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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Stellung. Die Schlacht ist geschlagen, über das weite Gefilde hat sich die
Nacht gebreitet; im Hintergrunde lodert die Flamme der zerstörten Bergfeste.
Da sausen die Töchter Odins auf weißen, feuerschnaubenden Rossen durch die
Lüfte daher, die gefallenen Krieger, deren Leiber am Boden liegen, nach Wal¬
halla zu laden. Es liegt etwas Grauenerregendes und doch zugleich ungemein
Fesselndes in dem Bilde. Im Stoffe mit ihm verwandt, in der Ausführung
aber weit verschieden ist die "Rückkehr aus Walhall" von Büret in Dresden.
Hier fällt der Hauvtaccent auf eine schlanke Jungfrauengestalt, die auf einem
Kahn in der Bucht eines Sees bei stiller Mondnacht den Geliebten aus Wal¬
halla zurückerwartet; das in den Wolken erscheinende Reiterbild ist nur müh¬
sam zu erkennen. Von dem specifisch deutschen Sagenkreise angehörenden
Darstellungen ist Knille's "Tannhäuser" wegen seiner coloristischen Wirksam¬
keit hervorzuheben. Das Bild zeigt den Moment, da der Ritter sich aus den
Banden der Venus losreißt. Am besten ist dem Künstler, in Haltung und
Ausdruck, die Venus gelungen. -- Auch der antiken Mythologie waren ver¬
schiedene Stoffe entlehnt. Lindenschmit in München hat ein Bild "Venus und
Adonis" gemalt, eine Nachahmung der Venetianer des 17. Jahrhunderts.
Leider kann es nicht als einer der glücklichsten Würfe des geschätzten Künstlers
betrachtet werden. Eine "Dryade" von Schauß in Weimar ist vortrefflich
gemalt, nur bleibt er uns die Aufklärung des Geheimnisses schuldig, warum
ein beliebiges schönes Weib unserer Tage, wenn es sich nackt in den grünen
Wald legt, eine Dryade wird. Ueberhaupt ist es auffallend, wie ängstlich
unsere Maler für ihre Nuditäten nach einem Vorwand suchen. Auch Hilde¬
brand hat es so mit einem viel bewunderten Bilde gemacht. Er nannte es
"Am Meeresstrande"; es hatte aber weiter keinen Zweck, als uns eine nackte
Frauengestalt zu zeigen. Der menschliche Körper ist das vollendetste Kunst¬
werk der Schöpfung. Warum soll sich da der Künstler geniren, wenn er ihn
eben als das vollendetste Kunstwerk darstellt?

Vom Gebiete der das menschliche Leben wiederspiegelnden Kunst bleibt
noch die religiöse Malerei zu erwähnen. Sie war schwach vertreten. Einige
Bilder aus dem Leben Christi von Plockhorst gehören nicht zu den bedeu¬
tendsten Leistungen dieses Künstlers. Fesselnd durch seine Eigenart ist eine
"Kreuzigung" v. E. v. Gebhardt in Düsseldorf. Gebhardt hat mit der Tra¬
dition vollkommen gebrochen, er will die Gestalten der heiligen Geschichte als
gewöhnliche Menschen darstellen. Vom Standpunkte der Wahrheit und Na¬
türlichkeit ist dagegen nichts einzuwenden; aber es fragt sich doch, ob "reli¬
giöse" Malerei und strenger Naturalismus nicht einander widersprechende Be¬
griffe sind. Die sehr realistische Scene, welche das genannte Bild uns vor¬
führt, ist genial concivirt. aber wir erhalten den Eindruck einer gräßlichen
Hinrichtung, durchaus nicht den des "Versöhnungstodes am Kreuze."---


Stellung. Die Schlacht ist geschlagen, über das weite Gefilde hat sich die
Nacht gebreitet; im Hintergrunde lodert die Flamme der zerstörten Bergfeste.
Da sausen die Töchter Odins auf weißen, feuerschnaubenden Rossen durch die
Lüfte daher, die gefallenen Krieger, deren Leiber am Boden liegen, nach Wal¬
halla zu laden. Es liegt etwas Grauenerregendes und doch zugleich ungemein
Fesselndes in dem Bilde. Im Stoffe mit ihm verwandt, in der Ausführung
aber weit verschieden ist die „Rückkehr aus Walhall" von Büret in Dresden.
Hier fällt der Hauvtaccent auf eine schlanke Jungfrauengestalt, die auf einem
Kahn in der Bucht eines Sees bei stiller Mondnacht den Geliebten aus Wal¬
halla zurückerwartet; das in den Wolken erscheinende Reiterbild ist nur müh¬
sam zu erkennen. Von dem specifisch deutschen Sagenkreise angehörenden
Darstellungen ist Knille's „Tannhäuser" wegen seiner coloristischen Wirksam¬
keit hervorzuheben. Das Bild zeigt den Moment, da der Ritter sich aus den
Banden der Venus losreißt. Am besten ist dem Künstler, in Haltung und
Ausdruck, die Venus gelungen. — Auch der antiken Mythologie waren ver¬
schiedene Stoffe entlehnt. Lindenschmit in München hat ein Bild „Venus und
Adonis" gemalt, eine Nachahmung der Venetianer des 17. Jahrhunderts.
Leider kann es nicht als einer der glücklichsten Würfe des geschätzten Künstlers
betrachtet werden. Eine „Dryade" von Schauß in Weimar ist vortrefflich
gemalt, nur bleibt er uns die Aufklärung des Geheimnisses schuldig, warum
ein beliebiges schönes Weib unserer Tage, wenn es sich nackt in den grünen
Wald legt, eine Dryade wird. Ueberhaupt ist es auffallend, wie ängstlich
unsere Maler für ihre Nuditäten nach einem Vorwand suchen. Auch Hilde¬
brand hat es so mit einem viel bewunderten Bilde gemacht. Er nannte es
»Am Meeresstrande"; es hatte aber weiter keinen Zweck, als uns eine nackte
Frauengestalt zu zeigen. Der menschliche Körper ist das vollendetste Kunst¬
werk der Schöpfung. Warum soll sich da der Künstler geniren, wenn er ihn
eben als das vollendetste Kunstwerk darstellt?

Vom Gebiete der das menschliche Leben wiederspiegelnden Kunst bleibt
noch die religiöse Malerei zu erwähnen. Sie war schwach vertreten. Einige
Bilder aus dem Leben Christi von Plockhorst gehören nicht zu den bedeu¬
tendsten Leistungen dieses Künstlers. Fesselnd durch seine Eigenart ist eine
»Kreuzigung" v. E. v. Gebhardt in Düsseldorf. Gebhardt hat mit der Tra¬
dition vollkommen gebrochen, er will die Gestalten der heiligen Geschichte als
gewöhnliche Menschen darstellen. Vom Standpunkte der Wahrheit und Na¬
türlichkeit ist dagegen nichts einzuwenden; aber es fragt sich doch, ob „reli¬
giöse" Malerei und strenger Naturalismus nicht einander widersprechende Be¬
griffe sind. Die sehr realistische Scene, welche das genannte Bild uns vor¬
führt, ist genial concivirt. aber wir erhalten den Eindruck einer gräßlichen
Hinrichtung, durchaus nicht den des „Versöhnungstodes am Kreuze."---


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[0239] Stellung. Die Schlacht ist geschlagen, über das weite Gefilde hat sich die Nacht gebreitet; im Hintergrunde lodert die Flamme der zerstörten Bergfeste. Da sausen die Töchter Odins auf weißen, feuerschnaubenden Rossen durch die Lüfte daher, die gefallenen Krieger, deren Leiber am Boden liegen, nach Wal¬ halla zu laden. Es liegt etwas Grauenerregendes und doch zugleich ungemein Fesselndes in dem Bilde. Im Stoffe mit ihm verwandt, in der Ausführung aber weit verschieden ist die „Rückkehr aus Walhall" von Büret in Dresden. Hier fällt der Hauvtaccent auf eine schlanke Jungfrauengestalt, die auf einem Kahn in der Bucht eines Sees bei stiller Mondnacht den Geliebten aus Wal¬ halla zurückerwartet; das in den Wolken erscheinende Reiterbild ist nur müh¬ sam zu erkennen. Von dem specifisch deutschen Sagenkreise angehörenden Darstellungen ist Knille's „Tannhäuser" wegen seiner coloristischen Wirksam¬ keit hervorzuheben. Das Bild zeigt den Moment, da der Ritter sich aus den Banden der Venus losreißt. Am besten ist dem Künstler, in Haltung und Ausdruck, die Venus gelungen. — Auch der antiken Mythologie waren ver¬ schiedene Stoffe entlehnt. Lindenschmit in München hat ein Bild „Venus und Adonis" gemalt, eine Nachahmung der Venetianer des 17. Jahrhunderts. Leider kann es nicht als einer der glücklichsten Würfe des geschätzten Künstlers betrachtet werden. Eine „Dryade" von Schauß in Weimar ist vortrefflich gemalt, nur bleibt er uns die Aufklärung des Geheimnisses schuldig, warum ein beliebiges schönes Weib unserer Tage, wenn es sich nackt in den grünen Wald legt, eine Dryade wird. Ueberhaupt ist es auffallend, wie ängstlich unsere Maler für ihre Nuditäten nach einem Vorwand suchen. Auch Hilde¬ brand hat es so mit einem viel bewunderten Bilde gemacht. Er nannte es »Am Meeresstrande"; es hatte aber weiter keinen Zweck, als uns eine nackte Frauengestalt zu zeigen. Der menschliche Körper ist das vollendetste Kunst¬ werk der Schöpfung. Warum soll sich da der Künstler geniren, wenn er ihn eben als das vollendetste Kunstwerk darstellt? Vom Gebiete der das menschliche Leben wiederspiegelnden Kunst bleibt noch die religiöse Malerei zu erwähnen. Sie war schwach vertreten. Einige Bilder aus dem Leben Christi von Plockhorst gehören nicht zu den bedeu¬ tendsten Leistungen dieses Künstlers. Fesselnd durch seine Eigenart ist eine »Kreuzigung" v. E. v. Gebhardt in Düsseldorf. Gebhardt hat mit der Tra¬ dition vollkommen gebrochen, er will die Gestalten der heiligen Geschichte als gewöhnliche Menschen darstellen. Vom Standpunkte der Wahrheit und Na¬ türlichkeit ist dagegen nichts einzuwenden; aber es fragt sich doch, ob „reli¬ giöse" Malerei und strenger Naturalismus nicht einander widersprechende Be¬ griffe sind. Die sehr realistische Scene, welche das genannte Bild uns vor¬ führt, ist genial concivirt. aber wir erhalten den Eindruck einer gräßlichen Hinrichtung, durchaus nicht den des „Versöhnungstodes am Kreuze."---

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/239>, abgerufen am 29.12.2024.