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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Straßen uns nach den islamitischen Wunderstädten Bochu,ra und Samarkand
führen werden. Dies ist in keiner Weise etwa das Bild einer aufgeregten
Phantasie, vielmehr geht diese Heranziehung des entfernten Ostens schon teil¬
weise unter unseren Augen vor sich, und was wir soeben angedeutet, wird
vielleicht in zwei Decennien buchstäblich in Erfüllung gegangen sein. Es be¬
greift sich daher, daß die Wissenschaft in den letzten Jahren aus jene noch so
wenig durchforschten Gebiete ihre Aufmerksamkeit concentrirt hat, und sich
bemüht, den Schleier zu lüften, der seit Marco Polo's Zeiten auf den¬
selben ruht.

Die Erforschungen in Centralasien gehen von den Russen und den Eng¬
ländern, den beiden Rivalen der asiatischen Welt, gleichzeitig aus. Erstere
drängen unablässig und seit langen Jahren nach Süden und Osten, und
haben in der That in der jüngsten Vergangenheit ihre Herrschaft über jene
Gegenden bedeutend erweitert; die wissenschaftliche Forschung folgt dort, so
zu sagen, der militärischen Action aus dem Fuße, und der Geograph kann
daher nicht umhin den Gang der Ereignisse selbst mit in Betracht zu ziehen.
Gleichwie aber an die russischen Fahnen die Wissenschaft sich heftet, und wir
heute die eroberten Landschaften im centralen Asien -- bisher von der Nacht
der Jahrhunderte bedeckt -- genauer kennen als manche Theile der europäischen
Türkei, so folgt auch unausweichlich die Cultur dem Siegeszug des schwarzen
Doppelaars. Rußland erfüllt, daran kann der Ethnograph nicht zweifeln,
eine wahre Culturmission, indem es auf seine Weise den orientalischen
Völkern den europäischen Jdeenkreis vermittelt; mit einem Worte: für Asien
ist Nußland die Cultur, die Civilisation. Der unbetheiligte aber muß erken¬
nen, daß die Erweiterung der menschlichen Kenntnisse, dieses Aufschließen
neuer Kreise für das Culturleben der civilisirten Völkerfamilien der beste
Gewinn sei, den die Menschheit seit den Zügen des Sesostris und des make¬
donischer Alexanders aus derartigen Kriegsunternehmungen gezogen hat.

Wenn ein englischer Staatsmann nicht mit Unrecht behauptete, Britan¬
nien sei weit mehr eine asiatische, denn eine europäische Großmacht, so kann
man dasselbe mit Fug und Recht von Rußland sagen, den Staateneoloß
den man den nordischen zu nennen pflegt, dessen Gebiet sich aber bald nahezu
über alle Zonen der Erde erstreckt und an Ausdehnung der halben Mond¬
oberfläche gleichkommt. Seit wenigen Jahrhunderten hat sich das ungeheuere
Reich aufgebaut, und seitdem ist kein Decennium verstrichen, in welchem es
.nicht unaufhaltsam, wenn oft auch unbeachtet, an seiner Erweiterung mit Er¬
folg gearbeitet hätte. Unter Iwan IV., der von 1333--1384, also länger denn
ein halbes Jahrhundert herrschte, unterwarf es sich die tatarischen Charade
des Südens, mit Ausnahme der Krimm; Kasan, das schon früher (1487) den
Czaren zeitweise Unterthan ward, erobert es 1552 nach langem blutigem


Straßen uns nach den islamitischen Wunderstädten Bochu,ra und Samarkand
führen werden. Dies ist in keiner Weise etwa das Bild einer aufgeregten
Phantasie, vielmehr geht diese Heranziehung des entfernten Ostens schon teil¬
weise unter unseren Augen vor sich, und was wir soeben angedeutet, wird
vielleicht in zwei Decennien buchstäblich in Erfüllung gegangen sein. Es be¬
greift sich daher, daß die Wissenschaft in den letzten Jahren aus jene noch so
wenig durchforschten Gebiete ihre Aufmerksamkeit concentrirt hat, und sich
bemüht, den Schleier zu lüften, der seit Marco Polo's Zeiten auf den¬
selben ruht.

Die Erforschungen in Centralasien gehen von den Russen und den Eng¬
ländern, den beiden Rivalen der asiatischen Welt, gleichzeitig aus. Erstere
drängen unablässig und seit langen Jahren nach Süden und Osten, und
haben in der That in der jüngsten Vergangenheit ihre Herrschaft über jene
Gegenden bedeutend erweitert; die wissenschaftliche Forschung folgt dort, so
zu sagen, der militärischen Action aus dem Fuße, und der Geograph kann
daher nicht umhin den Gang der Ereignisse selbst mit in Betracht zu ziehen.
Gleichwie aber an die russischen Fahnen die Wissenschaft sich heftet, und wir
heute die eroberten Landschaften im centralen Asien — bisher von der Nacht
der Jahrhunderte bedeckt — genauer kennen als manche Theile der europäischen
Türkei, so folgt auch unausweichlich die Cultur dem Siegeszug des schwarzen
Doppelaars. Rußland erfüllt, daran kann der Ethnograph nicht zweifeln,
eine wahre Culturmission, indem es auf seine Weise den orientalischen
Völkern den europäischen Jdeenkreis vermittelt; mit einem Worte: für Asien
ist Nußland die Cultur, die Civilisation. Der unbetheiligte aber muß erken¬
nen, daß die Erweiterung der menschlichen Kenntnisse, dieses Aufschließen
neuer Kreise für das Culturleben der civilisirten Völkerfamilien der beste
Gewinn sei, den die Menschheit seit den Zügen des Sesostris und des make¬
donischer Alexanders aus derartigen Kriegsunternehmungen gezogen hat.

Wenn ein englischer Staatsmann nicht mit Unrecht behauptete, Britan¬
nien sei weit mehr eine asiatische, denn eine europäische Großmacht, so kann
man dasselbe mit Fug und Recht von Rußland sagen, den Staateneoloß
den man den nordischen zu nennen pflegt, dessen Gebiet sich aber bald nahezu
über alle Zonen der Erde erstreckt und an Ausdehnung der halben Mond¬
oberfläche gleichkommt. Seit wenigen Jahrhunderten hat sich das ungeheuere
Reich aufgebaut, und seitdem ist kein Decennium verstrichen, in welchem es
.nicht unaufhaltsam, wenn oft auch unbeachtet, an seiner Erweiterung mit Er¬
folg gearbeitet hätte. Unter Iwan IV., der von 1333—1384, also länger denn
ein halbes Jahrhundert herrschte, unterwarf es sich die tatarischen Charade
des Südens, mit Ausnahme der Krimm; Kasan, das schon früher (1487) den
Czaren zeitweise Unterthan ward, erobert es 1552 nach langem blutigem


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[0188] Straßen uns nach den islamitischen Wunderstädten Bochu,ra und Samarkand führen werden. Dies ist in keiner Weise etwa das Bild einer aufgeregten Phantasie, vielmehr geht diese Heranziehung des entfernten Ostens schon teil¬ weise unter unseren Augen vor sich, und was wir soeben angedeutet, wird vielleicht in zwei Decennien buchstäblich in Erfüllung gegangen sein. Es be¬ greift sich daher, daß die Wissenschaft in den letzten Jahren aus jene noch so wenig durchforschten Gebiete ihre Aufmerksamkeit concentrirt hat, und sich bemüht, den Schleier zu lüften, der seit Marco Polo's Zeiten auf den¬ selben ruht. Die Erforschungen in Centralasien gehen von den Russen und den Eng¬ ländern, den beiden Rivalen der asiatischen Welt, gleichzeitig aus. Erstere drängen unablässig und seit langen Jahren nach Süden und Osten, und haben in der That in der jüngsten Vergangenheit ihre Herrschaft über jene Gegenden bedeutend erweitert; die wissenschaftliche Forschung folgt dort, so zu sagen, der militärischen Action aus dem Fuße, und der Geograph kann daher nicht umhin den Gang der Ereignisse selbst mit in Betracht zu ziehen. Gleichwie aber an die russischen Fahnen die Wissenschaft sich heftet, und wir heute die eroberten Landschaften im centralen Asien — bisher von der Nacht der Jahrhunderte bedeckt — genauer kennen als manche Theile der europäischen Türkei, so folgt auch unausweichlich die Cultur dem Siegeszug des schwarzen Doppelaars. Rußland erfüllt, daran kann der Ethnograph nicht zweifeln, eine wahre Culturmission, indem es auf seine Weise den orientalischen Völkern den europäischen Jdeenkreis vermittelt; mit einem Worte: für Asien ist Nußland die Cultur, die Civilisation. Der unbetheiligte aber muß erken¬ nen, daß die Erweiterung der menschlichen Kenntnisse, dieses Aufschließen neuer Kreise für das Culturleben der civilisirten Völkerfamilien der beste Gewinn sei, den die Menschheit seit den Zügen des Sesostris und des make¬ donischer Alexanders aus derartigen Kriegsunternehmungen gezogen hat. Wenn ein englischer Staatsmann nicht mit Unrecht behauptete, Britan¬ nien sei weit mehr eine asiatische, denn eine europäische Großmacht, so kann man dasselbe mit Fug und Recht von Rußland sagen, den Staateneoloß den man den nordischen zu nennen pflegt, dessen Gebiet sich aber bald nahezu über alle Zonen der Erde erstreckt und an Ausdehnung der halben Mond¬ oberfläche gleichkommt. Seit wenigen Jahrhunderten hat sich das ungeheuere Reich aufgebaut, und seitdem ist kein Decennium verstrichen, in welchem es .nicht unaufhaltsam, wenn oft auch unbeachtet, an seiner Erweiterung mit Er¬ folg gearbeitet hätte. Unter Iwan IV., der von 1333—1384, also länger denn ein halbes Jahrhundert herrschte, unterwarf es sich die tatarischen Charade des Südens, mit Ausnahme der Krimm; Kasan, das schon früher (1487) den Czaren zeitweise Unterthan ward, erobert es 1552 nach langem blutigem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/188>, abgerufen am 28.12.2024.