
wohl daran erinnern, wie zart und wie scheu einst die Habsburgische Familie
einen andern ähnlichen Fall, die Geisteskrankheit der Königin Johanna, schon
behandelt hatte: es galt damals gewissermaßen für eine Schmach, für ein
möglichst sorgfältig zu verdeckendes Unglück, eine Wahnsinnige oder einen
Schwachsinnigen in seiner Familie zu haben! Aus keinem andern Grunde ver'
mied man es, sich über diese Sache offen zu erklären.

Allerdings, das Geheimniß ließ sich nicht vollständig bewahren. Es



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/258>, abgerufen am 28.12.2024.