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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Ausnahmezustand vor sich hat. Graf Arnim weigert sich, eine amtliche
Aeußerung abzugeben, weil er nicht mehr Beamter sei. Als ob ein zur
Disposition gestellter und ein aus dem Staatsdienst entlassener Beamter
nicht gerade darin unterschieden wären, daß der erstere jeden Augenblick zu
amtlichen Dienstleistungen berufen werden kann und folglich den allgemeinen
Verpflichtungen des Staatsdieners zu genügen hat. Aber selbst der entlassene
Staatsdiener ist durch seinen Diensteid verpflichtet, hinsichtlich seiner ehe¬
maligen Amtsführung jede erforderliche Auskunft zu geben. Unter sophi¬
stischer Berufung auf das Reichsbeamtengesetz behauptet der Graf, zur Dis¬
position des Kaisers, nicht aber zu der seiner ehemaligen Oberbehörden zu
stehn. Als ob der Kaiser durch ein anderes Organ, als das der Oberbe-
Horden, mit einzelnen Beamten in Verkehr trete, als ob der Kaiser bei der
Verfügung über einzelne Beamte etwas anderes, als die Vorschläge und Be¬
dürfnisse der Oberbehörden zur Richtschnur nähme! -- Sodann sucht der
Graf einen Unterschied aufzustellen zwischen dem Entnehmen von Aktenstücken
und dem Vorenthalten derselben dadurch, daß man sie nicht am gehörigen
Dree niederlegt: ein Unterschied, der allzu fein ist. Was aber jeden Leser
dieses Schriftwechsels, der die altpreußischen Traditionen liebt und ehrt,
Hören und Sehen vergehen machen muH, ist die Behauptung des Grafen,
daß er nicht verantwortlich sei für die Lücken, die sich nach seinem Abgang
im Archiv der ihm unterstellten Botschaft gefunden haben könnten, selbst
dann nicht, wenn sie während seiner Amtsführung entstanden wären. Man
kreuzige sich und fragt sich: ist das der preußische Beamtenstand, wo so ca-
valierement, zu deutsch: so lüderlich von der Behandlung der Staatsdocu-
Mente gesprochen wird? Das Erstaunen mehrt sich bei den Auslassungen des
trafen über die einzelnen Nummern der fehlenden Aktenstücke. Da heißt es einmal
^M das andere: "sollte eigentlich bei meinen persönlichen Akten sein, ist aber
U'ehe dabei." Der Herr Botschafter z. B. fertigt die Behörde, die er nicht
^ehr als vorgesetzte anerkennen will, mit dem Bescheid ab: "gehört Euch
"lebt und Ihr könnt es auch nicht kriegen." Ein kurzes und leichtes Ver¬
ehrer ohne Zweifel, das demokratische Sympathien verdient, bei dem aber
Staat möglich ist. Das Merkwürdigste jedoch kommt noch. Eine Reihe
Erlassen, zehn an der Zahl, behandeln die Amtsführung des Botschafters,
^gen welche die Erlasse Censuren verhängen und Anklagen aussprechen,
^lese Erlasse erklärt der Graf für sein Privateigenthum, weil sie seine Amrs-
l^hrung betreffen. Auf diese Weise würden allerdings die interessantesten
Aktenstücke sämmtlicher Gesandtschaftsarchive Eigenthum der zeitweiligen Chefs,
^r, Graf erläutert diesen seltsamen Anspruch durch die Behauptung, daß er
^ seiner Vertheidigung der Anklagedoeumente bedürfe.

Hier fällt plötzlich ein scharfes Licht auf das nach dem bisherigen auße-


Ausnahmezustand vor sich hat. Graf Arnim weigert sich, eine amtliche
Aeußerung abzugeben, weil er nicht mehr Beamter sei. Als ob ein zur
Disposition gestellter und ein aus dem Staatsdienst entlassener Beamter
nicht gerade darin unterschieden wären, daß der erstere jeden Augenblick zu
amtlichen Dienstleistungen berufen werden kann und folglich den allgemeinen
Verpflichtungen des Staatsdieners zu genügen hat. Aber selbst der entlassene
Staatsdiener ist durch seinen Diensteid verpflichtet, hinsichtlich seiner ehe¬
maligen Amtsführung jede erforderliche Auskunft zu geben. Unter sophi¬
stischer Berufung auf das Reichsbeamtengesetz behauptet der Graf, zur Dis¬
position des Kaisers, nicht aber zu der seiner ehemaligen Oberbehörden zu
stehn. Als ob der Kaiser durch ein anderes Organ, als das der Oberbe-
Horden, mit einzelnen Beamten in Verkehr trete, als ob der Kaiser bei der
Verfügung über einzelne Beamte etwas anderes, als die Vorschläge und Be¬
dürfnisse der Oberbehörden zur Richtschnur nähme! — Sodann sucht der
Graf einen Unterschied aufzustellen zwischen dem Entnehmen von Aktenstücken
und dem Vorenthalten derselben dadurch, daß man sie nicht am gehörigen
Dree niederlegt: ein Unterschied, der allzu fein ist. Was aber jeden Leser
dieses Schriftwechsels, der die altpreußischen Traditionen liebt und ehrt,
Hören und Sehen vergehen machen muH, ist die Behauptung des Grafen,
daß er nicht verantwortlich sei für die Lücken, die sich nach seinem Abgang
im Archiv der ihm unterstellten Botschaft gefunden haben könnten, selbst
dann nicht, wenn sie während seiner Amtsführung entstanden wären. Man
kreuzige sich und fragt sich: ist das der preußische Beamtenstand, wo so ca-
valierement, zu deutsch: so lüderlich von der Behandlung der Staatsdocu-
Mente gesprochen wird? Das Erstaunen mehrt sich bei den Auslassungen des
trafen über die einzelnen Nummern der fehlenden Aktenstücke. Da heißt es einmal
^M das andere: „sollte eigentlich bei meinen persönlichen Akten sein, ist aber
U'ehe dabei." Der Herr Botschafter z. B. fertigt die Behörde, die er nicht
^ehr als vorgesetzte anerkennen will, mit dem Bescheid ab: „gehört Euch
"lebt und Ihr könnt es auch nicht kriegen." Ein kurzes und leichtes Ver¬
ehrer ohne Zweifel, das demokratische Sympathien verdient, bei dem aber
Staat möglich ist. Das Merkwürdigste jedoch kommt noch. Eine Reihe
Erlassen, zehn an der Zahl, behandeln die Amtsführung des Botschafters,
^gen welche die Erlasse Censuren verhängen und Anklagen aussprechen,
^lese Erlasse erklärt der Graf für sein Privateigenthum, weil sie seine Amrs-
l^hrung betreffen. Auf diese Weise würden allerdings die interessantesten
Aktenstücke sämmtlicher Gesandtschaftsarchive Eigenthum der zeitweiligen Chefs,
^r, Graf erläutert diesen seltsamen Anspruch durch die Behauptung, daß er
^ seiner Vertheidigung der Anklagedoeumente bedürfe.

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[0243] Ausnahmezustand vor sich hat. Graf Arnim weigert sich, eine amtliche Aeußerung abzugeben, weil er nicht mehr Beamter sei. Als ob ein zur Disposition gestellter und ein aus dem Staatsdienst entlassener Beamter nicht gerade darin unterschieden wären, daß der erstere jeden Augenblick zu amtlichen Dienstleistungen berufen werden kann und folglich den allgemeinen Verpflichtungen des Staatsdieners zu genügen hat. Aber selbst der entlassene Staatsdiener ist durch seinen Diensteid verpflichtet, hinsichtlich seiner ehe¬ maligen Amtsführung jede erforderliche Auskunft zu geben. Unter sophi¬ stischer Berufung auf das Reichsbeamtengesetz behauptet der Graf, zur Dis¬ position des Kaisers, nicht aber zu der seiner ehemaligen Oberbehörden zu stehn. Als ob der Kaiser durch ein anderes Organ, als das der Oberbe- Horden, mit einzelnen Beamten in Verkehr trete, als ob der Kaiser bei der Verfügung über einzelne Beamte etwas anderes, als die Vorschläge und Be¬ dürfnisse der Oberbehörden zur Richtschnur nähme! — Sodann sucht der Graf einen Unterschied aufzustellen zwischen dem Entnehmen von Aktenstücken und dem Vorenthalten derselben dadurch, daß man sie nicht am gehörigen Dree niederlegt: ein Unterschied, der allzu fein ist. Was aber jeden Leser dieses Schriftwechsels, der die altpreußischen Traditionen liebt und ehrt, Hören und Sehen vergehen machen muH, ist die Behauptung des Grafen, daß er nicht verantwortlich sei für die Lücken, die sich nach seinem Abgang im Archiv der ihm unterstellten Botschaft gefunden haben könnten, selbst dann nicht, wenn sie während seiner Amtsführung entstanden wären. Man kreuzige sich und fragt sich: ist das der preußische Beamtenstand, wo so ca- valierement, zu deutsch: so lüderlich von der Behandlung der Staatsdocu- Mente gesprochen wird? Das Erstaunen mehrt sich bei den Auslassungen des trafen über die einzelnen Nummern der fehlenden Aktenstücke. Da heißt es einmal ^M das andere: „sollte eigentlich bei meinen persönlichen Akten sein, ist aber U'ehe dabei." Der Herr Botschafter z. B. fertigt die Behörde, die er nicht ^ehr als vorgesetzte anerkennen will, mit dem Bescheid ab: „gehört Euch "lebt und Ihr könnt es auch nicht kriegen." Ein kurzes und leichtes Ver¬ ehrer ohne Zweifel, das demokratische Sympathien verdient, bei dem aber Staat möglich ist. Das Merkwürdigste jedoch kommt noch. Eine Reihe Erlassen, zehn an der Zahl, behandeln die Amtsführung des Botschafters, ^gen welche die Erlasse Censuren verhängen und Anklagen aussprechen, ^lese Erlasse erklärt der Graf für sein Privateigenthum, weil sie seine Amrs- l^hrung betreffen. Auf diese Weise würden allerdings die interessantesten Aktenstücke sämmtlicher Gesandtschaftsarchive Eigenthum der zeitweiligen Chefs, ^r, Graf erläutert diesen seltsamen Anspruch durch die Behauptung, daß er ^ seiner Vertheidigung der Anklagedoeumente bedürfe. Hier fällt plötzlich ein scharfes Licht auf das nach dem bisherigen auße-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/243>, abgerufen am 27.07.2024.