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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Locomotivpfeifen, also zu Ende die Waldstille, wieder Welttreiben in der
Nähe: Calmbach und in einer halben Stunde Wild b ad. Die Saison neigte
sich zu Ende, sonst hätte uns wohl das äußerst comfortable Hotel Frey nicht
eines seiner schönsten Beletage-Zimmer eingeräumt. Weit ging der Blick aus
dessen Fenstern nicht, nur über den Kurplatz, dann aber hemmten ihn schon
die Berge. Bekanntlich hängen diese förmlich über Wildbad herein. Das
mag manchem, der zur Kur hierhergekommen, anfangs düster erscheinen, aber
bald gewinnt er diese Enge, dieses In- und Beieinander von Fels, Wald
und Fluß lieb. Von letzterm steigt er auf in den tiefdunklen Tannenhain
und vom Granublock, der aus uralter Zeit daliegt, schaut er wieder zur
lautrauschenden Enz hernieder. Beschränkt sind allerdings auch die Spazier¬
wege Wildbads, wenigstens die im Thale, in welchem ja das Städtchen
eigentlich nur Eine Hauptstraße ausfindig machen konnte, und aufwärts kann
nicht jeder der Gäste klimmen, denn das. wofür gerade jene wunderbaren
Thermen so heilkräftig sind, ist eben bei den Meisten des Bergsteigens Wider¬
spiel. Behaglicher, reinlicher, wir möchten sagen schon dem äußern Ansehen
nach so dem Kurzweck dienend, als wie die zu Wildbad, haben wir noch keine
Bäder eingerichtet gefunden. Auch für den Gesunden ist's eine wahre Wollust,
in diese Bassins niederzusteigen, wo die Quelle unmittelbar aus dem feinen,
weißen Sand treibt und sich das warme Wasser so wohlig wie ein weiches
Gewand um den Körper legt.

Wir meinten, auch uns hätte es alle Müdigkeit der vergangenen und
abschlagsweise auch der kommenden Tage weggenommen, als wir den gestern
gemachten Weg wenigstens theilweise zurückgingen um bei Calw das Ende der
gemischten Reise d. h. der aus Eisenbahnfahrt und Fußwanderung gemischten,
zu erreichen und uns fortan nur noch der erstern zu überlassen. Für letztere
aber machten wir in Hirsau den letzten Halt.

Es giebt genug Klosterruinen in der Welt, aber einzelne von ihnen haben
ganz besondern architektonischen und landschaftlichen Reiz vor den andern
voraus. Zu diesen gehören Paulinzelle auf der grünen Waldwiese im Thüringer¬
land. Dann, am Fuße der rheinbespülten Siebenberge, Allerheiligen im Schwarz¬
walddunkel. Dazu gehört auch Hirsau im stillen Nagoldthale.

Es war einst der geistig anregendsten Klöster eins im ganzen deutschen
Lande. Ein Bürgermeister des benachbarten Calw erkühnte sich, einen Strich
durch einen Contributions-Brief des Pfalzverwüsters Melac zu machen; die
Brandfackel flog dafür in die herrlichen Gebäude. Was von diesen heut
noch da ist. sind Trümmer; aber nicht die Franzosen allein haben diese auf
dem Gewissen; auch die Würtenberger Beamten haben sie vernichten helfen.
Eine noch ganz unversehrte Kapelle wurde als Baumaterial abgebrochen,
Gräber wurden geöffnet, die Denksteine zerschlagen und umhergeworfen. Jetzt


Locomotivpfeifen, also zu Ende die Waldstille, wieder Welttreiben in der
Nähe: Calmbach und in einer halben Stunde Wild b ad. Die Saison neigte
sich zu Ende, sonst hätte uns wohl das äußerst comfortable Hotel Frey nicht
eines seiner schönsten Beletage-Zimmer eingeräumt. Weit ging der Blick aus
dessen Fenstern nicht, nur über den Kurplatz, dann aber hemmten ihn schon
die Berge. Bekanntlich hängen diese förmlich über Wildbad herein. Das
mag manchem, der zur Kur hierhergekommen, anfangs düster erscheinen, aber
bald gewinnt er diese Enge, dieses In- und Beieinander von Fels, Wald
und Fluß lieb. Von letzterm steigt er auf in den tiefdunklen Tannenhain
und vom Granublock, der aus uralter Zeit daliegt, schaut er wieder zur
lautrauschenden Enz hernieder. Beschränkt sind allerdings auch die Spazier¬
wege Wildbads, wenigstens die im Thale, in welchem ja das Städtchen
eigentlich nur Eine Hauptstraße ausfindig machen konnte, und aufwärts kann
nicht jeder der Gäste klimmen, denn das. wofür gerade jene wunderbaren
Thermen so heilkräftig sind, ist eben bei den Meisten des Bergsteigens Wider¬
spiel. Behaglicher, reinlicher, wir möchten sagen schon dem äußern Ansehen
nach so dem Kurzweck dienend, als wie die zu Wildbad, haben wir noch keine
Bäder eingerichtet gefunden. Auch für den Gesunden ist's eine wahre Wollust,
in diese Bassins niederzusteigen, wo die Quelle unmittelbar aus dem feinen,
weißen Sand treibt und sich das warme Wasser so wohlig wie ein weiches
Gewand um den Körper legt.

Wir meinten, auch uns hätte es alle Müdigkeit der vergangenen und
abschlagsweise auch der kommenden Tage weggenommen, als wir den gestern
gemachten Weg wenigstens theilweise zurückgingen um bei Calw das Ende der
gemischten Reise d. h. der aus Eisenbahnfahrt und Fußwanderung gemischten,
zu erreichen und uns fortan nur noch der erstern zu überlassen. Für letztere
aber machten wir in Hirsau den letzten Halt.

Es giebt genug Klosterruinen in der Welt, aber einzelne von ihnen haben
ganz besondern architektonischen und landschaftlichen Reiz vor den andern
voraus. Zu diesen gehören Paulinzelle auf der grünen Waldwiese im Thüringer¬
land. Dann, am Fuße der rheinbespülten Siebenberge, Allerheiligen im Schwarz¬
walddunkel. Dazu gehört auch Hirsau im stillen Nagoldthale.

Es war einst der geistig anregendsten Klöster eins im ganzen deutschen
Lande. Ein Bürgermeister des benachbarten Calw erkühnte sich, einen Strich
durch einen Contributions-Brief des Pfalzverwüsters Melac zu machen; die
Brandfackel flog dafür in die herrlichen Gebäude. Was von diesen heut
noch da ist. sind Trümmer; aber nicht die Franzosen allein haben diese auf
dem Gewissen; auch die Würtenberger Beamten haben sie vernichten helfen.
Eine noch ganz unversehrte Kapelle wurde als Baumaterial abgebrochen,
Gräber wurden geöffnet, die Denksteine zerschlagen und umhergeworfen. Jetzt


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[0232] Locomotivpfeifen, also zu Ende die Waldstille, wieder Welttreiben in der Nähe: Calmbach und in einer halben Stunde Wild b ad. Die Saison neigte sich zu Ende, sonst hätte uns wohl das äußerst comfortable Hotel Frey nicht eines seiner schönsten Beletage-Zimmer eingeräumt. Weit ging der Blick aus dessen Fenstern nicht, nur über den Kurplatz, dann aber hemmten ihn schon die Berge. Bekanntlich hängen diese förmlich über Wildbad herein. Das mag manchem, der zur Kur hierhergekommen, anfangs düster erscheinen, aber bald gewinnt er diese Enge, dieses In- und Beieinander von Fels, Wald und Fluß lieb. Von letzterm steigt er auf in den tiefdunklen Tannenhain und vom Granublock, der aus uralter Zeit daliegt, schaut er wieder zur lautrauschenden Enz hernieder. Beschränkt sind allerdings auch die Spazier¬ wege Wildbads, wenigstens die im Thale, in welchem ja das Städtchen eigentlich nur Eine Hauptstraße ausfindig machen konnte, und aufwärts kann nicht jeder der Gäste klimmen, denn das. wofür gerade jene wunderbaren Thermen so heilkräftig sind, ist eben bei den Meisten des Bergsteigens Wider¬ spiel. Behaglicher, reinlicher, wir möchten sagen schon dem äußern Ansehen nach so dem Kurzweck dienend, als wie die zu Wildbad, haben wir noch keine Bäder eingerichtet gefunden. Auch für den Gesunden ist's eine wahre Wollust, in diese Bassins niederzusteigen, wo die Quelle unmittelbar aus dem feinen, weißen Sand treibt und sich das warme Wasser so wohlig wie ein weiches Gewand um den Körper legt. Wir meinten, auch uns hätte es alle Müdigkeit der vergangenen und abschlagsweise auch der kommenden Tage weggenommen, als wir den gestern gemachten Weg wenigstens theilweise zurückgingen um bei Calw das Ende der gemischten Reise d. h. der aus Eisenbahnfahrt und Fußwanderung gemischten, zu erreichen und uns fortan nur noch der erstern zu überlassen. Für letztere aber machten wir in Hirsau den letzten Halt. Es giebt genug Klosterruinen in der Welt, aber einzelne von ihnen haben ganz besondern architektonischen und landschaftlichen Reiz vor den andern voraus. Zu diesen gehören Paulinzelle auf der grünen Waldwiese im Thüringer¬ land. Dann, am Fuße der rheinbespülten Siebenberge, Allerheiligen im Schwarz¬ walddunkel. Dazu gehört auch Hirsau im stillen Nagoldthale. Es war einst der geistig anregendsten Klöster eins im ganzen deutschen Lande. Ein Bürgermeister des benachbarten Calw erkühnte sich, einen Strich durch einen Contributions-Brief des Pfalzverwüsters Melac zu machen; die Brandfackel flog dafür in die herrlichen Gebäude. Was von diesen heut noch da ist. sind Trümmer; aber nicht die Franzosen allein haben diese auf dem Gewissen; auch die Würtenberger Beamten haben sie vernichten helfen. Eine noch ganz unversehrte Kapelle wurde als Baumaterial abgebrochen, Gräber wurden geöffnet, die Denksteine zerschlagen und umhergeworfen. Jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/232>, abgerufen am 28.12.2024.