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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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den Nacht vor. Auf dem Bahnhof von CraUsheim brannten schon die Ach'
ter. Die alterthümlich in die nächtlichen Schatten hineinragende Oberamts'
stadt mit ihren Thürmen und ihrer steilgedachten Johanniskirche ist eine
pittoreske Bahnstaffage, aber für uns diesmal nicht mehr als das; wenn
einmal die nun bald vollendete Nürnberger Bahn hier mündet, wird man
ihr mehr gerecht werden.

Crailsheim ist Knotenpunkt; man muß Acht gaben, den rechten Zug
zu finden. Wir waren in dem richtigen, auf der "obern Jaxtbahn" , also
schon aus dem würtembergischen Franken heraus, in das wir, aus dem
bayrischen kommend, bei Weikersheim eingetreten waren. Es ist der Beobach'
tung werth, wie viel Verschiedenheit in Land und Leuten, Sitte und Sprache,
selbst der äußern Erscheinung des Bodens, auf einem verhältnißmäßig so
kleinen Stück Erde, wie das von den schwarz-rothen Grenzpfählen umzäunte
ist, sich offenbart. Ich brauchte nur etwas im Waggon mich umzuschauen
und umher zu horchen: gleich der Dialekt sondert den würtemberger Franken
vom Schwaben ab; die Rede des ersteren hört sich weicher, fließender, gegen
die schwerfällige, dem Sprecher noch dazu fast mühselig zu entlockende des
Schwaben. Auch seine gewandteren, gefälligeren Umgangsformen machen sich
so gut kennbar, wie der Unterschied der Kleidung. Der niedere breitkrämpige
Hut, der schwarzgraue lange Tuchrock mit der dunklen Manchesterweste und
den langen Beinkleidern der Männer, wie die buschärmligen Spenser und
Reif- und Bandhauben der Frauen sind ganz andere Erscheinungen, als wir
sie bald da sehen werden, wo das deutsche Häubchen auf dem Haupte der
Frauen, die Pelzmütze auf dem der Männer sitzt.

Ueber den Wiesen und grünen Büschen des Jaxtthales wallten Nebel auf,
aber Erlkönigs Töchter spielen nicht an den prosaischen Eisenbahnen. Ellwangen,
die Hauptstadt des alten Viengrundes, Station Goldshöfe, wo die Rems-
thalbahn mich aufnahm, "Aale", wie jeder hälbweg geschulte Schaffner beim
schwäbischen Schilda anstatt des schriftgemäßen "Aalen" ruft, -- all das
war endlich vorüber: inGmünd erreichten wir des ersten Reisetages Ziel. Jo
Gasthof zum Rad "schwäbelte" es schon ganz ordentlich an der Abendtafel
um uns her. Offiziere, die zu den Herbstmanövern da waren, ruhten sich
bei der Flasche aus. Guter rother "Hetlbronner" funkelte in dieser. Man
soll in Gmünd besser noch als anderswo im Schwabenland das Zechen und
Jubilieren verstehen. (Aauäium, annal hat es drum ehedem geheißen. Justinianus
Kerner hat davon gesungen:


"Und wenn bald ringsum verhallen
Becherklingen, Tanz und Sang,
Wird zu Gmünd noch immer schallen
Selbst aus Trümmern lust'ger Klang. --"

den Nacht vor. Auf dem Bahnhof von CraUsheim brannten schon die Ach'
ter. Die alterthümlich in die nächtlichen Schatten hineinragende Oberamts'
stadt mit ihren Thürmen und ihrer steilgedachten Johanniskirche ist eine
pittoreske Bahnstaffage, aber für uns diesmal nicht mehr als das; wenn
einmal die nun bald vollendete Nürnberger Bahn hier mündet, wird man
ihr mehr gerecht werden.

Crailsheim ist Knotenpunkt; man muß Acht gaben, den rechten Zug
zu finden. Wir waren in dem richtigen, auf der „obern Jaxtbahn" , also
schon aus dem würtembergischen Franken heraus, in das wir, aus dem
bayrischen kommend, bei Weikersheim eingetreten waren. Es ist der Beobach'
tung werth, wie viel Verschiedenheit in Land und Leuten, Sitte und Sprache,
selbst der äußern Erscheinung des Bodens, auf einem verhältnißmäßig so
kleinen Stück Erde, wie das von den schwarz-rothen Grenzpfählen umzäunte
ist, sich offenbart. Ich brauchte nur etwas im Waggon mich umzuschauen
und umher zu horchen: gleich der Dialekt sondert den würtemberger Franken
vom Schwaben ab; die Rede des ersteren hört sich weicher, fließender, gegen
die schwerfällige, dem Sprecher noch dazu fast mühselig zu entlockende des
Schwaben. Auch seine gewandteren, gefälligeren Umgangsformen machen sich
so gut kennbar, wie der Unterschied der Kleidung. Der niedere breitkrämpige
Hut, der schwarzgraue lange Tuchrock mit der dunklen Manchesterweste und
den langen Beinkleidern der Männer, wie die buschärmligen Spenser und
Reif- und Bandhauben der Frauen sind ganz andere Erscheinungen, als wir
sie bald da sehen werden, wo das deutsche Häubchen auf dem Haupte der
Frauen, die Pelzmütze auf dem der Männer sitzt.

Ueber den Wiesen und grünen Büschen des Jaxtthales wallten Nebel auf,
aber Erlkönigs Töchter spielen nicht an den prosaischen Eisenbahnen. Ellwangen,
die Hauptstadt des alten Viengrundes, Station Goldshöfe, wo die Rems-
thalbahn mich aufnahm, „Aale", wie jeder hälbweg geschulte Schaffner beim
schwäbischen Schilda anstatt des schriftgemäßen „Aalen" ruft, — all das
war endlich vorüber: inGmünd erreichten wir des ersten Reisetages Ziel. Jo
Gasthof zum Rad „schwäbelte" es schon ganz ordentlich an der Abendtafel
um uns her. Offiziere, die zu den Herbstmanövern da waren, ruhten sich
bei der Flasche aus. Guter rother „Hetlbronner" funkelte in dieser. Man
soll in Gmünd besser noch als anderswo im Schwabenland das Zechen und
Jubilieren verstehen. (Aauäium, annal hat es drum ehedem geheißen. Justinianus
Kerner hat davon gesungen:


„Und wenn bald ringsum verhallen
Becherklingen, Tanz und Sang,
Wird zu Gmünd noch immer schallen
Selbst aus Trümmern lust'ger Klang. —"

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[0192] den Nacht vor. Auf dem Bahnhof von CraUsheim brannten schon die Ach' ter. Die alterthümlich in die nächtlichen Schatten hineinragende Oberamts' stadt mit ihren Thürmen und ihrer steilgedachten Johanniskirche ist eine pittoreske Bahnstaffage, aber für uns diesmal nicht mehr als das; wenn einmal die nun bald vollendete Nürnberger Bahn hier mündet, wird man ihr mehr gerecht werden. Crailsheim ist Knotenpunkt; man muß Acht gaben, den rechten Zug zu finden. Wir waren in dem richtigen, auf der „obern Jaxtbahn" , also schon aus dem würtembergischen Franken heraus, in das wir, aus dem bayrischen kommend, bei Weikersheim eingetreten waren. Es ist der Beobach' tung werth, wie viel Verschiedenheit in Land und Leuten, Sitte und Sprache, selbst der äußern Erscheinung des Bodens, auf einem verhältnißmäßig so kleinen Stück Erde, wie das von den schwarz-rothen Grenzpfählen umzäunte ist, sich offenbart. Ich brauchte nur etwas im Waggon mich umzuschauen und umher zu horchen: gleich der Dialekt sondert den würtemberger Franken vom Schwaben ab; die Rede des ersteren hört sich weicher, fließender, gegen die schwerfällige, dem Sprecher noch dazu fast mühselig zu entlockende des Schwaben. Auch seine gewandteren, gefälligeren Umgangsformen machen sich so gut kennbar, wie der Unterschied der Kleidung. Der niedere breitkrämpige Hut, der schwarzgraue lange Tuchrock mit der dunklen Manchesterweste und den langen Beinkleidern der Männer, wie die buschärmligen Spenser und Reif- und Bandhauben der Frauen sind ganz andere Erscheinungen, als wir sie bald da sehen werden, wo das deutsche Häubchen auf dem Haupte der Frauen, die Pelzmütze auf dem der Männer sitzt. Ueber den Wiesen und grünen Büschen des Jaxtthales wallten Nebel auf, aber Erlkönigs Töchter spielen nicht an den prosaischen Eisenbahnen. Ellwangen, die Hauptstadt des alten Viengrundes, Station Goldshöfe, wo die Rems- thalbahn mich aufnahm, „Aale", wie jeder hälbweg geschulte Schaffner beim schwäbischen Schilda anstatt des schriftgemäßen „Aalen" ruft, — all das war endlich vorüber: inGmünd erreichten wir des ersten Reisetages Ziel. Jo Gasthof zum Rad „schwäbelte" es schon ganz ordentlich an der Abendtafel um uns her. Offiziere, die zu den Herbstmanövern da waren, ruhten sich bei der Flasche aus. Guter rother „Hetlbronner" funkelte in dieser. Man soll in Gmünd besser noch als anderswo im Schwabenland das Zechen und Jubilieren verstehen. (Aauäium, annal hat es drum ehedem geheißen. Justinianus Kerner hat davon gesungen: „Und wenn bald ringsum verhallen Becherklingen, Tanz und Sang, Wird zu Gmünd noch immer schallen Selbst aus Trümmern lust'ger Klang. —"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/192>, abgerufen am 27.07.2024.