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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Lebensluft des Gefühls bedürfte, Frankreich sterbe vor Neugier über das
nächste Wort aus seinem Munde." Für diese Zwecke griff er mit beiden
Händen zu, als ihm Friedrich als Kronprinz von Preußen im Jahr 1796
zuerst in einem bewundernden Briefe seine Freundschaft zu Füßen legte.
Immer mehr aber wird das Bedürfniß ihrer Freundschaft ein gegenseitiges.
"Friedrich und Voltaire waren die beiden großen Acteurs aus der Bühne des
öffentlichen Lebens in ihrer Epoche. Sie bedurften einander. Voltaire aber
brauchte Friedrich anfangs in höherem Grade, bis sich später erst die Partie
gleichstand. Bei Friedrich gab es eine Region, innerhalb deren er sich auf
sich basirte und der übrigen Menschheit Valet sagte. Er war da nur König
und Feldherr. Voltaire fehlte diese Macht, sich einsam zu fühlen. Hier war
Friedrich im Uebergewichte. Allein Voltaire war unermüdlich, unerschöpflich,
klüger als alle, fähiger als alle sich auszusprechen; und Friedrich, wenn er
aus den Höhen herabstieg, weil es unmöglich war, immer sich dorthin zurück¬
gezogen zu halten, fand doch wieder nur Voltaire. Hier lag Voltaire's Ueber¬
gewicht über Friedrich. Die Geschichte ihrer Freundschaft ist der abwechselnde
Kampf, in welchem jeder seine Superiorität durchzuführen trachtet."

In der eingehendsten und liebevollsten Weise füllt Grimm nun die
strengen kurzen Linien, mit denen das Bild dieser hohen Freundschaft hier
skizzirt ist, mit Farbe und Leben, mit Licht und Schatten. Selten stehen
dem Schildern einer wichtigen historischen Episode so treue und klare Quellen
zur Seite, wie über das Verhältniß Friedrich's zu Voltaire in dem dreibändigen
Briefwechsel zwischen Beiden (Werke Friedrich's des Großen, Bd. 21--23).
"Der erste geht von der anfänglichen Bekanntschaft bis zur Thronbesteigung
Friedrich's, 1706--1740. Der zweite von 1740 bis zum Bruche im Jahre
1753. Der dritte enthält den 17S4 wieder aufgenommenen brieflichen Ver¬
kehr bis zum Tode Voltaire's 1778. Jugend, männliche Zeit und Alter des
Königs entsprechen diesen drei Abschnitten. In keinem Briefwechsel spricht
Friedrich so offen sich aus, in keinem Voltaire sich so sehr mit Zuhülfenahme
all seines Talentes, auf Andere Einfluß zu üben. Ihr Verhältniß gestaltet
sich zu einem Drama. Ein Beginn mit der Hoffnung auf späteres persön-
liches Begegnen und Zusammenleben. Eine Mitte als Verwirklichung dieses
Plans. Ein Umschwung, sich entwickelnd aus der natürlichen Unmöglichkett
für zwei eines solchen Umkreises freier Atmosphäre bedürftige Charaktere,
sich so nahe zu stehen. Und ein letzter versöhnender Abschluß in der Un¬
möglichkeit sich zu entbehren. Ihre Correspondenz enthält, was innerhalb
der Jahre 36--78 die Welt des vorigen Jahrhunderts bewegte. Diese drei
Bände gehören zu den Büchern, die man sich immer freut in einem freien
Augenblicke ergriffen zu haben." Aber so treu und klar diese Quellen sind,
selten ist das Verhältniß des größten Königs zum größten französischen


Lebensluft des Gefühls bedürfte, Frankreich sterbe vor Neugier über das
nächste Wort aus seinem Munde." Für diese Zwecke griff er mit beiden
Händen zu, als ihm Friedrich als Kronprinz von Preußen im Jahr 1796
zuerst in einem bewundernden Briefe seine Freundschaft zu Füßen legte.
Immer mehr aber wird das Bedürfniß ihrer Freundschaft ein gegenseitiges.
„Friedrich und Voltaire waren die beiden großen Acteurs aus der Bühne des
öffentlichen Lebens in ihrer Epoche. Sie bedurften einander. Voltaire aber
brauchte Friedrich anfangs in höherem Grade, bis sich später erst die Partie
gleichstand. Bei Friedrich gab es eine Region, innerhalb deren er sich auf
sich basirte und der übrigen Menschheit Valet sagte. Er war da nur König
und Feldherr. Voltaire fehlte diese Macht, sich einsam zu fühlen. Hier war
Friedrich im Uebergewichte. Allein Voltaire war unermüdlich, unerschöpflich,
klüger als alle, fähiger als alle sich auszusprechen; und Friedrich, wenn er
aus den Höhen herabstieg, weil es unmöglich war, immer sich dorthin zurück¬
gezogen zu halten, fand doch wieder nur Voltaire. Hier lag Voltaire's Ueber¬
gewicht über Friedrich. Die Geschichte ihrer Freundschaft ist der abwechselnde
Kampf, in welchem jeder seine Superiorität durchzuführen trachtet."

In der eingehendsten und liebevollsten Weise füllt Grimm nun die
strengen kurzen Linien, mit denen das Bild dieser hohen Freundschaft hier
skizzirt ist, mit Farbe und Leben, mit Licht und Schatten. Selten stehen
dem Schildern einer wichtigen historischen Episode so treue und klare Quellen
zur Seite, wie über das Verhältniß Friedrich's zu Voltaire in dem dreibändigen
Briefwechsel zwischen Beiden (Werke Friedrich's des Großen, Bd. 21—23).
„Der erste geht von der anfänglichen Bekanntschaft bis zur Thronbesteigung
Friedrich's, 1706—1740. Der zweite von 1740 bis zum Bruche im Jahre
1753. Der dritte enthält den 17S4 wieder aufgenommenen brieflichen Ver¬
kehr bis zum Tode Voltaire's 1778. Jugend, männliche Zeit und Alter des
Königs entsprechen diesen drei Abschnitten. In keinem Briefwechsel spricht
Friedrich so offen sich aus, in keinem Voltaire sich so sehr mit Zuhülfenahme
all seines Talentes, auf Andere Einfluß zu üben. Ihr Verhältniß gestaltet
sich zu einem Drama. Ein Beginn mit der Hoffnung auf späteres persön-
liches Begegnen und Zusammenleben. Eine Mitte als Verwirklichung dieses
Plans. Ein Umschwung, sich entwickelnd aus der natürlichen Unmöglichkett
für zwei eines solchen Umkreises freier Atmosphäre bedürftige Charaktere,
sich so nahe zu stehen. Und ein letzter versöhnender Abschluß in der Un¬
möglichkeit sich zu entbehren. Ihre Correspondenz enthält, was innerhalb
der Jahre 36—78 die Welt des vorigen Jahrhunderts bewegte. Diese drei
Bände gehören zu den Büchern, die man sich immer freut in einem freien
Augenblicke ergriffen zu haben." Aber so treu und klar diese Quellen sind,
selten ist das Verhältniß des größten Königs zum größten französischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/18>, abgerufen am 27.07.2024.