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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Gefäß schlug; bald endlich auch entschied das Loos, indem Zettelchen oder
Würfel aus einer Urne gezogen wurden. Das Dodonische Orakel gehörte zu
den gefeiertsten des Alterthums, was die zahllosen Weihegeschenke, die den
Tempel schmückten, bewiesen, bis die Götter nach Strabo's Bericht, der zur
Zeit des Kaisers Augustus lebte, es verließen.

Den ersten Rang unter allen nimmt aber unstreitig ein das Orakel zu
Delphi in Phocis am Fuße des Parnassos, der sich hier in zwei Berg¬
gipfel zertheilte (Soph. Oed. Tyr. V, 458). In der Stadt, die mit ver¬
schwenderischer Pracht gebaut war, befanden sich die herrlichsten Bauwerke
und Denkmäler der Kunst. Unter allen aber ragte hervor der berühmte,
herrliche Tempel des Apollo, der hier an der Stätte des alten Orakels Apollos
entstanden und von den Geschenken derer, die sich hier Rath und Licht geholt
hatten, angefüllt war. Diesem Orakel allein verdankte Delphi auch seinen
Ruhm und Glanz. In welchem Ansehen dieser Ort bei allen Völkern stand,
geht auch aus dem Umstände hervor, daß er als der Mittelpunkt der Erde
angesehen wurde, weßhalb Dichter, z. B. Sophokles im Oed. Tyr. V. 866,
ihn den Nabel der Erde nennen. Diese Ansicht gründet sich auf die Fabel,
Zeus habe einst, um die Mitte der Erde zu bestimmen, zwei Adler, den einen
von Abend, den andern von Morgen her, fliegen lassen und dieselben seien
zusammengetroffen an der Stelle, wo später Delphi stand. In dem Tempel
befanden sich auch Marmorplatten, welche genau die Stelle bezeichneten, die
man für den Mittelpunkt der Erde ansah.

Die Stadt Delphi hatte Anfangs den Namen Pytho zur Erinnerung
an den Drachen Pytho, den hier Apollo getödtet hatte. Daher wurde der
Ort im Tempel, wo eigentlich geweissagt wurde, Pythium, die Priesterin.
durch deren Mund sich Apollo offenbarte. Pythia und Apollo selbst Pythius
genannt. Jenes Pythium war eine tiefe Erdhöhle, aus der fortwährend ein
mephitischer Dampf aufstieg. Ueber dieser Dunsthöhle, um welche herum der
Boden erhöht war, damit der Dunst den Nahestehenden nicht schade, stand
ein sogenannter Dreifuß, der völlig mit Lorbeerzweigen und Kränzen bedeckt
war. so daß der gesährliche Dunst sich nicht nach außen verbreiten konnte.
Wie dieser Dreifuß, dessen drei Füße übrigens Apollos Wissen um Vergangen¬
heit, Gegenwart und Zukunft symbolisch andeuten sollten, eigentlich beschaffen
war, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen. Bald beschreibt man ihn als ein
Gefäß, auf dem die Pythia saß und durch welches dieser der Dampf in den
Unterleib stieg, um dann aus ihrem Munde, mit weissagenden Worten ver¬
bunden, wieder herauszukommen; bald als einen weiten Kessel, in den die
Pythia hinabtauchte, um durch den aufsteigenden Dampf in den Zustand der
Betäubung oder Verzückung versetzt zu werden, der zum Weissagen erforderlich
war; bald als einen mit einer Oeffnung versehenen Topf, in dem sich kleine


Gefäß schlug; bald endlich auch entschied das Loos, indem Zettelchen oder
Würfel aus einer Urne gezogen wurden. Das Dodonische Orakel gehörte zu
den gefeiertsten des Alterthums, was die zahllosen Weihegeschenke, die den
Tempel schmückten, bewiesen, bis die Götter nach Strabo's Bericht, der zur
Zeit des Kaisers Augustus lebte, es verließen.

Den ersten Rang unter allen nimmt aber unstreitig ein das Orakel zu
Delphi in Phocis am Fuße des Parnassos, der sich hier in zwei Berg¬
gipfel zertheilte (Soph. Oed. Tyr. V, 458). In der Stadt, die mit ver¬
schwenderischer Pracht gebaut war, befanden sich die herrlichsten Bauwerke
und Denkmäler der Kunst. Unter allen aber ragte hervor der berühmte,
herrliche Tempel des Apollo, der hier an der Stätte des alten Orakels Apollos
entstanden und von den Geschenken derer, die sich hier Rath und Licht geholt
hatten, angefüllt war. Diesem Orakel allein verdankte Delphi auch seinen
Ruhm und Glanz. In welchem Ansehen dieser Ort bei allen Völkern stand,
geht auch aus dem Umstände hervor, daß er als der Mittelpunkt der Erde
angesehen wurde, weßhalb Dichter, z. B. Sophokles im Oed. Tyr. V. 866,
ihn den Nabel der Erde nennen. Diese Ansicht gründet sich auf die Fabel,
Zeus habe einst, um die Mitte der Erde zu bestimmen, zwei Adler, den einen
von Abend, den andern von Morgen her, fliegen lassen und dieselben seien
zusammengetroffen an der Stelle, wo später Delphi stand. In dem Tempel
befanden sich auch Marmorplatten, welche genau die Stelle bezeichneten, die
man für den Mittelpunkt der Erde ansah.

Die Stadt Delphi hatte Anfangs den Namen Pytho zur Erinnerung
an den Drachen Pytho, den hier Apollo getödtet hatte. Daher wurde der
Ort im Tempel, wo eigentlich geweissagt wurde, Pythium, die Priesterin.
durch deren Mund sich Apollo offenbarte. Pythia und Apollo selbst Pythius
genannt. Jenes Pythium war eine tiefe Erdhöhle, aus der fortwährend ein
mephitischer Dampf aufstieg. Ueber dieser Dunsthöhle, um welche herum der
Boden erhöht war, damit der Dunst den Nahestehenden nicht schade, stand
ein sogenannter Dreifuß, der völlig mit Lorbeerzweigen und Kränzen bedeckt
war. so daß der gesährliche Dunst sich nicht nach außen verbreiten konnte.
Wie dieser Dreifuß, dessen drei Füße übrigens Apollos Wissen um Vergangen¬
heit, Gegenwart und Zukunft symbolisch andeuten sollten, eigentlich beschaffen
war, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen. Bald beschreibt man ihn als ein
Gefäß, auf dem die Pythia saß und durch welches dieser der Dampf in den
Unterleib stieg, um dann aus ihrem Munde, mit weissagenden Worten ver¬
bunden, wieder herauszukommen; bald als einen weiten Kessel, in den die
Pythia hinabtauchte, um durch den aufsteigenden Dampf in den Zustand der
Betäubung oder Verzückung versetzt zu werden, der zum Weissagen erforderlich
war; bald als einen mit einer Oeffnung versehenen Topf, in dem sich kleine


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[0174] Gefäß schlug; bald endlich auch entschied das Loos, indem Zettelchen oder Würfel aus einer Urne gezogen wurden. Das Dodonische Orakel gehörte zu den gefeiertsten des Alterthums, was die zahllosen Weihegeschenke, die den Tempel schmückten, bewiesen, bis die Götter nach Strabo's Bericht, der zur Zeit des Kaisers Augustus lebte, es verließen. Den ersten Rang unter allen nimmt aber unstreitig ein das Orakel zu Delphi in Phocis am Fuße des Parnassos, der sich hier in zwei Berg¬ gipfel zertheilte (Soph. Oed. Tyr. V, 458). In der Stadt, die mit ver¬ schwenderischer Pracht gebaut war, befanden sich die herrlichsten Bauwerke und Denkmäler der Kunst. Unter allen aber ragte hervor der berühmte, herrliche Tempel des Apollo, der hier an der Stätte des alten Orakels Apollos entstanden und von den Geschenken derer, die sich hier Rath und Licht geholt hatten, angefüllt war. Diesem Orakel allein verdankte Delphi auch seinen Ruhm und Glanz. In welchem Ansehen dieser Ort bei allen Völkern stand, geht auch aus dem Umstände hervor, daß er als der Mittelpunkt der Erde angesehen wurde, weßhalb Dichter, z. B. Sophokles im Oed. Tyr. V. 866, ihn den Nabel der Erde nennen. Diese Ansicht gründet sich auf die Fabel, Zeus habe einst, um die Mitte der Erde zu bestimmen, zwei Adler, den einen von Abend, den andern von Morgen her, fliegen lassen und dieselben seien zusammengetroffen an der Stelle, wo später Delphi stand. In dem Tempel befanden sich auch Marmorplatten, welche genau die Stelle bezeichneten, die man für den Mittelpunkt der Erde ansah. Die Stadt Delphi hatte Anfangs den Namen Pytho zur Erinnerung an den Drachen Pytho, den hier Apollo getödtet hatte. Daher wurde der Ort im Tempel, wo eigentlich geweissagt wurde, Pythium, die Priesterin. durch deren Mund sich Apollo offenbarte. Pythia und Apollo selbst Pythius genannt. Jenes Pythium war eine tiefe Erdhöhle, aus der fortwährend ein mephitischer Dampf aufstieg. Ueber dieser Dunsthöhle, um welche herum der Boden erhöht war, damit der Dunst den Nahestehenden nicht schade, stand ein sogenannter Dreifuß, der völlig mit Lorbeerzweigen und Kränzen bedeckt war. so daß der gesährliche Dunst sich nicht nach außen verbreiten konnte. Wie dieser Dreifuß, dessen drei Füße übrigens Apollos Wissen um Vergangen¬ heit, Gegenwart und Zukunft symbolisch andeuten sollten, eigentlich beschaffen war, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen. Bald beschreibt man ihn als ein Gefäß, auf dem die Pythia saß und durch welches dieser der Dampf in den Unterleib stieg, um dann aus ihrem Munde, mit weissagenden Worten ver¬ bunden, wieder herauszukommen; bald als einen weiten Kessel, in den die Pythia hinabtauchte, um durch den aufsteigenden Dampf in den Zustand der Betäubung oder Verzückung versetzt zu werden, der zum Weissagen erforderlich war; bald als einen mit einer Oeffnung versehenen Topf, in dem sich kleine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/174>, abgerufen am 29.12.2024.